-->Ein taktisches Angebot
Hallo klingonenjoerg
> Warum hat Pres. Putin denn so ein Muffensausen vor dem (ja nun rein defensiven) Raketenschild?
Er macht ein so genannt taktisches Angebot (oder etwas unverhohlener, er äussert eine taktische Drohung). Wie @Taktiker bereits ausführte, kann Bush dieses Angebot unmöglich annehmen. Die Feinheiten dieses Angebots bestehen darin, den Raketenschild erst mal rundweg abzulehnen, wodurch die USA geradewegs konterfei bieten müssen, um es danach in allen möglichen und unmöglichen Varianten vorgesetzt zu bekommen.
Als nächstes erweiterte Putin sein Angebot, eine gemeinsame Plattform mit dem selben (offiziellen US-) Defensivzweck in Aserbeidschan gemeinsam zu betreiben. Damit lässt er die USA das Gesicht wahren. Dieses Erweiterung ist aber seit rund einem Monat in der Schwebe ist, weil sie eine Einladung an Russland wäre, den letzten noch übrig gebliebenen Trumpf am kaspischen Meer mit dem Bären zu teilen.
> Warum plaerrt er bei jeder nationalen oder internationalen Gelegenheit so laut rum davon? Fuer mich hoert sich das bald so an als ob die Schallplatte am Kratzer haengen geblieben ist.
Die Wahl er Propagandamittel ist nicht ganz freiwillig. Ein Bsp. unter vielen, wie oft mussten wir uns die irakischen Massenvernichtungswaffen in Augen und Ohren brennen lassen? Gewirkt hat's jedenfalls. Russland ist das nicht verborgen geblieben. Ausserdem plärrt er nicht nur für uns sondern auch für die Heimatkanäle. In unserem egozentrischen Weltbild wird diese Überlegung allzu gerne ausgeblendet.
Zurück zum taktischen Angebot. Die USA kommen vor lauter Angebotserweiterungen gar nicht dazu, sich eine geeignete Propaganda zurecht zu legen, Putins aktueller Coup:
aus http://de.rian.ru/world/20070703/68224419.html
- Beim Treffen schlug Putin vor, weitere Staaten in den Kampf gegen globale Gefahren einzubinden. Der ideale Ort für diese Zusammenarbeit sei der Russland-NATO-Rat, betonte der russische Präsident. Außerdem regte er an, in Moskau und einem europäischen Staat Zentren für Informationsaustausch über Raketenstarts einzurichten und neben der Radaranlage im aserbaidschanischen Gabala auch eine Frühwarnstation über Raketenstarts gemeinsam zu nutzen, die derzeit in Südrussland gebaut wird.
Von Muffensausen keine Spur, sondern geschickte Verhandlungstaktik. Die USA, die NATO, dürfen unter russischer Aufsicht die Achse des Bösen in Schach halten, auf russischem Boden! Es kommt der Tag an dem sich die USA wünschen, sie hätten den Raketenschild in Osteuropa nie in Erwägung gezogen. Je länger sich die USA zieren, desto mehr bröckelt ihre Behauptung, in Polen und Tschechien lediglich gegen die Achse des Bösen aufzumarschieren. Schon jetzt dürften die meisten russischen Bürger felsenfest davon überzeugt sein, dass die USA weit davon entfernt sind, nordkoreanische oder iranische Raketen abwehren zu wollen. Wenn die USA nicht bald einlenken, können sie den eigentlichen Zweck der osteuropäischen Anlage auch im Westen kaum mehr verbergen, die üblichen Propagandamittel werden ihnen nicht mehr weiterhelfen.
Geradezu atemberaubend die heiklen Details der russischen Position:
aus http://de.rian.ru/world/20070703/68223503.html
-... ein russisches Delegationsmitglied...
"Das Angebot hat ohne Übertreibung einen historischen Charakter",..."Es handelt sich um die Bildung eines gemeinsamen ABM-Systems. Die gemeinsame Ermittlung von Gefahren würde die Möglichkeit bieten, gegen diese effektiv anzukämpfen. Der gemeinsame Zugang zu Informationen wird zwangsläufig zu einem Technologieaustausch führen. All das kann die gesamte Architektur der internationalen Beziehungen zum Besseren verändern, und niemand wird sich mehr an den Kalten Krieg erinnern."
"Es geht um eine globale strategische Partnerschaft, nun sind unsere amerikanischen Partner am Zug", sagte er.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, Russland auf dem Weg in die Science Fiction. Haben nicht die meisten Menschen immer davon geträumt, alle reichen sich die Hand zur Versöhnung und kämpfen gemeinsam gegen das Böse? Gehört zu diesen Träumern nicht auch die USA? Ausgerechnet! Der Junior-Partner USA wird trotz seiner reaktionären Tendenzen herzlich eingeladen, an der Realisierung teilzunehmen. Ich würde sagen, die Russen haben inzwischen mehr als 2-3 Schritte vorausgedacht.
-"Diese Vorschläge sind bei einem Verzicht auf die Pläne zur Bildung des dritten Stellungsraums des amerikanischen nationalen ABM-Systems realisierbar", betonte der Sprecher der russischen Delegation."Außerdem soll die von Russland angebotene Kooperation die US-Pläne für die Stationierung einer Raketenangriffsgruppe im Weltraum unnötig machen."
Den Weltraum, den die USA erst unlängst wieder als Eigentum von Gods own country deklariert haben, sogar diesen Anspruch sollen sie aufgeben. Das sind die Bedingungen Russlands, und die klingen äusserst vernünftig, aber wenn die USA ausschlagen, ist kaum mehr eine Interpretation zu Gunsten der USA möglich. Man könnte natürlich anführen, die USA haben den Osteuropazug absichtlich in Gang gesetzt, was nach den multimedialen Einpeitscherphrasen der letzten Jahre allerdings nicht recht nachvollziehbar ist, dennoch könnte es zu Hause helfen. Aber, jetzt wo die Menschen erfolgreich gegen Russland sensibilisiert wurden, spricht wenig für diese Variante. Selbst bei Dir ist vieles von dem angekommen, was man Dir vorsetzte, und jetzt sollst Du plötzlich wieder umdenken? Russland, unser Freund und Partner?
Übrigens, Russlands ursprüngliches taktisches Angebot kommt auch in der dritten Variante noch vor, als grosszügiges Zugeständnis an den Westen:
-"Unnötig würde damit auch eine Raketenstationierung im Gebiet Kaliningrad und in anderen in der Nähe Europas liegenden Regionen. Natürlich wäre dann ein Anvisieren von Militärziele in Mitteleuropa durch russische Raketen sinnlos."
Damit bringt Putin gezielt das durch den US-Sturm überhaupt erst bedrohte Europa zurück an den Verhandlungstisch, wo es den USA unangenehme, aber natürliche und auf der Hand liegende Störmanöver unterbreiten wird. Das letzte, was die USA in dieser Phase gebrauchen können: den Debattierclub Europa.
Sollte alles nichts nützen, kommen @Taktikers und @nereus Ausführungen zum Zug, nur dass Putin dann eben mit Verweis auf die praktische Beweiskette der westlichen Verweigerungshaltung fragen kann: Sollen wir euch untertänigst in den A.... kriechen? Ist es das was ihr wollt?
Grüsse
kosh
PS: Beresowski halte ich für einen weiteren Baustein in der auf breiter Front geführten russischen Verhandlungstaktik.
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