Hier ein Artikel aus der Sonntagszeitung (CH) von heute:'
'E-Commerce' war ihr letztes Wort
Neuerdings zirkulieren so genannte Todeslisten jener Dotcom-Firmen, denen bald das Geld ausgehen
Zürich. Im E-Commerce herrschte diese Woche helle Aufregung: Ständig wurden neue Listen virtueller Unternehmen veröffentlicht, denen bald das Geld ausgehen soll. Die prominentesten Opfer: Der Buchhändler Amazon.com, das deutsche Auktionshaus Ricardo.de und sogar die Suchmaschine AltaVista.com.
Grund für die Mutmassungen ist die Krise der so genannten New Economy. Im Mai hatte der britische Kleiderversand Boo.com die virtuellen Pforten geschlossen, kurz danach folgte der US-Spielwarenhändler Toysmart.com. Seit Januar haben die so genannten Dotcoms in den USA mehr als 5300 Angestellte entlassen, mindestens 18 stellten den Betrieb ganz ein. Allein im Juni mussten gemäss Angaben der Personalberatung Challenger, Gray & Christmas 1263 Mitarbeiter von 17 Internetunternehmen ihre Plätze räumen. Kein Wunder, herrscht Nervosität.
Am Ende müssen vielleicht, wie etwa bei Toysmart, die Kunden die Zeche bezahlen. Am Montag leitete die US-Handelskammer ein Verfahren gegen den Pleitier ein: Der hatte versucht, seine Kundenliste meistbietend zu verkaufen. Seither streiten sich Nachlassverwalter und Anwälte - die einen wollen möglichst viel aus der Konkursmasse lösen, die anderen drängen auf den Schutz der Privatsphäre. Tatsächlich sind in den Konkursmasse virtueller Kaufhäuser die Kundendatei und einige PCs oft das Einzige von Wert.
Am Vorabend wurde die Erstnotierungen wieder verschoben
Solche Vorkommnisse schmälern das Vertrauen von Käufern und Geldgebern. Im rauen Klima misslingen sogar Börsengänge. Am Mittwoch sollten die Aktien des Gruppeneinkäufers Letsbuyit.de in Deutschland ertsmals gehandelt werden. Doch am Vorabend wurde die Erstnotierung ein zweites Mal verschoben - wie schon im Mai, ebenfalls Stunden vor der Neuemission. 'Im aktuellen Marktumfeld', sagt Vorstandschef Martin Coles, 'können wir nicht mit einer fairen Bewertung des Unternehmens rechnen'.
An der Börse lassen sich nicht mehr Unsummen abschöpfen
Mit anderen Worten: An der Börse sind zurzeit nicht die Summen abschöpfbar, mit denen die Online-Firmen in ihren Zukunftsplänen rechnen. Das weiss man längst auch beim deutschen Gratis-Mail-Dienst gmx.de. Der hat nach eigenem Bekunden zwar mehr als fünf Millionen Mitglieder, aber Interessenten für die eigenen Papiere sind Mangelware - der Börsengang im Mai wurde abgeblasen. jetzt will man sich mit Krediten helfen, bis bessere Zeiten anbrechen.
Renommierte Firmen wie PricewaterhouseCoopers und Bertelsmann ('Platow-Brief') lassen mittlerweile richtige 'Todeslisten' von E-Commerce-Unternehmen zirkulieren. Demnach soll etwa Ricardo.de im Februar 2001 das Geld ausgehen, dem Online-Reisebüro eBookers.com bereits im November. Die Betroffenen wehren sich vehement, reden von Geschäftsschädigung und falschen Berechnungen. Nur: Auf den aus verschiedenen Quellen stammenden Listen tauchen immer wieder die gleichen Namen auf.
Bereits im September 1997 prognostizierten US-Marktforscher der Gartner-Group, in den nächsten drei Jahren würden 75 Prozent aller E-Händler aus dem Netz verschwinden. Da könnte es noch mehrmals geschehen, dass gesammelte Kundenprofile plötzlich an fremden Orten auftauchen. Wenn es zur Pleite kommt, ist der auf Webseiten grossmundig versprochene Schutz der Privatsphäre oft nur noch Makulatur
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