Hallo zusammen,
hier ein Fundstück, das ich Euch nicht vorenthalten möchte.
Gruß
ufi
[i]
Denk ich an Daytrader in der Nacht.... oder: Beware of Tuesday (13.05.2001)
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn ich an die Börsenphase am Dienstag ab 20:15 Uhr denke, also diejenige verbleibende Handelszeit des 15. Mai, in denen wir in Deutschland nur ohnmächtig
zusehen können, was uns die Wall Street an Vorgaben für den Mittwoch beschert, könnte ich vor Entsetzen vorzeitig ergrauen. Sicher, es könnte ja mit den Kursen auch
steil nach oben gehen. Aber wer die Verhaltensweisen der Daytrader kennt weiß - es ist letztlich Zufall, ob das geschieht oder nicht. Und was die Notenbanker in den
USA letztlich tun und wie sie es begründen werden, ist für das Ergebnis auf den Kurstickern unerheblich.
Das klingt wie Ketzerei. Schließlich stehen unmittelbar danach Börsenreporter aller Herren Länder an der"Reling" der NYSE und erklären, warum die Maßnahme der
Notenbanker diese oder jene Reaktion der Aktienmärkte hervorrief. Soll das alles denn nicht wahr sein? Nun - wie man’s nimmt. Am nächsten Tag zumindest glauben
nahezu alle, was ihnen am Abend zuvor als Begründung aufgetischt wurde. Aber das heißt nicht, dass die Reporter imstande waren, die wahren Beweggründe für die
Kursentwicklung dieses Abends darzustellen. Erinnern sie sich bitte an den 20. März.....
Und wieder einmal war Notenbanksitzung. 90 Prozent der Analysten und Marktstrategen gingen im Vorfeld der Sitzung von einer Senkung der FED Funds um 50
Basispunkte aus. Weniger hätte die Lage nicht erlaubt. Mehr hätte Misstrauen, vielleicht sogar Panik ausgelöst, weil 75 oder gar 100 Basispunkte seit mehr als einer
Dekade nicht eingesetzt wurden. Und es wurden 50 Basispunkte...
Unmittelbar nach Bekanntgabe der Entscheidung schossen die Kurse nach oben und verharrten am zuvor erreichten Tageshoch. Zehn Sekunden, zwanzig, dreißig. Aber
die Anschlussorders kamen nicht. Dann plötzlich setzten die Verkäufe ein. Zuerst auf das Tagestief, dann auf das Tief des Vortages - und dann haltlos weiter in die
Tiefe. Später, nach Handelsschluss erfuhr ich dann, dass diese Reaktion ja kein Wunder gewesen sei. Schließlich hätte die Mehrheit der Analysten eine Senkung um 75
Basispunkte erwartet - und die Enttäuschung über die zu geringe Senkung löste Verkäufe aus. Aha.
Wo in aller Welt waren die 90 Prozent geblieben, die vorher von 50 Basispunkten ausgingen? Hatte ich mich verhört? Ich hatte diese Statements einflussreicher
Marktbeobachter doch am Nachmittag noch selbst gesehen! Die Wahrheit ist: Die Begründungen, warum die Kurse nach oben oder unten tendieren, werden nicht selten
"nachgereicht". Und leider sind sie manchmal so grotesk, dass es einem schwindlig wird. Frei nach"was kümmert mich mein Geschwätz von gestern" wird Ihnen nicht
selten ein Bär aufgebunden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Wahrheit lag in der vorherigen Beschreibung des damaligen Kursverlaufs verborgen:
Die Anschlussorders kamen nicht schnell genug. Keiner wollte auf dem Tageshoch weiterkaufen. Also schlugen die Daytrader zu. Es lag ohnehin ein Abwärtstrend vor.
Die Risiken waren gering. Von einer nur in Intraday-Charts sichtbaren Unterstützung ging es hinab zur nächsten, immer eng abgesichert, aber entschlossen. Das an
diesem Tag erreichte Tageshoch wurde insbesondere an der Nasdaq zu einem Widerstand, der erst vier Wochen später, am 18. April, wieder nach oben durchbrochen
werden konnte. Wird das am Dienstag erneut geschehen?
Es kommt eben einfach darauf an, welche Fraktion, Bullen oder Bären, sich nach 20:15 durchsetzen wird. Leider. Daytrader interessiert es nicht, was auf Basis eines
Tagescharts aufgrund ihres Handelns an Folgen entstehen. Sie können an steigenden ebenso wie an fallenden Kursen verdienen. Wichtig ist immer nur diese eine
Sitzung - bis zu ihrem Ende. Dann wird in aller Regel die Position glattgestellt und beruhigt nach Hause gegangen, während sich die Investoren, die über diesen
Tellerrand hinaussehen, ratlos die Haare raufen. André Kostolany sagte einmal, dass man die Spekulanten nicht verachten solle. Sie wären zwar keine Investoren
sondern letztlich nur Schmarotzer in der Haut des"Elefanten Börse", doch sie würden für Liquidität im Markt sorgen und so sein Funktionieren erst ermöglichen. Stimmt.
Aber Daytrader sind keine Spekulanten. Sie sind reine Spieler, die über den Hebel von Optionen und vor allem Futures mit relativ geringem Kapitaleinsatz ganze Märkte
in den Hades schicken können! Blödsinn? Mitnichten. Wie kam denn die Katastrophe an den Devisenmärkten zustande, die letztlich den Asiencrashs und die
Russlandkrise 1997 und 1998 auslösten? Doch nicht etwa aus"volkswirtschaftlichen Erwägungen" heraus! Fragen Sie mal Gerorge Soros! Aber, zu Ihrer Beruhigung:
Die Tatsache, dass Daytrader ihren Horizont auf eine Börsensitzung beschränken, schränkt auch die Gefahr ein, die von ihnen ausgeht. Denn genau die selben Trader
sind am nächsten Tag gerne bereit, auf Hausse zu setzen, wenn sich daran etwas verdienen lässt. Nur, wenn sie sich an der Furcht der Anleger laben können (ein wenig
theatralisch, anders gesagt:) bzw. erwarten können, dass ein Tagesverlauf für weitere, echte Verkäufe der Investoren sorgt, geht das Problem weiter. Das bedeutet:
Hören Sie nicht auf seltsame Begründungen für das, was am Dienstag Abend geschehen wird. Wenn die FED die Zinsen senkt, ist das gut. Und wenn es nur 25
Basispunkte werden, um so besser. Denn dann bleibt die Hoffnung auf weitere Zinssenkungen erhalten. Was die Kurse an diesem Abend machen, ist etwas anderes -
aber für einen Anleger zweitrangig. Denn selbst, wenn es deutlich bergab gehen sollte - was noch lange nicht raus ist - wird die übergeordnete Tendenz dadurch nicht
gebrochen, bestenfalls aufgehalten. Und die weist seit Anfang April nach oben, basierend auf einer konjunkturellen Erholung, besser als erwartet ausgefallenen
Unternehmensgewinnen und entschlossenen Maßnahmen der Notenbank. Und diese Rahmenbedingungen werden durch Aktionen der Daytrader nicht konterkariert. Im
Gegenteil: Diese Dinge interessieren sie gar nicht....
Übrigens: Wenn Sie sich auch zwischen dieser zweiwöchentlichen Kolumne brandaktuell über die Lage informieren möchten: Im NewTec-Investor finden Sie jede
Woche hochinteressante Fakten, Hintergründe und Empfehlungen aus dem Bereich IPOs und Wachstumswerte. Klar, komprimiert und aktuell.
Mit besten Wünschen Ihr
Ronald Gehrt
14.05.2001 08:35
©boerse.de
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