>Hallo,
>folgendes geht mir gerade durch den Kopf, und
>vielleicht möchte hier gerne jemand mit mir
>darüber nachdenken:
>Nachdem zum Beispiel der Nasdaq im Frühjahr auf
>Tauchstation gegangen war, geisterten in US-Medien
>Zahlen herum, die, ausgedrückt in Billionen Dollar,
>die unglaubliche Größenordnung der damit angeblich
>verbundenen Kapitalvernichtung beschreiben sollten.
Was ist"Kapital" bzw. wie könnte es demnach vernichtet werden?
1. Sachkapital. Kann immer nur etwas sein, das bereits bezahlt ist (Finanzierung egal). Nehmen wir eine fertiges Stahlwerk. Das ist bezahlt und jetzt also Kapital. Erwirtschaftet das Stahlwerk nicht die darin investierten Beträge (ex EK, FK usw.), ist es eine"Fehlinvestition" und muss entsprechend"wertberichtigt" werden, d.h. das Kapital vermindert sich entsprechend. Ansonsten wird es normal"abgeschrieben" - pro rata temporis - bis sein Wert wieder auf null angekommen ist. Kapital entsteht und vergeht so jeden Tag weltweit.
2. Finanzkapital. Schon schwieriger, da es nur dann"Kapital" ist, wenn die in dem - auf (fast) wertlosem Papier - festgehaltenen Versprechen, den dafür gezahlten Betrag plus die Zinsen sich auch realisieren lassen (weiß man aber erst bei Endfällligkeit). Geht der Schuldner pleite, ist das"Kapital" sofort weg (bestenfalls noch ein"Hoffungswert", siehe die Staatsschuldenpapiere Russlands, Chinas aus früherer Zeit usw.).
3. Aktienkapital. Steht in den Unternehmen auf der Passivseite (quasi als"Schuld" den Eigentümern gegenüber). Ist dann existent, wenn voll eingezahlt. Wenn die Firma aus der Gegenbuchung (siehe oben Sachkapital) nichts Gescheites zu machen versteht, mindert sich das AK - sprich der"Wert" der Firma entsprechend (u.a. an der Börse durch fallenden Kurs des AK zu bemerken).
Anderes"Kapital" gibt es nicht. Die Aktienkurse beziehen sich jeweils nur auf die jeweils letzten Transaktionen, egal wieviel Stück" umgegangen sind. Wird eine einzige (!) MSFT-Aktie zu einem Dollar umgesetzt, ist der Kurs (Wert) a l l e r anderen x-Millionen MSFT-Aktien ebenfalls sofort nur 1 Dollar.
Von Börsen"kapitalisierung" bzw."Kapitalvernichtung" zu sprechen, ist komplettes Brainwashing. So etwas gibt es n i c h t.
Oder mal krass: Würden alle (!) Aktien eines Unternehmens an einem Tag gehandelt und zwar zum Kurs 100 und wäre die Firma selbst der Käufer (um die Aktien, sog."Buyback"-Programme, siehe IBMs Tricksereien, hier oft gepostet), dann hätte die Fa. diese Aktien zu diesem Kurs ein für allemal in ihrer Bilanz (Aktivseite) und würde sie anschliessend natürlich mit ihrem AK (Passivseite) verrechnen müssen, denn irgendwo muss ja das Geld hergekommen sein, um die Aktien zu kaufen.
Macht sie das mit EK, sind die Aktien verdampft, d.h. komplett zurückgezahlt, sie werden anschliessend vernichtet (mal abgesehen von den Optionsprogrammen, die ich als AG nur auflegen kann, wenn ich eigene Aktien im Stock habe). Wo wäre dann das"Kapital"? (Kapital ist in den Bilanzen immer ein Passivposten, was"dagegen" auf der Aktivseite steht, ist völlig offen, es heisst"Vermögen", alias es ist das, was die Firma mit ihren dort verbuchten Aktiva"vermag".
Hofmann-LaRoche hat mal sein gesamtes AK zurückgezahlt und da erschien dann auf der Passivseite noch 1,- Franken"Kapital" (als bilanzüblicher"Erinnerungsposten"). Damit waren alle Aktivposten den Roche natürlich nicht entwertet, auch wenn die ebenfalls nur noch mit jeweils 1,- Fr. in der Bilanz standen (Grundstücke, Patente, Werksanlagen, Maschinen usw.). Es war übrigens die schönste Bilanz, die ich je gesehen habe. Kurzform: Aktiva: Cash, Passiva: Gewinn.
Das einzige"Kapital", im Sinne von"Vermögen", das Aktien haben, ist ihre Beleihungsfähigkeit bzw. die - nirgends garantierte Chance - dass jemand daher kommt und die Titel via Börse abkauft.
>Diese Berechnungen klingen im ersten Moment auch
>vollkommen logisch, denn der Gesamtwert aller Aktien
>hat sich schließlich stark vermindert und viele Leute
>haben viel Geld verloren.
Sie haben kein"Geld" verloren, welches denn? Wenn ich Geld verliere, dann auf der Straße oder beim Taschendieb. Was sie verloren haben ist bloss die ILLUSION, die eigenen Aktien zu Kursen verkaufen zu können, die es nicht mehr gibt. Hat jemand Aktien höher gekauft als er sie dann verkaufen muss oder verkauft, verliert er die Differenz. Aber erst dann.
>Nur: Wohin verschawnd das Kapital?
Da es das nicht gegeben hat - denn Träume und Schäume sind kein"Kapital" - ist nur eins verschwunden: Die ILLUSION.
>Oder anders gefragt: Kann am Aktienmarkt überhaupt
>Geld geschaffen bzw. vernichtet werden?
Geld"geschaffen", wenn sub summa aller alten Aktionäre neue, zusätzliche Aktionäre auftreten, die sich das Geld für den Aktienkauf erst selbst beschaffen müssen - und zwar durch - sub summa - zusätzliche Verschuldung, da es Geld bekanntlich nicht"netto" gibt. Unter"zusätzlich" können natürlich auch die Altaktionäre fallen, die ihre Depots aufstocken.
Umgekehrt - also nach unten - geht's genauso. Habe ich mir Aktien auf Kredit gekauft, und die Aktien werden wertlos, muss ich den Kredit nach wie vor zurückzahlen. Woher ich das Geld nehme, ist dann mein Problem.
>Ich meine: (prinzipiell) Nein.
Siehe dazu das bereits Gesagte.
>Oder ist der Handel mit Aktien (wenn man mal die
>ohnehin immer geringer werdenden Dividendenzahlungen
>ausklammert) unterm Strich nicht vielmehr ein Null-Summen-
>Spiel,
NEIN. Die Börse ist kein Nullsummenspiel in dem Sinn, dass alle gleich"reich" bleiben, so nach dem Motto: Dein Geld ist nicht weg, es hat nur ein anderer. Gehen alle Kurse über Nacht auf null, haben alle Aktionäre genau das verloren, was sie einst für die Käufe bezahlt haben und niemand (!) hat das Geld gewonnen.
Umgekehrt: Verdoppeln sich über Nacht alle Kurse, die ja zunächst Geld-Kurse sind (also das Angebot, Aktien zum neuen Kurs zu kaufen - gegen"Geld" eben), und das wird durchgehalten, weil alle Geld-Kurs-Bieter alle angebotenen Aktien klaglos bis zum letzten Stück aufnehmen, dann sind die Verkäufer um den Betrag reicher geworden, aber da die Geld-Leute das Geld sich - sub summa - selbst leihen mussten (von Depotumschichtungen, etwa Bond-Verkäufen, Hausverkäufen usw. jetzt mal abgesehen, aber es wäre genau dasselbe für die Käufer von Bonds und Häusern usw.), sind wir wieder dort, wo wir hergekommen sind: Geld gibt's nicht netto, also gibt's in der Wirtschaft niemals so etwas wie Nullsummenspiele.
>das im Wesentlichen mit dem Wettrennen zwischen
>Hase und Igel vergleichbar ist - soll heißen, wo Kapital
>von den dummen Spielern zu den schlauen fließt, wennn
>ich das mal so salopp ausdrücken darf?
Ja, an der Börse gibt's immer Dumme und Schlaue. Wer zu welcher Fraktion gehört, ergibt sich schon aus dem nächsten Kurs. Das ganz große Bild betrachtet: Es gibt immer die Phase der"Distribution" (Joe Granville lesen), in der die Fat Cats die Aktien langsam in die Depots der Doofen umschichten, weil sie zu ahnen glauben, was an der Börse demnächst los sein wird (abwärts).
>Und ist die unglaubliche Aktienmanie, die wir jetzt
>beobachten, letztlich nichts anderes als ein verstärkter
>Umverteilungs-Effekt (quasi ein"Turbo-Umverteiler"), der
>sich zum Zinseszins-Effekt hinzu gesellt?
Umverteilung erst, nachdem erfolgt. Zum Zinseszins, siehe JüKüs Chart de horreur, wo ja beim Dow mit einem 4,1 % Zinseszins gearbeitet wurde, gaaanz langfristig.
>Die Reichen (die Klugen) werden immer reicher und die armen
>(die geistig Benachteiligten) immer ärmer?
So ist die Welt nun mal konstruiert, bis dann eine Revolution (lateinisch: revolvere = das unterste zu oberst kehren) alles wieder"nivelliert", mal ins Geschichtsbuch schauen (angefangen bei Plato, Sparta, Moses usw.).
>Und zur Krise kommt es dann, wenn die Elite fast alles an
>sich gezogen hat und dann plötzlich feststellen muß, dass
>dies, gesamtgesellschaftlich gesehen, doch nicht so klug
>war, weil nun die Geschäfte schlecht gehen und einige der
>vielen Dummen nun merken, dass sie die Dummen sind?
Kann gut sein, sehr interessanter Gedanke. Dann hätten wir den nächsten TRIGGER für THE BIG ONE (WSJ:"the big Kahuna") auch entdeckt. Danke.
>Hinderlich wird für die Elite in dieser Situation nun auch
>die Demokratie als Regierungsform, weil die Stimmenverteilung
>nun aus ihrer Sicht so"ungerecht" wird.
Im Augenblick sitzen die FAT CATS und die Gläubigerfraktion fester im Sattel denn je (siehe Steuerreform, siehe Anti-Infla-Politik).
>Vielleicht wollen deshalb alle Schichten plötzlich das Gleiche:
>Den neuen starken Mann?
Soweit sind wir noch lange nicht. Und wenn, dann erst in der DeDe, unter der die breite Masse am stärksten leidet.
>
>Würde mich über Meinungen dazu sehr freuen.
>MfG: Erwin
MfG
d.
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