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Die neun Stufen der Eskalation von Konflikten
Nach F. Glasl
Im folgenden wird die Eskalationsdynamik von Konflikten anhand des Stufenmodells von Friedrich Glasl dargestellt. In seinem Eskalationsmodell spricht er von neun Stufen der Konflikteskalation.
1. Verhärtung
2. Debatte
3. Taten
4. Images, Koalitionen
5. Gesichtsverlust
6. Drohstrategie
7. Begrenzte Vernichtungsschläge
8. Zersplitterung
9. Gemeinsam in den Abgrund
Bevor jedoch die einzelnen Stufen besprochen werden sei noch gesagt, dass diese Stufenabfolge einer Konflikteskalation nicht immer zwingend ist. Es ist durchaus möglich, dass der Konflikt auf einer Stufe längere Zeit verweilt oder stehen bleibt. Auch ist es nicht notwendig, dass beide Konfliktparteien auf einer Stufe stehen.
z.B. kann eine Partei noch auf der Stufe 2 (Debatte) verweilen, während die andere Partei schon auf Stufe 4 (Images), Koalitionen) oder Stufe 5 (Gesichtsverlust) steht. Es können auch oftmals Stufen übersprungen werden, was allerdings ein Hinweis auf latente Beziehungskonflikte sein könnte. Auch der umgekehrte Weg ist möglich, also dass ein Konflikt ab einer gewissen Stufe wieder rückläufig ist. Dies wird besonders bei der Konfliktintervention versucht.
Allerdings ist diese Möglichkeit ab der Stufe 6 (Drohstrategien) nur noch begrenzt gegeben, da die Wahrnehmungs-, Gefühls- und Einstellungsprozesse dort schon soweit verzerrt bzw. polarisiert sind, dass eine Rückführung kaum noch möglich ist.
Diese Eskalationsstufen sind also ein Modell und Modelle haben die Aufgabe komplexe Realität für uns verstehbar zu machen.
Stufe 1: Verhärtung
Hauptmerkmale: Die erste Stufe der Eskalation unterscheidet sich äußerlich nur geringfügig von den alltäglichen Formen des entspannten Umgangs miteinander.
Auch ein gut funktionierendes Team muss ab und zu feststellen, dass Meinungen und Standpunkte manchmal nicht zusammen kommen. Auch in Ehen oder Freundschaften gibt es entgegengesetzte Erwartungen und Ideen, die nur mit größerer Anstrengung auf einen Nenner gebracht werden können.
1. Meinungen kristallisieren sich heraus und nehmen oftmals starre Formen an. Sie stellen dann einen ersten Wahrnehmungsfilter dar.
2. Die Parteien verzerren in ihren Wahrnehmungen und sehen bestimmte (meist die guten) Eigenschaften des Partners nicht mehr so klar.
3. In der Zusammenarbeit kristallisieren sich bestimmte Rollen heraus (z.B. der Schiedsrichter, der Führer...) besonders in Gruppenkonflikten lässt sich dies beobachten. Diese Rollen sind jedoch nicht beständig, sondern treten nur in Momenten der Versteifung und Verhärtung auf. Nachdem solche Momente öfter stattgefunden haben, kommen die Gruppen oder Individuen zu einem Lernergebnis. Die Rollenbildung scheint sich bewährt zu haben, um über Spannungen hinweg zu kommen. Dies gibt Sicherheit für die Beteiligten und wird zu etwas Normalen und Wahrscheinlichen, was allerdings mit größerer Anstrengung bearbeitet werden muss.
Dieses Abgleiten in die erste Eskalationsstufe zeigt aber, dass die Beteiligten nicht in der Lage sind kooperative Formen der Problemlösung anzuwenden. Die Parteien erleben es schnell als belastend, dass die Beziehungen untereinander besonderer Pflege und Aufmerksamkeit bedürfen. Das gelegentliche Aufeinanderprallen führt zum Erleben von Widerstand und Durchsetzungswille.
4. Die Parteien werden sich bewusst, dass sie nicht um die andere Partei herumkommen, sondern sich mit ihr auseinandersetzen müssen. Auf dieser Stufe verkehren sie meist nicht mehr unbefangen miteinander.
5. Die auftretenden Reibungen werden mit Gefühlen des Unbefangens registriert. Bei Störungen kommt die Vermutung auf, dass es tiefere Ursachen für die Schwierigkeiten geben könnte. ("vielleicht kann der mich nicht leiden!"), was aber meist am Verhalten nicht festgemacht werden kann und wieder verworfen wird. Bei ähnlichen Situationen treten sie allerdings wieder auf und man beginnt dem anderen einen unguten Willen zu unterstellen. Dennoch ist die Situation durch ein kooperatives Verhalten gekennzeichnet.
Stufe 2: Polarisation und Debatte
Die Hauptmerkmale der zweiten Stufe sind, dass gemischte Motive und Interessen der Parteien entstehen und ein labiles Gleichgewicht zwischen kooperativen und kompetiven Einstellungen.
1. Eigene Sachpunkte werden mit den Interessenpositionen einer Partei verknüpft. Es entstehen also Interessengruppen, die ihr Interesse vertreten. (Cliquen, politische Parteien, Verbände, Vereine...). Es entsteht das Bestreben sich keiner Schwächung der eigenen Position auszusetzen.
2. Beeinflussungsmittel werden bewusst eingesetzt, wobei Logik und Verstand gebraucht werden um die Gegenseite in die Enge zu treiben und mit zwingenden Argumenten und Schlussfolgerungen zum Annehmen des eigenen Standpunktes zu bewegen. Die Gefühle der Gegenseite werden indirekt manipuliert, um über diesen Umweg zu einer sachlichen Beeinflussung zu gelangen.
Auf der ersten Stufe werden die Regeln der Fairness noch eingehalten, bzw. ein unfaires Abgleiten wieder ausgeglichen. In der zweiten Stufe werden diese Taktiken als erlaubte Methoden angesehen.
3. Nun wird der Konflikt auf den Tisch gebracht, d.h. die Konfliktparteien treten in einen offenen Streit, wobei zunächst jede Partei auf ihrer Meinung beharrt und die Argumente der anderen nicht gelten lassen will.
4. Hier kann man aber auch oft beobachten, dass die Debattenstufe übersprungen wird und versucht wird, den Konflikt unter den Teppich zu kehren.
Stufe 3: Taten statt Worte
Hauptmerkmale: In der dritten Stufe beobachten wir das Streben, die eigene Entschlossenheit, Selbstsicherheit und Unverrückbarkeit deutlich zu beweisen. Es kommt zum gegenseitigen Blockieren und Dominieren.
1. Es sprechen nicht mehr die Worte, sondern nun die Taten. Zunehmend schwindet das Einfühlungsvermögen der Parteien, worunter die Beziehungen zu leiden beginnen. Innerhalb der Parteien wächst der Zusammenhalt mit starkem Meinungs-Konformitätsdruck.
2. Dies alles begünstigt die Beschleunigung des Geschehens, denn wenn erst einmal Taten gesprochen haben, ist der Weg zurück bereits schwieriger geworden. Die Situation wird damit noch komplexer und weniger steuerbar.
Mit dem Schritt in Stufe drei entfernen sich die Parteien zunehmend voneinander, was durch die bisher vorherrschende Kommunikation nicht verhindert werden kann. Dennoch handeln sie in dem Bewusstsein, dass sie das Problem lösen können, wenn sie auch die Gegenpartei in die Lösung miteinbeziehen.
Stufe 4: Sorge um Image und Koalition
Hauptmerkmale: Die Spannungen zwischen den Konfliktparteien nehmen zu. Um sich psychisch zu entlasten, versuchen die Konfliktparteien Verbündete für ihre jeweilige Sichtweise des Konfliktes zu gewinnen. I n dieser Stufe liegt eine Verschiebung der Inhalte vor.
1. Es geht jetzt zunehmend um die Konfliktlösung, wobei jeder dem anderen vorwirft, dies zu blockieren. D.h. nicht mehr die Konfliktursache oder der Konfliktgegenstand stehen im Mittelpunkt, sondern nur noch der Vorwurf, die Lösung des Konfliktes zu behindern.
2. Die Parteien erleben in dieser Phase die gegenseitige Abhängigkeit besonders stark und widersetzen sich ihr vehement. Der Konflikt wird immer mehr durch Fragen der Macht und das"Recht haben wollen" geprägt.
3. Ziel ist dabei, dem anderen seinen Standpunkt auferlegen zu können, im Rahmen legaler Mittel. Es entstehen regelrechte Feindbilder und es kommt zu ersten Provokationen und Strafandrohungen, die aber dementiert werden können. ("so habe ich das nicht gesagt...")
Stufe 5: Gesichtsverlust
In Stufe 4 werden zudem erste Angriffe auf das Gesicht des Gegners gestartet. In der fünften Stufe wird dies noch intensiviert.
Hauptmerkmale: Durch den Gesichtsverlust soll der andere in Situationen manövriert werden, in denen er sich selbst und seine schlechten Absichten, vor der Ã-ffentlichkeit entlarven soll.
1. Der Gesichtsverlust ist ein dramatisches Geschehen. Er führt bei den Konfliktparteien zu einem"Aha-Erlebnis", indem schlagartig das Gefühl auftritt, dass man die andere Partei gänzlich durchschaue. Man meint, den Gegner demaskiert zu haben und ihn nun in seinem wahren Wesen zu erkennen. Wenn jemand sein Gesicht verloren hat, dann müssen wir sein Identitätsbild grundlegend revidieren.
2. Auch Vorgänge in der Vergangenheit werden plötzlich in einem anderen Licht gesehen und unter dieser Sichtweise der Gegenpartei wieder entgegengestellt.
3. Folgende Merkmale lassen sich außerdem noch formulieren: Selbstbild und Fremdbild werden auf die moralische Dimension ausgeweitet und totalisiert. (Engel-Teufel; gut-böse; schwarz-weiß).
4. Die gegenseitigen negativen Erwartungen verhindern Vertrauensbereitschaft. Durch Enttäuschung und Frustration tritt ein Vergiftungseffekt in den Beziehungen auf. Die Parteien haben in erster Linie nur Interesse für sich selbst und ihre eigene Position und ergehen sich in Selbstmitleid.
5. Angriffe auf den Gegner werden als"heilige Pflicht" erlebt. Die Angreifer machen sich zum öffentlichen Ankläger, die soziale Umgebung wird zum Zeugen der"Vernichtung der Charaktermasse" des Gegners. Die Parteien streben nach Parität im gegenseitigen Zufügen von Schaden.
Die fünfte Stufe fördert den Vorwärtsgang der Eskalationsdynamik dramatisch. Die Konfliktparteien sehen keinen Weg mehr zurück. Die sechste Stufe kann jetzt innerhalb kürzester Zeit betreten werden.
Stufe 6: Drohstrategien
Hauptmerkmale: Auf Stufe 6 nehmen Gewaltdenken und Gewalthandeln der Parteien erheblich zu. Sie greifen mehr und mehr zu extremen Drohstrategien um aufeinander Einfluss zu nehmen.
Die Hauptmerkmale sind:
1. Selbstbilder und Feindbilder werden weiter fixiert, die Menschen werden auswechselbar, weil Kategorien zugeordnet.
2. Kommunikation wird unmöglich aufgrund der unterschiedlichen unverrückbaren Sichtweisen.
3. Die Einstellungen der Parteien werden unnachgiebig und absolut. Drohungen führen in ihrer Dynamik zum Überdrohen und zu extremen Fehlschlüssen über die wahre Intention der Parteien.
4. Damit Drohung und Droher glaubhaft sind, betont der Droher durch Akte der Selbstbindung, dass es ihm ernst ist. Damit schränkt er den Handlungsspielraum des Bedrohten, aber auch den eigenen vehement ein.
5. Auf dieser Stufe wird der Konflikt zum alles beherrschenden Thema. Er bestimmt die Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle und das Handeln der Beteiligten.
6. Die Konfliktparteien erweisen sich zunehmend als nicht kooperativ, sondern neigen dazu, Druck auszuüben und die Ziele der anderen Partei zu sabotieren, etwa durch Behinderungen, Intrigen, Gerüchte und Verweigerungen.
Diese Drohmanöver wirken nur solange, als allen klar ist, das es darum geht, noch größere Gewaltanwendungen zu vermeiden. Ansonsten würde man gleich in Aktionen übergehen.
Die Dynamik dieser Stufe, Drohung und Gegendrohung als eine Spirale der Abschreckung, fördert jedoch den Schritt über die Schwelle nach Stufe 7.
Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge
Hauptmerkmale: Auf dieser Stufe steht bei beiden Parteien die Schädigungsabsicht im Vordergrund. Durch die Drohungen und Gegendrohungen haben die Parteien sich zu Aktionen gezwungen, die anzeigen, dass man noch Bewegungsspielraum im Handeln hat.
1. Im Laufe dieses Prozesses hat man jedoch erlebt, dass der Spielraum nicht mehr ausreicht um die eigenen Ziele zu erreichen, weil die andere Partei hindern und blockieren konnte.
2. Hier entsteht ein Gefühl der Ohnmacht bei beiden Parteien, welches zu gezielten Schädigungsversuchen führt. Die Schädigungen richten sich aber in erster Linie noch an Sanktionspotential, welches der Gegner in Stufe 6 herangeführt hat.
3. Ziel dieser punktuellen Aktionen ist die Entmachtung des Gegners und darin liegt die Begrenzung. Die Möglichkeit zur Zerstörung von Gütern des Gegners, die mit dessen Machtmitteln identifiziert werden, bietet dem Konfliktgegner eine Ersatzbefriedigung. Der blockierte und gestaute Wille einer Konfliktpartei kann sich somit entladen.
4. Auf eine Zerstörungsaktion der einen Partei folgt die Vergeltung der anderen, weil diese Aktionen grundsätzlich als unangebracht erlebt werden.
In dieser Stufe zeigt sich die Grundeinstellung des"loose-loose" (Verlierer - Verlierer) das heißt, die Bereitschaft selbst schmerzhafte Verluste in Kauf zu nehmen, wenn man nur die Gewissheit hat, dass der Schaden für die Gegenseite noch größer ist.
5. Hier wird das Geschehen vom Machtstreben beherrscht. Die Aktionen sollen den Gegner nachhaltig blockieren. Die Unterschiede zwischen Werten und Zielen werden kaum noch in die Diskussion gebracht. Themen sind die Aktionen selbst. Die Kommunikation läuft in einer Einbahnstrasse. Jeder bemüht sich nur noch darum, seine Botschaft so eindringlich wie möglich zu äußern.
"In den Grundeinstellungen der Parteien ist ein grundsätzlicher Wandel aufgetreten. Wir haben bei der Analyse der Stufen 2 und 3 gezeigt, wie sich gemischte Motive mit überwiegend kooperativem Einschlag verschlechtern, bis eine kompetive Haltung dominiert. Auf den Stufen 4 bis 6 herrscht die Einstellung vor Sieg oder Niederlage (win or loose). Ab der 7ten Stufe sind sich die Parteien dessen bewusst, dass es nichts z gewinnen gibt. Was zählt ist ein gegenseitiges Aufrechnen des Schadens: Wenn ich Verluste ertragen muss, dann soll wenigstens auch der Gegner Schaden erleiden." F. Glasl
Stufe 8: Zersplitterung
Hauptmerkmale: Mit dem Überschreiten dieser Schwelle werden die Vernichtungsaktionen um vieles heftiger. Es geht nun darum, den Gegner in seinem Machtzentrum zu vernichten, die Gegenseite zu zersplittern.
1. Auf dieser Stufe kommt es zur offenen Sabotage, Personen werden direkt angegriffen mit dem Ziel diese zu vernichten. Der Angriff auf den Gegner richtet sich gegen alle Zeichen von Vitalität. Zerstören der Lebensfähigkeit, am liebsten mit langfristig nachhaltigen Wirkungen wird zum Ziel an sich.
2. Bei allem hält die Partei noch eine einzige Furcht davor zurück der Gewaltanwendung völlig zügellos nachzugeben: Sie bemühen sich ihre eigene Existenz, die Chance für das eigene Überleben nicht in Gefahr zu bringen. Auch wenn sie zu weitgehender Selbstaufopferung bereit sind und infolgedessen großen Schaden in Kauf nehmen, spekulieren sie immer noch auf Überleben.
Sobald diese Selbstbegrenzung gefallen ist, haben die Parteien die Schwelle zur neunten Stufe überschritten.
Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund
Hauptmerkmale: In der neunten Stufe geht es darum, den Gegner mit in den Abgrund zu reißen, wenn man selbst nicht mehr überleben kann.
"Damit erlaubt der wechselseitige Selbstmord den Parteien sogar noch im Untergang über den Gegner zu triumphieren, weil seine Chance auf Überleben gleichfalls zerschlagen werden konnte." F. Glasl
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