© Cash; 2001-05-25; Seite 19; Nummer 21
interview
«Gott helfe uns, wenn die Wirtschaft noch schlechter läuft»
Sun-Microsystems-Präsident Ed Zander über die Zukunft der Dotcom-Branche.
Schwierige Zeiten für die Konstrukteure des Internet: Die Aktien sind im Keller, die Aktionäre klagen auf Schadenersatz, und die kurzfristigen Aussichten sind düster. Ed Zander, Präsident von Sun Microsystems, über die Durststrecke und die goldenen Aussichten.
Birgit Voigt (Palo Alto)
CASH: Sie müssen Zeitungsarchive hassen.
Ed Zander: Nicht dass ich wüsste.
1999 hielten Sie eine Rede, in der Sie erklärten: Dies ist das Jahr, in dem das Internet wirklich abhebt. Dies ist das Jahr des Dots.
Oh mein Gott, was Sie da zitieren, das war eine andere Ära.
Damals hatte Sun sogar den Werbeslogan auf das Internet ausgerichtet: «We are the dot in the dot.coms». Inzwischen hat Sun einen neuen Leitspruch eingeführt, weil es - laut Ed Zander - keine Dotcom-Firmen mehr gibt.
(Lacht) Also, die Dots sind am Leben und es geht ihnen gut.
Sie nehmen Ihre Aussage zurück, dass die Dotcoms tot seien?
Ich hab mich da ein bisschen über uns selbst und die damals herrschende Hysterie lustig gemacht. Da waren eine Menge schlechter Unternehmenspläne im Umlauf: Pflanze.com, Zahnpasta.com... wirklich, das machte keinen Sinn.
Wo macht das Internet Sinn?
Heute gegen das Internet zu wetten, wäre vergleichbar mit einer Wette gegen die industrielle Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts. Zu erwarten, dass die Internettechnologie einfach wieder in Vergessenheit gerät, nur weil wir einen Konjunktureinbruch haben, wäre fatal.
Wo sehen Sie die grössten Auswirkungen?
Der grosse Durchbruch findet in der Unternehmenswelt statt. Bei der Beschaffung, bei der Herstellung, bei Kundenbindungsprogrammen... Schauen Sie sich an, was Boeing macht: Die gesamten Unternehmensabläufe werden neu erfunden, mit dem Internet als Rückgrat.
Wie weit sind wir auf dem Weg der totalen Durchdringung?
Schwer zu sagen, aber ich weiss eines: Das Internet hat seinen Siegeszug vollendet, wenn es - ähnlich wie Strom aus der Steckdose - nichts mehr ist, worüber man nachdenkt, sondern man es einfach hat. Sie sagen ja heute auch nicht mehr, lass uns eine Lampe mit Strom zum Leuchten bringen. Sie knipsen einfach den Schalter an.
Bevors dazu kommt, muss die Technologie noch viel besser werden. Im Moment dauert alles noch viel zu lang. Vielleicht sollte der Staat, statt Steuern zurückzuzahlen, den Datenhighway besser aufrüsten.
Im Silicon Valley baut die Stadt Palo Alto einen Glasfaserring, um bessere Anschlüsse zu gewährleisten. Aber ich weiss nicht, ob wir den Staat dafür wirklich brauchen. Breitbandkabel kommt so oder so.
Es kommt aber zu langsam. Waren die Prognosen bloss Wunschträume?
Wir sind alle zu Beginn der Internethysterie einem Trugschluss erlegen. Das Internet würde die ganze Firmenlandschaft völlig umpflügen. Wal-Mart geht unter, Merrill Lynch verschwindet. Wir glaubten, alles würde in Zukunft über das Internet erledigt. Aktien handeln, Bücher lesen, einkaufen, alles...
Die Einkaufsidee war für mich nie attraktiv. Frau will 20 Paar Schuhe anprobieren, um dann vielleicht ein Paar zu kaufen. Briefmarkengrosse Fotos auf einem Bildschirm sind irrelevant für manche Einkäufe.
Das «Wall Street Journal» hat vor kurzem einen Artikel publiziert, in dem Parallelen zwischen der industriellen Revolution und der Internetrevolution gezogen wurden. In der Story wird beschrieben, wie viele unsinnige Geschäftsmodelle damals versucht wurden. Die Lehre daraus ist, dass wir mit den Fehlschlägen leben müssen. Sie sind Teil des Zyklus.
Müssen wir die Gesellschaft irgendwie besser vorbereiten auf die Umwälzungen, die durch die neue Technologie auf sie zukommen?
Wie wollen Sie das machen? Die Gesellschaft lernt mit ihren Kindern. Am Anfang dachten wir, das Internet wäre eine Revolution. Inzwischen stellt sich heraus, auch hier findet eher eine Evolution statt. Die Frage bleibt: Wo werden wir das Internet einsetzen? Was ist gesellschaftlich akzeptabel, und wo sind die Dinge vielleicht technisch machbar, aber sozial nicht durchsetzbar?
Wenn das Internet wirklich ein allumfassendes Kommunikationsmittel wäre, warum hocken dann die Geldleute, Ingenieure, Unternehmer so gedrängt auf diesem Silicon Valley genannten Fleck?
Schauen Sie sich dieses wunderbare Wetter an.
Davon haben die Leute hier nichts. Sie sitzen entweder im Büro oder im Stau.
Ja, die Leute arbeiten zu viel hier.
Sie haben die Parallele zwischen dem Börsenboom für Internetfirmen und dem kalifornischen Goldrausch gezogen. Der Unterschied zwischen damals und heute liegt vielleicht darin, dass die ernüchterten Aktionäre im 21. Jahrhundert das Unternehmensmanagement verklagen. Es gibt zahlreiche Sammelklagen gegen das Management von Blue-Chip-Firmen. Die Aktionäre finden, das Management habe die Zukunft zu rosig dargestellt. Was sagen Sie als Topmanager dazu?
Es gibt eine Reihe von Anwaltsfirmen, die sich auf diese Klagen spezialisiert haben. Einige davon sind schlimm und handeln unverantwortlich.
Finden Sie das Verhalten der Aktionäre unfair?
Wenn die ihre Aktien rechtzeitig verkauft hätten, wären sie glücklich. Der Aktienmarkt ist wie Roulette. Besonders seit wir CNBC (eine Fernsehstation mit Börsennachrichten) und Online-Trading haben, ist es wirklich völlig verrückt geworden. Die New York Stock Exchange ist kein Platz, wo sich der Farmer aus Kansas rumtreiben sollte. Ich bin nicht sicher, ob ich mich da rumtreiben sollte als Privatperson.
Privatanleger sollen nicht mehr direkt in einzelne Aktien investieren?
Nur wenn sie wirklich langfristig orientiert sind und nicht jeden Morgen das Börsenfernsehen anmachen und das «Wall Street Journal» lesen. Unternehmen sind die Kapitalbildungsmaschine der Welt. Aber suchen Sie gute Firmen aus, solide geführt mit intellektuellem Kapital, und dann bleiben sie der Firma doch treu. Versuchen Sie nicht, im nächsten Monat gleich Millionär zu werden.
Diese Ratschläge könnten von meiner Mutter stammen...
«Wer will Millionär sein», heisst hier eine Fernsehquizshow, und das reflektiert wirklich, was in den USA in den letzten vier Jahren passiert ist. Jeder hier hat täglich an der Börse spekuliert, und jetzt hat sich fast jeder die Finger verbrannt... Der Markt wird dominiert von den grossen institutionellen Anlegern, den vielen Hedge Funds... und da steckt eine Menge Wissen und Technik in der Art, wie die handeln.
Also hat der normale Privatanleger kaum eine Chance?
Ich will hier ja keine guten Ratschläge erteilen, ich sage nur - und nun komme ich auf Ihre Frage von den Sammelklagen gegen die Unternehmen zurück -, es ist einfach unverantwortlich, wie manche Aktionäre versuchen, ihre Spielverluste auf andere abzuwälzen. Sie haben sich grossen Risiken ausgesetzt. Zu erwarten, dass wir Manager den Kurssturz des Nasdaq vorhersagen, den Absturz des Bestellungseingangs, sodass jeder noch rechtzeitig aus seinen Aktien aussteigen kann, das ist einfach nicht realistisch. Ich empfinde die Sammelklagen als unfair und ein bisschen missbräuchlich.
Tuts Ihnen weh, wenn Sie die Aktien von Sun Microsystems ansehen? Die sind seit ihrem Höchstkurs von 64 Dollar auf rund 20 gefallen.
Da fragen Sie besser meine Frau, die verwaltet unsere Finanzen.
Suchen Sie schon nach einem Zweitjob, zum Beispiel als Nachtwächter?
Nachtwächter interessiert mich nicht. Aber als Jugendlicher habe ich in einem Hamburger-Grill gearbeitet. Ich konnte Hamburger schneller umdrehen als jeder andere in meinem Team.
Was ist denn das Geheimnis eines schnellen Burger-Flips?
Man muss den Grill wirklich gut organisieren, die Hamburger schön ordentlich und dicht beisammen aufreihen, und dann, wenn die eine Seite gar ist, schnippt man sie aus dem Handgelenk auf die andere Seite, flip, flip, flip, flip...
Sie hätten also auch bei McDonald's Karriere gemacht.
PrettyBurgers (lacht), meine Hamburgerbude hiess PrettyBurgers.
Können wir noch mal über den drastisch abgestürzten Kurs von Sun sprechen?
Gut, ernsthaft. Natürlich sehe ich das nicht gern, wenn der Kurs abstürzt. Wir hatten den grössten Marktanteilzuwachs für Server im vergangenen Jahr, haben IBM in den USA überflügelt und sind weltweit die Nummer zwei. Wir hatten das beste Jahr innerhalb der letzten Dekade. Und trotzdem wurde unser Aktienkurs zusammengeprügelt. Man muss versuchen, den Kurs und den realen Wert voneinander zu trennen und sich die wichtigen Fragen vor Augen halten. Baust du wirklich eine Unternehmen, das auch noch in 20 Jahren in der Topliga spielt? Hast du dafür die richtige Strategie?
Sun hat als eine der wenigen Unternehmen im Silicon Valley einen drastischen Stellenabbau vermieden. Stattdessen schicken Sie die Leute eine Woche unbezahlt nach Hause. Hat der Sun-COO mehr Skrupel als andere Firmenchefs?
Das wichtigste Kapital im Hightechbereich sind die Mitarbeiter, speziell die Leute in der Forschung und Entwicklung. Entlassungen müssen meiner Meinung nach als allerletzte Notmassnahme reserviert bleiben. Man darf die längerfristige Zukunft nicht für ein paar kurzfristige Gewinne aufs Spiel setzen. Aber wir sind sehr aggressiv daran, unsere Kosten zu trimmen.
Stehen Entlassungen für Sie also nicht zur Debatte?
Sag niemals nie. Gott helfe uns, wenn die Wirtschaft noch schlechter läuft und wir weltweit in eine Rezession stürzen.
Greenspan hat die Zinsen aggressiv gesenkt. Sehen Sie keine Wirkung?
Die Realitäten in Kalifornien sprechen dagegen. Die Elektrizitätspreise haben sich verdoppelt, Benzin kostet über 2 Dollar die Gallone (vier Liter), tausende von Leuten werden entlassen. Und nun denken Sie an eine Durchschnittsfamilie mit vier Personen, die hier lebt. Die wird erst mal auf die Anschaffung eines neuen Grossbildfernsehers verzichten.
Aber das sind reine Konsumgüter. Sun stellt hoch komplexe Computerserver für die Industrie her.
Wir sind am Ende der Futterpyramide. Wenn die Konsumenten aufhören zu kaufen, dann trifft uns das mit einer gewissen Zeitverzögerung. Auch Europa ist betroffen, wenn der amerikanische Konsument den Gürtel enger schnallt. Ein grosser Teil der europäischen Exporte geht doch in die Staaten.
Mit anderen Worten, Sun bereitet sich auf eine längerfristige Konjunkturabkühlung vor.
Wir wissen es einfach nicht. Ich sage Ihnen ehrlich, mir ist schleierhaft, wie der CEO unseres Konkurrenten auf der anderen Strassenseite - ich nenne keine Namen (Carly Fiorina, CEO HP, Anm. der Red.) -, behaupten kann, er habe den Boden der Konjunkturdelle gesehen. Ich würde ihn gerne fragen, wie er den Boden erkannt hat. Stand da ein Schild?
Sie hören sich recht pessimistisch an.
Ich bin ziemlich besorgt im Moment. Schlagen Sie die Zeitung auf, jeden Tag unerfreuliche Wirtschaftsnachrichten. Ich weiss nicht, wie viele Leute hier in der Region inzwischen entlassen wurden, rund 50'000. Was werden die alle machen? Ein bösartiger Zyklus ist in Bewegung gesetzt. Das Einzige, was wir hier im Moment wissen, ist, dass Rezessionen kommen und früher oder später auch wieder gehen.
Worauf konzentrieren Sie sich in den harten Zeiten?
Das Wichtigste ist, das Team beisammenzuhalten und nicht ständig auf den Aktienkurs zu starren. Im Moment sind alle hypernervös, die Investoren, die Analysten, die Wirtschaftspresse, alle.
Sind die Leute in ihrer Erwartung unvernünftig?
Das Internet ist ein zweischneidiges Schwert. Diese mächtige Erfindung hat den Leuten beigebracht, sofortige Belohnung für ihre Handlungen zu erwarten.
Vermissen Sie die Geduld?
(Seufzt) Wo man hingeht, es wird über Aktien gesprochen. Ich gehe zum Zahnarzt, und während der in meinem Zahn bohrt, flimmert der Aktienticker am Fernsehen über meinem Kopf. Alle haben das Gefühl, sie müssten am Morgen auf die Schnelle ein paar Dollar verdienen.
Worüber beklagen Sie sich?
Ich kann mich erinnern, wie letztes Jahr Sun einen Börsenwert von über 200 Milliarden erreichte. Ich sass in meinem Büro und war richtig stolz und aufgeregt. Aber später bin ich heim und sagte zu meiner Frau: «Ich weiss, wir sind gut, verdammt gut, aber sind wir 200 Milliarden wert?»
Hört sich an, als plagen Sie Zweifel am eingeschlagenen Weg?
Die Dinge werden sich schon einpendeln. Aber zu der Euphorie der letzten Jahre kehren wir nicht mehr zurück.
400 Leute in der Schweiz
Ed Zander, 54, stiess 1987 zu Sun Microsystems, wenige Jahre nach der Firmengründung 1982. Seit 1998 führt Zander als Präsident und Chief Operating Officer das Zepter im täglichen Geschäft. Er bildet mit Chief Executive Officer Scott McNealy die Führungsspitze des Konzerns. Letzten Mai ernannte das US-Wirtschaftsmagazin «Businessweek» Zander zu einem der Top 25 «masters of the web world». Zander hat eine Ausbildung als Ingenieur und einen MBA von der Universität Boston.
Sun Microsystems war gemäss Marktforschern 2000 der am schnellsten wachsende Serverhersteller und hat den Sprung auf Platz zwei knapp hinter IBM geschafft. Daneben verteidigte Sun im Jahr 2000 seine Rolle als Marktführer im Unix-Servermarkt. Die Firma vertrat früh die Auffassung, dass das Netzwerk eigentlich der Computer sei. Damit die Computer miteinander kommunizieren können, hat Sun die offene Programmsprache Java entwickelt. Der Umsatz von Sun erreichte rund 15,7 Milliarden Dollar. Das Unternehmen zählt 36'000 Mitarbeitende, davon rund 400 in der Schweiz.
«Heute gegen das Internet zu wetten wäre vergleichbar mit einer Wette gegen die industrielle Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts.»
Ed Zander
Sun bolzt Umsatz
9-Monats-Zahlen, in Mrd Dollar
Umsatz: 14,26 (+ 24,9 %)
Forschung & Entwicklung: 1,5 (+20,4 %)
Betriebsgewinn: 1,49 (- 0,9 %)
Reingewinn: 1,07 (- 4,8 %)
Das Platzen der Internetblase hat den Kurs von Sun Microsystems in die Tiefe gerissen, zumal der Multi auch unter sinkenden Margen leidet.
Foto: Thomas Kern/Lookat
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