Grüß Gott!
Hier die avisierte Literaturliste (Teil I) mit Kurzbeschreibung bzw. Kommentar. Die Titel sind nämlich zumeist nur noch antiquarisch zu erhalten oder in gut geführten Uni-Bibliotheken, zu denen vielleicht nicht jedermann Zugang hat.
1. John Carswell: The South Sea Bubble (EA 1960, Neudruck 1993; ISBN 0-86299-918-9). Standardwerk zum Südseeschwindel. Hält sich streng an die Quellen und hat einen exzellenten Apparat. Der Autor war u.a. tätig beim UK Treasury und Sekretär der British Academy. Sehr gute Besprechung in der FT ("Greed: a dangerous passion - Lessons from the South Sea Bubble are still pertinent"). Beim Crash verloren u.a. so intelligente Leute wie Daniel Defoe und Isaak Newton (!!) ihr Vermögen. Interessant die eine Passage:"All this time, while the Company was falling into ruin and panic was sweeping the market, King George (ein Welfe, der zugleich als Kurfürst von Hannover regierte, d.) was installed comfortably at Herrenhausen (Stadtschlooss von Hannover, d.) in the bosom of his 'family', and without a care in the world" (156). Lehre daraus: Wenn's kneift, könnten wir auch diesmal wieder das"Bettflucht-Syndrom" der Entscheidungsträger erleben, was wir schon von Tiberius beim Crash von 30 n. Chr. und von Hoovers '29er Rat"Spielt doch lustige Musik im Radio" her kennen.
2. Karl Neidlinger: Studien zur Geschichte der deutschen Effektenspekulation von ihren Anfängen bis zum Beginn der Eisenbahnspekulation, Jena 1930. Behandelt (mangels Quellenlage nicht in der vielleicht gewünschten Detail-Massierung) folgende Highlights der Spekulation:
- In sächsischen Kuxen (Bergwerksanteile mit Nachschußpflicht) Ende des 15. Jh. Damals, in den 1470er und 80er Jahren (!), legten sogar der Rat der Stadt Leipzig und die philosophische Fakultät der Uni dort in diesen Papieren an (Parallele zu Orange County und den heutigen Campus-Depots; ich will nicht wissen, wann Harvard, MIT usw. erste größere Verluste erklären müssen)."Freilich war das oft ein wildes Spiel". Nürnberger und Niederländer Kaufleute wurden"als die vornehmsten im Spiel und des Teufels Vortänzer" bezeichnet. Auch Luther nennt des öfteren Kukse (von tschechisch"kukus"). Offenbar hatte sein Vater (Bergmann, aber nicht als"Arbeiter", sondern kleiner Bergwerksunternehmer) auch solche Papiere. Sie verloren im 16. Jh., nachdem in einigen Gebieten der erste"Rausch" vorüber war, massiv an Wert und da es Nachschußpflicht gab, zog Elend in so manche Behausung ein. (Das könnte übrigens Luthers extrem antikapitalistische Haltung, siehe auch die hier geführte leidige"Juden-Debatte", erklären).
- Die Spekulation auf spanische und französische"Königsbriefe" (heute: Staatspapiere) nach den Staatsbankrotten in den 1550er Jahren. Vergleichbar dem heutigen Zock (vgl. Kostolany) in russischen und chinesischen Alt-Anleihen. Kurs der Königsbriefe zwichen 1558 und 1578: 70 - 83 - 30. Andere Titel schwankten zwischen 25 und 75. Zum Schluß endeten die meisten Papiere bei null.
- Verfall des öffentlichen Kredits im 17. Jh. Ein Jurist jammert, dass der Zock in Staatspapieren höher sei als der Handel (Wechsel) mit Münzen. Güter wurden deflationsbedingt"zu Schleuderpreisen" losgeschlagen (nach privaten Schuldvollstreckungen)
- 1720 Assekuranzaktien-Manie in Hamburg, eine wenig bekannte Sideshow zu den 1720er Manien in Paris & London:"Es war ein solcher Zulauf zu solchem Aktienhandel, dass auch fast die ganze Handelsschaft darüber nachblieb und ein jeder nur bedacht war, Aktien zu erhandeln und damit einen großen Gewinn zu machen, ja man verkaufte schon Aktien, die noch nicht mal interessieret waren und machte schon hundert Intrigen damit; und wenn diese Sache nicht wäre gehemmet worden, könnte in kurzem die ganze Stadt ruinieret worden sein... Man sah die Börse bis fast in die Nacht voller Leute". Anschliessend Crash.
Die Parallelen zu heute sind doch nachgerade sensationell, vor allem gefällt mir dazu die Idee, demnächst nicht bloß um 20 Uhr mit der Börse aufzuhören, sondern weltweit rund um die Uhr rumzumachen.
- 1733"Treiben in Wiener Stadtbankobligationen" (Bank gegr. 1705), wonach schließlich"in allen Kaffees und Bierhäusern die Kreditbriefe der Bank herumflogen". Kurs schliesslich 12-15 %.
- Restliches 18. Jh., beginnendes 19. Jh. starkes Aufkommen von Staatspapieren und allgemeine Überschuldung fast aller öffentlichen Hände, starke Spekulation u.a. in Ã-sterreichern, z.B. die Kurse 5 % kaiserl. Obligationen: 1797: 94 1/2, 1800: 72; 1803: 89; 1811: 15 3/4; 1814: 25 1/4; 1820: 77 3/4, wenig später wurden (ähnlich konstruierte"Lotterieanleihen" auf 113 1/2 (17. Juni) und 14. Juli gar auf 134 1/2 getrieben. Danach Crash.
- In den 1820ern also die übliche disinflationäre Hausse, diesmal der Staatspapiere. Neidlinger:"Mit welcher Gewissenlosigkeit man hierbei von seiten der interessierten Kreise durch die Presse die Unwissenheit und den Spekulationstaumel breiter Kreise auszunutzen suchte, mag man aus einigen Zeitungsartikeln ersehen..." (klingt das nicht wie heute, wenn wir die Überschriften der sog."Börsenblätter" lesen?!). Das war ausserdem nicht auf Deutschland beschränkt, in GB machte der erste Börsenberichterstatter der"Times", ein Mann namens Alsager vor sich her, der von seinem Blatt dann wegen Frontrunnig gefeuert wurde (so was hat der"Mirror" gerade eben erst ebenfalls durchexerziert, von so säkularen Gestalten wie Herrn P. oder Herrn F. ganz zu schweigen).
- 1825 Stockung und 1826 dann der logische Crash. 17. Mai 1825:"Die Geschäftslosigkeit im Papierverkehr dauert an..." Wenig später:"Die Kreditgeber erbrachen ihr Papiere nur noch mit Zittern... Es brachen oftmals ganz unerwartete Fallimente aus, das Mißtrauen steigerte sich allenthalebn, bis es... geradezu zu einer Geldsperre führte." Und von wegen, das alles beschränkte sich nur auf wenige!"Neidlinger:"Spanische Staatspapiere, die man wohl kaum als Anlagewerte bezeichnen kann, traf man... Mitte der1830iger Jahre selbst unter Landleuten (Bauern) der Marken und Schlesiens."
Teil II folgt.
d.
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