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Rom, Mitte der fünfziger Jahre v. Chr.: Pompeius und Crassus standen an der Spitze des Staates, während Caesar, der dritte im Triumvirat, die Eroberung Galliens vorantrieb. Doch der Soldat Pompeius, noch der unbestrittene Erste im Triumvirat, erwies sich als unfähig, mit den politischen Gegensätzen im Rom der ausgehenden Republik fertig zu werden; die Stadt begann in Anarchie zu versinken. Pointiert schilderte der Historiker Theodor Mommsen in seiner 1854/55 erschienenen Römischen Geschichte jene anarchischen Zustände in Rom; 1902, ein Jahr vor seinem Tod, erhielt er für seine Römische Geschichte den Literaturnobelpreis. Im Folgenden Ausschnitte aus dem achten Kapitel Pompeius' und Caesars Gesamtherrschaft.
Rom auf dem Weg in die Anarchie
Aber als Pompeius von der Koalition zum Beherrscher der Hauptstadt bestellt ward, übernahm er was über seine Kräfte weit hinausging. Pompeius verstand vom Herrschen nichts weiter als was sich zusammenfassen läßt in Parole und Kommando. Die Wellen des hauptstädtischen Treibens gingen hohl zugleich von vergangenen und von zukünftigen Revolutionen; die Aufgabe, diese in jeder Hinsicht dem Paris des neunzehnten Jahrhunderts vergleichbare Stadt ohne bewaffnete Macht zu regieren, war unendlich schwer, für jenen eckigen vornehmen Mustersoldaten aber geradezu unlösbar. Sehr bald war er so weit, daß Feinde und Freunde, beide ihm gleich unbequem, seinetwegen machen konnten was ihnen beliebte; nach Caesars Abgang von Rom beherrschte die Koalition wohl noch die Geschicke der Welt, aber nicht die Straßen der Hauptstadt. Auch der Senat, dem ja immer noch eine Art nominellen Regiments zustand, ließ die Dinge in der Hauptstadt gehen, wie sie gehen konnten und mochten; zum Teil weil der von der Koalition beherrschten Fraktion dieser Körperschaft die Instruktionen der Machthaber fehlten, zum Teil weil die grollende Opposition aus Gleichgültigkeit oder Pessimismus beiseite trat, hauptsächlich aber weil die gesamte hochadlige Körperschaft ihre vollständige Ohnmacht wo nicht zu begreifen, doch zu fühlen begann. Augenblicklich also gab es in Rom nirgends eine Widerstandskraft irgend welcher Regierung, nirgends eine wirkliche Autorität. Man lebte im Interregnum zwischen dem zertrümmerten aristokratischen und dem werdenden militärischen Regiment; und wenn das römische Gemeinwesen wie kein anderes alter oder neuer Zeit alle verschiedensten politischen Funktionen und Organisationen rein und normal dargestellt hat, so erscheint in ihm auch die politische Desorganisation, die Anarchie in einer nicht beneidenswerten Schärfe. Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß in denselben Jahren, in welchen Caesar jenseits der Alpen ein Werk für die Ewigkeit schuf, in Rom eine der tollsten politischen Grotesken aufgeführt ward, die jemals über die Bretter der Weltgeschichte gegangen ist. Der neue Regent des Gemeinwesens regierte nicht, sondern schloß sich in sein Haus ein und maulte im stillen. Die ehemalige halb abgesetzte Regierung regierte gleichfalls nicht, sondern seufzte, bald einzeln in den traulichen Zirkeln der Villen, bald in der Kurie im Chor. Der Teil der Bürgerschaft, dem Freiheit und Ordnung noch am Herzen lagen, war des wüsten Treibens übersatt; aber völlig führer- und ratlos verharrte er in nichtiger Passivität und mied nicht bloß jede politische Tätigkeit, sondern, soweit es anging, das politische Sodom selbst. Dagegen das Gesindel aller Art hatte nie bessere Tage, nie lustigere Tummelplätze gehabt. Die Zahl der kleinen großen Männer war Legion. Die Demagogie ward völlig zum Handwerk, dem denn auch das Handwerkszeug nicht fehlte: der verschabte Mantel, der verwilderte Bart, das langflatternde Haar, die tiefe Baßstimme; und nicht selten war es ein Handwerk mit goldenem Boden. Für die stehenden Brüllaktionen waren die geprüften Gurgeln des Theaterpersonals ein begehrter Artikel; Griechen und Juden, Freigelassene und Sklaven waren in den öffentlichen Versammlungen die regelmäßigsten Besucher und die lautesten Schreier; selbst wenn es zum Stimmen ging, bestand häufig nur der kleinere Teil der Stimmenden aus verfassungsmäßig stimmberechtigten Bürgern. „Nächstens", heißt es in einem Briefe aus dieser Zeit, „können wir erwarten, daß unsere Lakaien die Freilassungssteuer abvotieren." Die eigentlichen Mächte des Tages waren die geschlossenen und bewaffneten Banden, die von vornehmen Abenteurern aus fechtgewohnten Sklaven und Lumpen aufgestellten Bataillone der Anarchie. Ihre Inhaber hatten von Haus aus meistenteils zur Popularpartei gezählt; aber seit Caesars Entfernung, der der Demokratie allein zu imponieren und allein sie zu lenken verstanden hatte, war aus derselben alle Disziplin entwichen und jeder Parteigänger machte Politik auf seine eigene Hand. Am liebsten fochten diese Leute freilich auch jetzt noch unter dem Panier der Freiheit; aber genau genommen waren sie weder demokratisch noch antidemokratisch gesinnt, sondern schrieben auf die einmal unentbehrliche Fahne, wie es fiel, bald den Volksnamen, bald den Namen des Senats oder den eines Parteichefs. (...)
Man könnte ebensogut ein Charivari auf Noten setzen als die Geschichte dieses politischen Hexensabbaths schreiben wollen; es liegt auch nichts daran all die Mordtaten, Häuserbelagerungen, Brandstiftungen und sonstigen Räuberscenen inmitten einer Weltstadt aufzuzählen und nachzurechnen, wie oft die Skala vom Zischen und Schreien zum Anspeien und Niedertreten und von da zum Steinewerfen und Schwerterzücken durchgemacht ward. (...)
All diesen Dingen sah Pompeius zu, ohne sich zu regen.
Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Essen 1995. S. 766-769.
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