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1.5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Das vorliegende Kapitel hat drei Fragestellungen untersucht:
•Warum überhaupt, d.h. aus welchen ökonomisch plausiblen Motiven werden heutzutage
Inter-Banken-Kredite vergeben?
•Welche Aussagen lassen sich treffen über einen allfälligen Zusammenhang zwischen Inter-Banken-
Krediten und systemischem Risiko? Respektive präziser: Welche Mechanismen
lassen sich isolieren, die eine risikoverstärkende oder - gerade umgekehrt - eine
risikoreduzierende Wirkung von Krediten zwischen Banken erwarten lassen? Insbesondere
war hier der Frage nachzugehen, wie das Zauberwort"Systemrisiko" operationalisiert
werden kann.
•Welche Schlussfolgerungen lassen sich hieraus für eine eventuelle, auf die Risiko-wirkungen
von Inter-Banken-Krediten ausgerichtete Bankenregulierung ziehen?
Sowohl aus theoretischer als auch aus praxisorientierter Sicht ist deutlich geworden, dass
es sich beim Phänomen des systemischen Risikos nicht lediglich um ein durch theoretische
Argumente motiviertes Problem handelt, sondern dass Systemrisiko tatsächlich zu einer für
die Realität der Bankenwelt bedrohlichen Erscheinung werden könnte und mindestens partiell
von Bankenseite auch als gefährlich eingeschätzt wird. Es darf davon ausgegangen werden,
dass trotz erheblicher Systematisierung und Zentralisierung des Risk Managements in den
letzten Jahren viele Banken die Problematik korrelierter Gegenparteirisiken tendenziell
unterschätzen. Gegenparteirisiken dürften in hohem Masse mit den zugrundeliegenden
Risiken korreliert sein. Zusätzlich sind Gegenparteirisiken über die Zeit variabel und endogen,
da sie von der Entwicklung des ganzen Netzwerkes von Verträgen der Gegenpartei, den
Gegenparteien der Gegenpartei usw. abhängen. Wenn Banken das Problem korrelierter
Gegenpartei-Kreditrisiken (zum Beispiel in Derivativmärkten) als Systemproblem inter-pretieren,
um welches sich die Zentralbank(en) zu kümmern hat (haben), so hätten diese
Banken auch einen geringeren Anreiz, sich um diese Risiken sowie ihre Korrelationen zu
sorgen. Insofern wird ein weiteres Moral Hazard-Problem impliziert.
Im Fallbeispiel von Barings Brothers konnte ein einzelner Händler, vom Head Office
praktisch unkontrolliert, innerhalb weniger Tage eine riesige, ungedeckte Position aufbauen.
Hier wird der Einfluss von Bonus-Systemen zur Steuerung des Verhaltens einzelner Händler
drastisch exemplifiziert. Es scheint zuwenig berücksichtigt worden zu sein, dass hohe Erträge
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eines Händlers oder Teams nicht mit hoher Fachkompetenz und/oder hohem Arbeitseinsatz
korreliert sein müssen, sondern ebenfalls Ausdruck hoher, z.T. exzessiver Risiken sein
mögen."The problem is exarcerbated when professionalization induces the illusion that one
has all risk under control whereas in fact one sees only those risks that one knows from the
Black-Scholes formula" (HELLWIG (1995), S. 15).
Dieses Kapitel gab einen Überblick über den theoretischen und empirischen Stand der
Literatur zur Thematik. Ausgehend von Überlegungen zu möglichen ökonomischen
Funktionen von Inter-Banken-Beziehungen wurde anhand ausgewählter Beispiele aus der
Literatur versucht darzulegen, welche Mechanismen und Effekte Inter-Banken-Geschäfte
möglicherweise systemrelevant werden lassen. Zusammenfassend bleibt hierzu festzuhalten,
dass sich sowohl für risikoverstärkende als auch für risikoreduzierende Effekte von Inter-Banken-
Krediten theoretische Argumente finden lassen, welche in geeigneter Weise
gegeneinander abzuwägen sind. Zur Klassifikation möglicher Systemeffekte wurde
differenziert zwischen verschiedenen von Inter-Bank-Kreditbeziehungen ausgehenden
Wirkungen auf das Finanzsystem. Insbesondere wurde unterschieden zwischen den
Auswirkungen von Makroschocks auf der einen Seite sowie eigentlichen
Systemzusammenhängen auf der anderen Seite. Als mögliche Systemzusammenhänge wurde
dabei auf Informations- und auf Dominoeffekte hingewiesen.
Die heutige Bankenregulierung ist stark einzelinstitutsorientiert und zieht Systemeffekte
relativ wenig in Betracht. Die Diskussion möglicher Konsequenzen der Analyse von Funktion
und Risikowirkungen von Inter-Bank-Geschäften ging aus von Erwägungen betreffend den
allfälligen Bedarf einer auf die Eindämmung von Systemrisiko ausgerichteten Regulierung.
Hier wurden verschiedene Versionen von Excessive Risk Taking und deren Implikationen für
die Bankenregulierung untersucht. Bei der Darstellung grundsätzlich denkbarer
Regulierungsansätze wurde differenziert zwischen Massnahmen der Schadensbegrenzung
einerseits (Suspension of Convertibility, Lender-of-Last-Resort-Funktion der Zentralbank)
sowie Massnahmen der Verhaltenssteuerung anderseits (Eigenkapital-Vorschriften, Depo-sitenversicherung).
Die Erforschung möglicher Mechanismen zur Ausbreitung von Schocks
im Bankensystem ist unter anderem für die Evaluation und gegebenenfalls Ergänzung des
regulatorischen Umfelds wichtig. Grundsätzlich zeichnet sich ab, dass heute die eigentlichen
Gefahrenpotentiale im Bankensystem weniger durch die Möglichkeit von konventionellen
Bank Runs als durch die direkte Vernetzung zwischen Banken generiert werden. Während zur
Bekämpfung von Bank Runs gewisse, wenn auch mit Mängeln behaftete Lösungs-mechanismen
bestehen, ist zurzeit noch weitgehend offen, welches der Impact der System-problematik
auf die Bankenregulierung sein soll. Insbesondere sind die Anreizwirkungen
verschiedener Regulierungsmassnahmen weder theoretisch noch empirisch eindeutig. Als
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erste Massnahme dürfte die Schaffung erhöhter Transparenz über potentiell systemwirksame
Geschäfte in die richtige Richtung weisen. Ebenfalls zeichnet sich heute bereits ab, dass es
vorteilhaft sein dürfte, wenn in Zukunft diese Berichterstattung sowie die Bankenaufsicht
allgemein international ausgerichtet wären.
Etliche weitere Fragen in Zusammenhang mit Aspekten systemischen Risikos sind noch
weitgehend ungeklärt. So ist beispielsweise fraglich, welche Rolle die Einbettung von
Kreditproblemen in ganze Zahlungssysteme mit den hiermit verbundenen zusätzlichen
Abwicklungsrisiken spielt. Bis heute darf als weitgehend ungeklärt gelten, welche
diesbezüglichen Gefahrenpotentiale in Zahlungsverkehrssystemen wie CHIPS oder
FEDWIRE stecken. Diese Frage wurde bewusst aus dem vorliegenden Kapitel ausge-klammert.
Zwischen dem Umfang des bisherigen theoretischen Wissens über systemische
Zusammenhänge und der potentiellen Relevanz von Systemrisiken für die Praxis besteht eine
bemerkenswerte Kluft, vgl. hierzu AGHION, BOLTON und DEWATRIPONT (1999):"Surprisingly,
the issue of systemic risk in banking, and more specifically the risk of contagion in bank
failures has received only limited attention in academic research" (p. 4). Aus empirischer
Sicht fehlen ein operationalisierter Systemrisiko-Begriff und aussagekräftige Daten; aus
theoretischer Sicht fehlen Untersuchungen, welche die in verschiedene Richtungen wirkenden
Effekte aggregieren. Die Herausforderung für die zukünftige Forschung wird primär darin
bestehen, anhand modelltheoretischer Überlegungen konkretere Vorstellungen über die
Risikoimplikationen von Inter-Banken-Krediten zu gewinnen. Hiefür wird es notwendig sein,
zunächst einen für die Analyse der Funktionen von Krediten zwischen Banken adäquaten
Modellrahmen zu schaffen. In weiteren Schritten gilt es, die Konzepte von Gegenparteirisiken
bzw. von der Korrelation solcher Gegenparteirisiken mit den zugrundeliegenden Risiken (z.B.
Zinsänderungsrisiko) zu präzisieren. Unter anderem bedarf auch das Zusammenspiel von
idiosynkratischen (d.h. bankspezifischen) und aggregierten Risiken einer modelltheoretischen
Analyse. Dies sollte es erlauben, zum einen Einsichten in das zugrunde liegende
Allokationsproblem zu gewinnen sowie zum andern aus vertragstheoretischer Perspektive die
optimale Ausgestaltung von Inter-Banken-Krediten zu charakterisieren.
Zurzeit muss davon ausgegangen werden, dass weder Regulatoren noch die Bankenwelt
selbst über zuverlässige Informationen darüber verfügen, wie stabil das heutige Finanzsystem
wirklich ist. Um zu vermeiden, dass wir uns diesbezüglich in falscher Sicherheit wiegen, ist
die Beschaffung weiterer Informationen sowie die vertiefte Auseinandersetzung mit endo-genen
Systemrisiken von grosser Bedeutung.
Hoffe Sie können etwas mit dem Text anfangen!
Werde ihn mir heute oder morgen richtig durchlesen. Das"Ãœberfliegen" klang zumindest interessant!
gruss mcmike
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