Der Bericht vom internationalen Finanzmarkt: Mit geschenktem Geld läßt sich gut spekulieren
China neu am Euro-Bondmarkt / Der Bericht vom internationalen Finanzmarkt / Von Holger Steltzner
FRANKFURT, 20. Mai. Die Geldschleusen der Notenbanken sind offen. Die fünf Zinssenkungen der amerikanischen Notenbank Fed von insgesamt 250 Basispunkten in nur fünf Monaten zeigen Wirkung - bislang jedoch nur an den Börsen. Nicht nur die Fed, sondern fast alle Notenbanken der Welt haben in diesem Jahr durch mehr als 50 Zinssenkungen kurzfristiges Geld drastisch verbilligt. Kein Wunder, daß als Folge der Liquiditätsschwemme die Kurse an den Weltbörsen seit Anfang April kräftig gestiegen sind. In Amerika kletterte der Standard & Poor's-Index um 17 Prozent, der Dow Jones verbesserte sich um 20 Prozent und pirscht sich wieder an sein Rekordhoch von 11 723 Punkten vom Januar 2000 heran. Noch beeindruckender ist die Erholung an den Technologiebörsen, wo die Kurse zuvor allerdings im Schnitt zwischen 60 und 80 Prozent eingebrochen waren. In nur sieben Wochen stieg in New York der Nasdaq um 34 und am Neuen Markt in Frankfurt erholten sich die Kurse um rund 29 Prozent. Etwas schlechter mit Gewinnen von 15 Prozent schnitt der Dax ab. Da wegen der hohen Überkreuzbeteiligungen deutscher Aktiengesellschaften sowie des hohen Festbesitzes das Gewicht Deutschlands im Weltindex der führenden Indexgesellschaft Morgan Stanley Capital International (MSCI) stark gesunken ist, werden die fälligen Portfolioumschichtungen institutioneller Anleger im Gesamtbetrag von mehreren hundert Milliarden Dollar in den kommenden Monaten ihre Bremsspuren in der Kursentwicklung der betroffenen deutschen Aktien hinterlassen.
Billiges Notenbankgeld ist die einzige Triebfeder für die Zwischenhausse an den Aktienbörsen. Das eigentliche Ziel der Fed, mit Zinssenkungen die Talfahrt der Wirtschaft zu stoppen, ist noch nicht erreicht. Nicht nur in Amerika, sondern in der gesamten OECD deuten die konjunkturellen Frühindikatoren darauf hin, daß die Talsohle noch nicht erreicht ist. Es besteht sogar die Gefahr eines gleichlaufenden Abschwungs in Amerika, Europa und Japan. Mit einem Anstieg der Industrieproduktion ist wohl erst 2002 zu rechnen. Damit müssen alle Hoffnungen auf bessere Unternehmensgewinne vertagt werden. Die Fed begründete ihren jüngsten Zinsschritt abermals mit dem Risiko einer fortdauernden wirtschaftlichen Talfahrt. Weil vorerst kein Ende des Zinssenkungszyklus in Sicht ist, wird an den amerikanischen Geldterminmärkten bereits auf die nächste Lockerung der Fed um weitere 25 Basispunkte auf 3,75 Prozent am 26. Juni spekuliert.
Angesichts einer geschätzten Inflationsrate zwischen 3,5 und 4 Prozent würde dann die Fed den Dollar zum Nulltarif anbieten. Mit geschenktem Geld - in realen Werten gemessen - läßt sich trefflich spekulieren. Das erklärt zum guten Teil die wieder aufkommende Haussestimmung an den Börsen. Hinzu kommt, daß es sich kein institutioneller Investor leisten kann, einen Aufschwung an den Aktienbörsen zu verpassen. Denn wenn die Wertentwicklung eines Fonds hinter dem Marktschnitt zurückbleibt, wird ihn kein Anleger mehr kaufen wollen. Es ist wie beim Sprint, kommentiert der Chefökonom einer amerikanischen Investmentbank das Marktgeschehen:"Alle müssen beim Frühstart mitmachen, keiner kann in den Startlöchern sitzenbleiben, auch wenn das Rennen wieder abgepfiffen werden sollte." Das begründet den plötzlich wieder gestiegenen Risikohunger der Investoren, der sich auch am geschrumpften Renditevorsprung (Spread) von Risiko- zu Staatsanleihen ablesen läßt. Wieder einmal möchte jeder frühzeitig die nächste Spekulationsblase an den Börsen mitmachen - und wieder glauben die Akteure, rechtzeitig vor allen anderen aussteigen zu können.
Die Anleihemärkte zeigen die Kehrseite der riskanten geldpolitischen Manöver der Fed. Denn ihre aggressiven Zinssenkungen werden dort mit einem starken Anstieg der Langfristzinsen und einer insgesamt steileren Zinskurve angesichts steigender Inflationsgefahren quittiert. Während am kurzen Ende die Zinsen seit Jahresbeginn von 6,5 auf 4 Prozent gesunken sind, ist der langfristige Zins - der für Investitionsentscheidungen von Unternehmen maßgeblich ist - von 5,3 auf 5,8 Prozent gestiegen. Die steigende Inflationsfurcht schlägt sich auch auf dem internationalen Goldmarkt nieder, wo der Preis für Gold kräftig gestiegen ist.
Die Umschichtungen durch die Neuordnung der MSCI-Indizes sind auch an den Devisenmärkten zu spüren. So ist der Euro zum Pfund am Freitag auf den tiefsten Stand seit Dezember gefallen. Auch gegenüber dem Dollar spielen die - trotz der kleinen Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) - per saldo gestiegenen Zinsvorteile für den Euro keine Rolle. Vielmehr rutschte der Euro zum Wochenschluß unter 0,88 Dollar. Internationale Anleger verlangen inzwischen für Anlagen in Euro eine Risikoprämie. Denn kaum jemand kann nach der überraschend starken Revision der Geldmengenzahlen der EZB die Logik der vermeintlich regelgebundenen Geldpolitik von Europas Währungshütern nachvollziehen.
Am Euro-Kapitalmarkt hat China mit Anleihen über 1,5 Milliarden Dollar in zwei Tranchen sein Debüt gegeben. Eine zehnjährige Dollartranche über eine Milliarde ist mit einem Spread von 133 Basispunkten über Treasuries plaziert und eine fünfjährige Tranche über 550 Millionen Euro mit rund 64 Basispunkten über Bundesobligationen verkauft worden. Nach mehreren Anläufen hat jetzt auch Rheinmetall mit einer fünfjährigen Anleihe über 350 Millionen Euro mit einem Spread von 157 Basispunkten über Bundesobligationen seinen Einstand gegeben, wobei den Anlegern eine Zusatzverzinsung von 150 Basispunkten im Falle einer Ratingverschlechterung winkt. Für diese Woche hat Ericsson die Begebung einer Anleihe in Form einer Eurotranche mit fünf Jahren über rund 1,5 Milliarden und einer weiteren siebenjährigen über 250 Millionen Pfund angekündigt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.05.2001, Nr. 117 / Seite 33
gruss mcmike
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