Er lässt die Kuh vom Himmel fallen
Was für ein Geräusch mag entstehen, wenn eine tote Kuh aus 40 Meter Höhe vom Himmel fällt, wenn sie - dank pyrotechnischer Füllung - explodiert auf dem Gelände der Backfabrik an der Prenzlauer Allee/Ecke Saarbrücker Straße? Heute Abend, irgendwann nach 21 Uhr, werden wir es wissen, wenn die von der Berliner Kultursenatorin unterstützte Kunstaktion"Fleisch" ihren Lauf genommen hat. Wir tippen aber einmal vorweg auf ein sattes"Flatz". Denn schließlich geht es hier keinesfalls um das Leiden des lieben Viehs für unser leibliches Wohl, sondern um eine in ihrer Unappetitlichkeit voraussichtlich besonders wirksame Werbemaßnahme des Münchner Künstlers Wolfgang Flatz. Der Verein der Berlin-Brandenburger Tierversuchsgegner hat bereits erfolglos um eine einstweilige Verfügung ersucht; nun soll noch schnell ein 13-jähriges Mädchen als persönlich Betroffene klagen - mit der nicht einmal übertrieben klingenden Begründung, das Zuschauen könne bei ihr einen"seelischen Schock" auslösen.
Pünktlich zur Love Parade möchte Flatz nämlich vor allem gern seine neue Single"Fleisch" zu Gehör bringen: In ihrem machtvoll stampfenden Bassgedonner (so klänge es wohl, wenn Rammstein den Soundtrack für"Godzilla" hätten komponieren dürfen) scheint sie in der Tat geeignet, den lauffaulen Massen das Marschieren zu versüßen. Zeilen wie"Gib mir dein Fleisch,/ ich geb dir meins,/ dann sind wir eins" klingen jedoch vergleichsweise zahm für einen"provokanten Kunstmacho" (Pressemitteilung), der sich früher für 500 Mark mit Dartpfeilen bewerfen ließ, Rechtsradikale erboste, weil er seine Dogge"Hitler" nannte, als Fußabtreter in der Münchner Kunstakademie diente oder sich 1989 in Tiflis als menschlicher Glockenschwengel zwischen zwei Stahlplatten bis zur Bewusstlosigkeit blutig bimmeln ließ. Zudem haben etwa die Fantastischen Vier das Thema des tabulosen Beischlafvollzugs längst rhetorisch kühner gelöst - mit dem Refrain"Gib mir deinen Saft,/ ich geb dir meinen."
So bleibt es wohl dabei, dass man sich mit Hilfe des mittlerweile 48-jährigen Flatz immer noch hervorragend ekeln kann - und dass heute Abend Verkehrsstaus zu erwarten sind. Die Prenzlauer Allee ist weiträumig abgesperrt, wenn das tote Rindvieh zur Detonation via Alexanderplatz eingeflogen wird (die BSE-Risikomaterialien übrigens müssen zuvor entfernt werden). Das Adorjan Quartett spielt mehrere Walzer, Paare tanzen dazu; wer nicht hinsehen will, kann Flatz’ Bilder und Installationen zum Thema"Fleisch" begutachten oder auf sein Mitternachtskonzert mit der Band Treibstoff warten. Während der halbstündigen Wir-lassen-die-Kuh-fliegen-Performance allerdings wird der Künstler nackt und kopfüber von einem Kranhaken hängen, präpariert mit blutenden Wundmalen an Händen und Füßen. Flatz scheint felsenfest im Glauben:"Christenfleisch ist leidendes Fleisch." Und im Übrigen, so ist es neuerdings von ihm recht weichlich zu hören, arbeite er lediglich seine"verlorene Kindheit" auf, in der er nur hätte funktionieren müssen. Dazu passt es grausig gut, dass auch die Kuh ihr Opfer völlig wehrlos zu erbringen hat.
Berliner Zeitung..
Ein Highlight, wie ich finde...
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