© Cash; 2001-09-14; Seite 86; Nummer 37
«Unser Leben ist traurig und sinnlos»
Tausende von Kleinanlegern haben an der Börse viel Geld verloren. Jetzt ziehen sie die frustrierende Bilanz.
Die Weltbörsen taumelten schon vor der Terrorattacke auf die USA seit Monaten abwärts: Tausende von direkt betroffenen Kleinanlegern sind in Depressionen versackt oder schäumen vor Wut über unfähige Analysten und fahrlässige Bankberater. Tatsache ist, dass ganz normale Menschen abnormal viel Geld verloren haben. CASH sprach mit frustrierten Kleinanlegern, die das Spiel dennoch nicht lassen wollen.
Ernst Solèr
«Wir möchten nicht, dass unser Name veröffentlicht wird. Ich schäme mich, dass ich so eine Niete bin», schreibt uns eine 67-jährige Frau aus dem Oberwallis. «Wir haben 200'000 Franken investiert, nun haben wir fast nichts mehr. Ich konnte nicht mehr schlafen und musste zum Arzt gehen. Wir sind Arbeiter ohne Beruf und mussten für unser Geld immer hart arbeiten. Die Kursstürze haben unser Leben traurig und sinnlos gemacht. Wir versuchen mit Gelegenheitsarbeit wieder etwas zu verdienen, denn wir dürfen unsern Kindern nicht sagen, wie viel wir verloren haben.» Das Ehepaar Z. hatte aber auch eine gar unglückliche Hand: 200'000 mühsam ersparte Franken flossen vollumfänglich in Technologietitel wie Fantastic, Think Tools, Distefora und COS Computer. CASH liegt die vollständige Liste der Käufe von Frau Z. vor: Von den 200'000 Franken sind über 180'000 Franken wegpulverisiert worden. «Was ich bemängle, ist, dass die Anlageberater einem kleinen Konto von 200'000 Franken nicht sagen, wann man verkaufen soll oder wenn eine Gefahr droht», schreibt Frau Z. weiter.
Frau Z. ist unter den frustrierten Kleinanlegern, die mit CASH in Kontakt traten, insofern eine Ausnahme, als sie in Titel der so genannten Neuen Märkte investiert hat. Sonst fällt nämlich auf, dass unter den grössten genannten Anlageflops kaum Titel des viel gescholtenen New Market vorkommen: Die grössten Flops für die Kleinanleger waren und sind so genannte Blue Chips wie ABB, Clariant, «Zürich» oder Swissair.
Viele Anleger fühlten sich von den Beratern zum Kauf genötigt
Mit ihrem Ärger über die Bankberater ist Frau Z. hingegen beileibe nicht allein. Robert Rüdisüli aus Kaltbrunn schreibt: «Mein damaliger Anlageberater bei der UBS hat mir im Februar vergangenen Jahres Aktien von EM.TV zum Kauf empfohlen. Ich habe diese dann zum Preis von 105 Euro gekauft. Im Mai 2000 fiel die Aktie auf etwa 75 Euro. Auf meine Anfrage hin, ob man die Papiere nicht abstossen sollte, wurde mir vom Bankberater erklärt, dass sie an der Kaufempfehlung immer noch festhalten (zurzeit beträgt der Kurs 2.18 Euro, Anm. der Red.). Ich frage mich, was für Analysten so etwas in die Welt setzen können», ärgert sich Robert Rüdisüli.
Herr Hans Anderegg aus Ennetmoos sagt in seinem Zorn nichts weniger, als dass man die UBS einklagen sollte. Laut seiner Aussage hat ihm die UBS Stans auf dem Höhepunkt der New-Economy-Hysterie New-Market-Fonds (Valor 10324336) zum Ausgabepreis von 100 Euro förmlich aufgeschwatzt. Unterdessen steht der Fonds bei 23 Euro. Zudem habe man ihm ständig und immer wieder ABB zum Kauf empfohlen.
Die Liste liesse sich beliebig verlängern: Psychiater N. Z. aus dem Schaffhausischen behauptet, seine Bank habe ihn praktisch gezwungen, «Zürich»-Aktien zu kaufen, obwohl er eigentlich lieber Bâloise genommen hätte.
Auch wenn die frustrierten Kleinanleger nicht mit Vorwürfen an Analysten und auch an Journalisten sparen, gibt letztlich die grosse Mehrheit sich selbst die Hauptschuld am Debakel. «Eigentlich bin ich selber schuld, weil ich den Aussagen der Finanzanalysten und allen möglichen Zeitschriften jeweils Glauben schenkte», meint ein Kleinanleger. Er will anonym bleiben, weil «ich in einem kleinen Dorf im Kanton Aargau wohne und mein Misserfolg zu einiger Schadenfreude Anlass geben würde». Kleinanleger Hans U. Schoch aus Wittenbach gibt die Schuld «den Über- und Untertreibungen von Analysten im Zusammenspiel mit unkritischen, recherchierfaulen Medien».
An einen Ausstieg denken trotz Verlusten nicht viele
Treffend fasst André Jordi die Schuldfrage zusammen: «Viele Investoren und/oder Spekulanten haben den gesunden Menschenverstand zu Gunsten des schnellen Geldes aufgegeben. Dabei wurden sie von vielen Bankberatern und Analysten in ihrem Irrtum bestärkt.» Und fast schon philosophisch sieht Kleinanleger Marcus Cathomas die Schuldfrage: «Jede Übertreibung und Gier wird irgendwann einmal bestraft. Jeder bestimmt selbst, ob er bei diesem Treiben mitmachen will oder nicht. Der Schuldige findet sich im Spiegel.»
Es gibt Kleinanleger, die sich mit Grausen komplett vom Börsengeschehen abgewendet haben. Von den über zwanzig Kleinanlegern, die sich in den letzten Tagen bei uns gemeldet haben, denkt aber nicht ein Einziger an den Ausstieg. Selbst Frau Z. aus dem Oberwallis will erst dann aussteigen, wenn «ich mein Geld wiederhabe». Der Börsen-Roulettetisch bleibt also gut besetzt. Hoffen wir für alle, dass die Kugel nicht ständig weiter in die Null fällt!
«Nie mehr auf Analysten hören, die einen Käse nach dem andern erzählen»
Drei enttäuschte Kleinanleger stehen zu ihren gescheiterten Investments und erzählen, wie sie sich angesichts ihrer enormen finanziellen Verluste fühlen. Grundtenor ist die Wut auf Anlageberater und vor allem auf sich selber.
Wie ist Ihre Stimmung angesichts des Börsendebakels? Nicht gerade grossartig, eher frustriert.
Was sind Ihre Konsequenzen? Weniger auf Analysten hören und sich selber mehr mit dem Thema befassen.
Ist Ihr Leben beeinträchtigt? Ja, wir haben jetzt einfach weniger Geld. Das ist hart, weil ich daran bin, ein eigenes Geschäft aufzubauen.
Was sind Ihre grössten Flops? Clariant und ABB.
Ihr einziger Lichtblick? Dass ich meine Sony-Aktien rechtzeitig verkauft habe.
Wer ist am Debakel schuld? Der Leichtsinn der Analysten. Die Kleinanleger haben wenig andere Möglichkeiten und müssen sich einfach auf die Analysten verlassen können.
Hansruedi Peter, Lüscherz
Wie ist Ihre Stimmung angesichts des Börsendebakels? Zurzeit wieder besser. Ich habe das Gefühl, dass es wieder aufwärts geht.
Was sind Ihre Konsequenzen? Nicht mehr mit Optionen handeln.
Ist Ihr Leben beeinträchtigt? Zwischenzeitlich schon. Ich habe die Sicherheiten auf mein Haus verspielt. Das führte zu Existenzängsten, eine Weile lang konnte ich an nichts anderes mehr denken.
Was sind Ihre grössten Flops? Optionen auf Lucent und Apple, Fantastic.
Ihr einziger Lichtblick? Eigentlich keiner.
Wer ist am Debakel schuld? Ich selbst.
Werner Stauffer, Wolfhausen
Wie ist Ihre Stimmung angesichts des Börsendebakels? Entsetzt. Wütend. Und doch will ich durchhalten.
Was sind Ihre Konsequenzen? Nie mehr auf Analysten hören, die einen Käse nach dem anderen erzählen, und auch nicht auf Bankberater, die nur Aktien verkaufen wollen. Vermutlich werde ich aufhören.
Ist Ihr Leben beeinträchigt? Wenn ich gewusst hätte, wies läuft, hätte ichs bleiben lassen. Jetzt arbeite ich einfach und spare.
Was sind Ihre grössten Flops? Clariant, Kudelski, Jomed.
Ihr einziger Lichtblick? Keiner, nur Verluste.
Wer ist am Debakel schuld? Analysten, Money 24, ich selbst.
Roland Cadisch, Chur
illustration: igor Kravarik
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