"Es gibt schwer wiegende Ungleichgewichte"
Klaus Friedrich, Chefvolkswirt der Dresdner Bank, hält die Rezessionsgefahr in den USA für längst nicht gebannt. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE verteidigt er außerdem den Kurs der Europäischen Zentralbank.
SPIEGEL ONLINE: Anfang des Jahres ging in den USA die Rezessionsangst um. Ist es damit nun vorbei?
Klaus Friedrich ist Chefvolkswirt der Dresdner Bank. Zuvor war er Mitglied im Board of Governors der U.S. Federal Reserve und Direktor am Institut of International Finance in Washington.
Klaus Friedrich: Eben nicht. Die Art und Weise, wie die US-Notenbank die Zinsen senkt, lässt schon vermuten, dass die Sorge um die Konjunktur sehr ernst ist. Ich glaube nicht, dass es dort mit der Rezessionsangst vorbei ist. Es kann sogar sein, dass die Fed noch einmal die Zinsen senkt. Ein weiterer Zinsschritt um 50 Basispunkte ist nicht auszuschließen.
SPIEGEL ONLINE: An der Wall Street gab es eine Surprise Party. Meinen Sie, dass das Kursfeuerwerk wieder so schnell verpufft wie nach dem 3. Januar?
Friedrich: Das ist schon zu befürchten. Es wäre doch auch zu einfach, wenn man nur die Zinsen zu senken braucht, um die Konjunktur anzukurbeln. Es gibt große, schwer wiegende Ungleichgewichte in den USA.
SPIEGEL ONLINE: Die US-Notenbank sprach von Risiken, die auf eine Konjunkturschwäche deuten. Welche sind das?
Friedrich: Das Hauptrisiko ist die große Überschuldung der Haushalte. Eigentlich müssten die Haushalte jetzt einkaufen, vor allem Immobilien und langlebige Konsumgüter wie Autos oder Einrichtungen. Die Haushalte konsumieren zwar, aber nicht in dem Ausmaß, das zu einem entscheidenden Wachstum beitragen kann.
SPIEGEL ONLINE: Einige Ã-konomen befürchten, dass eine Rezession in den USA nicht mehr aufzuhalten ist, weil die Entlassungswelle schon angerollt ist. Teilen Sie diese Sorge?
Friedrich: Ja, natürlich. Ich würde nur nicht sagen, dass man das schon als Faktum sehen kann. Die Entlassungswelle ist gerade erst gestartet, und es ist die Frage, welche Auswirkungen sie haben wird.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass die Zinssenkungen helfen?
Friedrich: Bei Geldpolitik gibt es immer einen Verzögerungseffekt. Bei der Fed rechnet man mit rund sechs bis zwölf Monaten, bis die Zinssenkung tatsächlich auf die Konjunktur wirkt. Die Wall Street ist eine Sache, die reale Wirtschaft eine andere.
SPIEGEL ONLINE: Wie beurteilen Sie das historisch niedrige Handelsdefizit in den USA? Ist das ein gutes oder schlechtes Signal?
Friedrich: Gut daran ist, dass das riesige Ungleichgewicht damit langsam beseitigt wird. Schlecht daran ist, dass damit auch der sinkender Konsum und sinkenden Investitionen abgebildet werden.
SPIEGEL ONLINE: Die Europäische Zentralbank hat sich bisher noch nicht für einen Zinsschritt entschieden. Halten Sie das für einen Fehler?
Friedrich: Nein, das halte ich für richtig. Sie müssen bedenken, dass die Zinsen in Europa schon dort sind, wo die Amerikaner gerade erst hinkommen. Und eine Konjunkturschwäche wie in den USA sehe ich nicht in Europa. Die EZB sollte begrüßen, dass die Fed alles tut, um die US-Wirtschaft anzukurbeln. Mit der Schwäche der US-Konjunktur steigt ja der Druck auf die EZB, die Zinsen zu senken. Man könnte sagen: Die Amerikaner müssen das ihre tun, damit die Europäer nichts tun müssen.
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