Liebe Brüder und Schwestern, ehemalige Leidensgenossinen und Leidensgenossen, Schöölerinnen und Schööler der höheren Lehranstalten, verehrte Anwesende,
wir wollen uns zu diesem Anlaß einmal der Bildung widmen, den Früchten daraus, der Nahrung davon, den Kosten und des Nutzens. Und des Wunderns natürlich.
Sicherlich erinnern wir uns alle noch an den bedeutungsvollen Tag, an dem wir im Kreise wohlwollender Angehöriger die Schwelle der heimischen Grundschule überschritten, eine Tüte mit Leckereien in der Hand, den photoknipsenden Vati irgendwo hinter dem Getümmel wissend, und so betraten wir unwissend und arglos den Boden der Bildungsanstalten, die uns für die kommenden kürzer oder länger währenden Zeiträume eine Heimat sein sollten.
Gespannt bekamen wir nur andeutungsweise mit, was uns die nächsten Jahre, gar Jahrzehnte, blühen sollte........
Unter den Geringen starteten wir mit gespitztem Bleistift in die Zukunft der Schönschreibung, welche nach Jahren des Schulstresses bei manchen zur berühmten Doktorspfote mutierte, und stolz durfte man sein, einen Füllfederhalter benutzen zu dürfen, so man die Eintrittsvoraussetzungen in das Land des Erwachsenen, äh, also, in das, das wir damals als das Land der Erwachsenen betrachteten ;-), erfüllt hatte.
Schon bald selektierte, ja, liebe Anwesende, selektierte das Schuldasein unerbittlich die Kindlein in Begabte, in Durchschnitt, und in Dödel.
Es ist mir wie gestern erinnerlich, wie doch die Rechtschreibung des Wortes"Vögel" verballhornt wurde durch einen damaligen Mitschüler, jedoch keineswegs absichtlich, nein, ganz wider besseres Wissens, und so schrieb der arme Klassenkamerad von"föckeln" und von allerlei anderem Getier, das sich im Duden nicht wiederfand.
Nein, auch an das böse garstige Wort mit"F" dachte damals noch niemand, waren wir doch noch unschuldige Nestlinge unserer beschützenden Eltern. Aber dies sollte nicht mehr allzu lange dauern.
So begab es sich, daß schon in der Grundschule drei Mitschülerinnen und Mitschüler das KLassenjahr wiederholen mußten, ein für die anderen völlig unverständlicher Vorgang.
Es sei erläutert, daß zwei davon keine leiblichen Eltern zur Seite stehen hatten, sondern von Pinguinen, äh, also, na, halt im Kinderheim wohnen mußten, und ein Mädel sollte später mal den einzig verbliebenen Bauplatz des Dorfes erben, satt siebenstellig, da war die Grundschule sicher vergessen.
Kommen wir zurück in unser Dasein der Schulheit und Kinderheit, und erinnern wir uns, als es darum ging, den weiteren Weg in die Drei-Klassen-Gesellschaft zu wählen, oder eben in den verbleibenden Weg gezwungen zu sein.
Die glücklichen (?) Gymnasiasten durften alsbald morgens immer eine Stunde früher aufstehen, denn sie mußten mit dem Zug 25 km fahren, als die ortsansässigen noch friedlich schlummerten - dafür hatte dies den entscheidenden Vorteil, früh im Zug die Hausaufgaben machen zu können ;-).
Wir erfreuten uns an den Leibesertüchtigungen, die bei manchen völlig fehlschlugen, ach ja, seufz, und wetteten im Religionsunterricht während der Wintermonate, ob unsere schrullige altjüngferliche Lehrerin denn morgens in einer Schneewechte steckengeblieben sein mochte ;-).
Eine unvergeßliche Phase schloß sich an, als wir entdeckten, daß die Mädels nicht nur zum Ärgern da waren und die Jungs nicht nur, um den Kraftmeier zu zeigen.
Wie gern würden viele von uns diese unbeschwerte Zeit der knisternden und prickelnden Momente, unschuldig und unvergleichlich, noch einmal erleben, wieder und immer wieder.
Niemand kannte das moderne Scheidungsrecht, man dachte doch nicht an den Tag x plus 20 Jahre, und überhaupt bestand der Alltag nur aus den nächsten Prüfungen, dem allgegenwärtigen Notendruck, dem damals noch friedlichen Kampf gegen die Pauker und der Vorfreude auf die nächsten großen Ferien.
Noch dachte sich niemand etwas dabei, seitenweise die fiktiven Intentionen altehrwürdiger oder auch als mieses Beispiel abschreckend Dargestellter Autoren auseinanderzuklabüstern, und was wußten die lieben Leererinnen und Leerer doch mehr als die Schreiberlinge selbst.
Kein Text war zu unsinnig, kein Gedicht zu blöde, um es seitenweise zu anal-ysieren, und wehe dem, der hinter dem Geschreibsel einen dümmlichen Geist und einen wenig ehrwürdigen Hintergrund vermutete, er bekam schonungslos die Fünf, wovon Baldur als kindlicher Ketzer vielerlei zu berichten wüßte.
Keiner von uns Kindlein wird geahnt haben, welches eherne System hinter der Fassade schlummerte.
Als die Abiturienten ihre Abschlußfeier durchlebten, Baldur hatte locker mehr als 5 Promille und weiß nur noch, daß er anderntags spätnachmittags daheim aufgewacht ist, schieden sich abermals die Kollegen, denn nun stand es für die vermeintlich harten von uns an, 12 Jahre der Republik und den sonst unfähigen Olivgrünen zu dienen, und es war, als ob diese anderntags zum Schaffott geführt werden sollten, es waren die kläglichsten und ärmsten der Runde.
Die anderen planten Urlaub, das Studium, hatten als WPfls einzurücken, Urin umherzutragen, oder arbeiteten weiter wie bisher.
Aus Kindern waren Erwachsene geworden, und sofern es im ländlichen Umfeld geschah, so war es auch im Angesicht der Grabenkämpfe mit politisch anders eingestellten LehrerInnen durchaus eine Zeit, die man als wohldurchlebt bezeichnen kann.
Eine abermalige Selektion schloß sich an, als über die beruflichen Ausbildungen zu entscheiden war.
Unser werter BerufsABrater, der nicht müde wurde zu warnen, ihr Traumberuf ist längstens dicht, wurde nicht mehr ernst genommen, und die längerfristigen Neigungen bahnten sich Bahn. Oder auch nicht, und etwas anderes geschah.
Witzbolde mit Abiturnote 4,x hatten Glück und bekamen einen Platz für Zahnmedizin, schüchterne Techniker wurden von der Lawine der Antragsteller überrollt und warteten Semester um Semester im Taxi auf eine erlösende Nachricht, nervenschwache Bübchen avancierten zu Nervenärzten, und die damaligen enfants terrible sind auch heute noch die uneinteilbaren Wunderkinder, Ketzer und Unangepaßte geblieben (so lautet denn auch die effektive Inhaltsbeschreibung des Begriffs"freischaffender Wissenschaftler" schlicht ARBEITSLOS).
Nach einer Unzahl von in stickigen Räumen verbrachten Jahren standen wir irgendwann, manchmal gleichsam überrascht und nicht erkennend, daß es endlich vorbei war, in der Welt der Wirklichkeit.
Freude und Zukunftsangst mischten sich zu einem Konglomerat von Berufsbeginn, das ein jeder anders erlebte.
Wer nebenher bereits berufsbegleitend tätig war, um das unsägliche Wort"jobbte" zu vermeiden, konnte meist nahtlos anschließen, aber die aus dem Wolkenkuckucksheim ausgespieenen Akademikerinnen und Akademiker erwartete das eisige Bad der Wirklichkeit, schwemmte die selbstverständlichen Erwartungen und Träume hinweg.
Vielzählig waren die Erlebnisse, die die vergangenen Jahre als kontaproduktiv geißelten, und Andre Kostolanys legendäres Wort machte die Runde, wonach man besser unverzüglich zu vergessen habe, was man jahrelang zu assimilisieren hatte.
Liebe Brüder und Schwestern, was wurde doch alles verzapft in den muffigen Hallen der universitären Halbkultur, welche Phrasen wurden gedroschen, welche Formeln herabgebetet, und wie oft begab es sich, daß der Proff selbst nicht mehr weiter wußte und von seinen Hiwis erlöst werden mußte, die Gleichung aus dem fossilen Nachschlagewerk heraus zu lösen.
Gar unfassliche Dinge wurden dort ins kleinste analysiert, die es doch in der Wirklichkeit nicht zu geben schien.
Der Schweinezyklus war etwas volkswirtschaftliches, obwohl man doch meinen mochte, es beschriebe die Zustände in den Toiletten der künftigen Elite der Nation.
Ja, wie oft wurden wir brüskiert, welche Charaktäre sich hinter den Fassaden der Lehrstuhlinhaber, der Lehrstuhlschläfer, der Lehrstuhlhiwis und der Lehrstuhlkronprinzen verbargen, und wie verdreht wurde auch so mancher Charakter der Studierenden, die da ja mit erfolgreichen Abschlüssen nach Hause kommen wollten und nicht mit einer Fünf wegen unwissenschaftlicher, weil zu praxisnaher Arbeit.
Nun wird man mit Recht annehmen können, daß eine derartige Ver-Bildung nicht erstrebenswert sein könne, und dennoch werden die Absolventen zu berichten wissen, wie wichtig im Detail oft eine inhaltsleere, aber wohlklingende Floskel wirkte, die man nicht im Alltag, aber im Wolkenkuckucksheim der universitären Ergüsse zu hören bekam, und sie gleichsam verinnerlichte.
Abstoßendes Amtsdeutsch kann die rettende inhaltsleere Distanz zum Betriebsprüfer herstellen, absonderliche Umschreibungen können einen Tatbestand vom Unrecht zum Recht verkehren, und eine Ansammlung von Fachidiotiefloskeln machte nicht selten einen künftigen Berater aus, der das mehrfache der Beratenen verdiente, das heißt, als Gehalt bezog - was er verdiente, lassen wir hier besser außen vor.
So begab sich eine unglaubliche integrative Wirkung, daß doch ein jeder an der Basis der riesigen Pyramide an der Grundschulpforte später seinen Platz in der Gesellschaft fand, was man nur zu oft nie für möglich gehalten hätte.
Ist man ehrlich, so sind locker 95% des angelernten Wissens nur Prüfungsballast gewesen, wenn man vielleicht von Medizinern absieht, und auch die sollen ja angeblich rein gar nix richtiges wissen ;-).
Die gescheitesten waren die Bänker, sie verdienen schließlich an dem Geld, das andere mühsam verdient haben, ohne selbst gleiches zu tun.
Ein Lehrer möchte ich heute nicht sein, zu bitter sind die Mitteilungen, wie sich die heutige Jugend benehmen soll.
Und bevor der Baldur ein Dipl.Fin.Wirt geworden wäre, hätte er sich lieber an eine Ecke mit einem selbstgeschriebenen Schild und einer Ziehharmonika gesetzt, jeder halt so, wie er meint.
Ein paar wurden Priester, einer wurde Zuhälter, der Sohn unserer Lehrerin meinte, es sei Wissen genug, sein Geld zählen zu können, und ein paar sind ausgewandert.
Ketzer wurden nicht viele, aber einen davon kenne ich.
Und der grüßt Euch herzlich an einem lauen Frühsommerabend, Euer Baldur
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