Ein schmutziges Geschäft
Harald Neuber 15.09.2001
Bei den Anschlägen in den USA sind auch Muslime gestorben. Im Moment sind sie aber nur eines: Verantwortlich. Ihr Zentralratsvorsitzender in Deutschland sucht den Dialog.
Nach dem ersten Schock auf die Anschläge in den Vereinigten Staaten wurden erst am Freitag weitere Bilder aus dem New Yorker Finanzviertel ausgestrahlt. Sie zeigten ein bisher ungeahntes Ausmaß der Zerstörungen. Die Menschen, vor allem in den USA und Europa, reagieren mit Fassungslosigkeit. Der Trauer wurde am Freitag europaweit mit einem dreiminütigen Stillen Gedenken ab zwölf Uhr Mittags Ausdruck verliehen. Die Kirchenglocken läuteten. Zehntausende gedachten der Toten am Nachmittag bei einer Trauerveranstaltung"wider den Terror". Zugleich läuft die Suche nach den Verantwortlichen weltweit auf Hochtouren. Dabei werden dieser Tage schnelle Urteile gefällt.
"Allah, hast Du das gewollt?", titelte eine große Berliner Boulevardzeitung am Tag nach den Attentaten in einer Sonderausgabe. Völlig unklar ist zu diesem Zeitpunkt, wer hinter den Anschlägen steckt. Zwar fällt in den das Fernsehprogramm dominierenden Sondersendungen ständig der Name des aus Saudi-Arabien stammenden islamischen Fundamentalist Usama Ibn Ladin, diese Erkenntnis stützt sich jedoch weitgehend auf bereits bestehende Feindbilder. Dass Emotionen, Trauer und Wut, bisweilen nah beieinander liegen, bekamen vor allen aber die in den USA lebenden Muslime zu spüren.
Alles andere als beruhigend wirkte auf US-amerikanische Moslems die Reaktion des ehemaligen US-Außenministers James Baker am Mittwoch. Gegenüber Fox News sagte er, Washington müsse über die"Ermordung" beziehungsweise"Vernichtung" (assassinating) der Verantwortlichen nachdenken und sich auf ein"schmutziges Geschäft" (dirty business) einstellen. Ähnlich äußerte sich auch ein weiterer ehemaliger Außenminister. Lawrence Eagleburger gegenüber dem Sender:
"If we think we can kill a few people and leave the scene, we are crazy. If they are active in terrorism, then we must do everything we can to wipe them off the face of the earth. Eagleburger, secretary of state in the final months of the first Bush presidency, said he worries that the United States will be unable to maintain the support of allied and friendly governments. (…)"If we got to bin Laden tomorrow morning, it is clear he has others who would carry on".
Vor Moscheen und islamischen Kultureinrichtungen in den Vereinigten Staaten wurden seit Dienstag Todesdrohungen hinterlassen, islamische Zentren mit hasserfüllter Graffiti beschmiert. Moslemische Gruppen berichteten von mehr als 100 Fällen. Vor einem islamischen Zentrum in Irving, einem Vorort von Dallas in Texas, wurden nach Angaben der Washington Post sechs Schüsse abgefeuert.
Der Council on American-Islamic Relations ist äußerst besorgt und hat erhöhte Sicherheitsmaßnahmen für Moscheen und islamische Begegnungsstätten in den USA gefordert. Bereits gestern hat sein Büro in Washington erste Berichte über Drohungen und Angriffe auf Moslems erhalten. Warnungen kommen auch aus New York. Das International Action Center, eine US-Bürgerrechtsorganisation mit Sitz in New York, rechnete unmittelbar nach der Katastrophe mit solchen Reaktionen."Wir rufen alle dem Rassismus Widerstand leistenden Menschen auf, mit der arabisch-amerikansichen Gemeinde angesichts dieser Raserei Schulter an Schulter zu stehen."
Das Schema ist nicht neu. Schon nach der ersten Bombenexplosion im World Trade Center, bei der 1993 sechs Menschen ums Leben kamen und für die der Islamistenführer Omar Abdul Rahman in den USA eine lebenslange Haftstrafe absitzt, ist es zu Übergriffen auf US-amerikanische Moslems gekommen. Gleiches gilt für den Angriff auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City von 1995. Mehr als 200 tätliche Angriffe und Drohungen waren die Folge. Wie sich später zeigte, hatten rechtsextremistische Gruppen in den USA ihrer Wut freien Lauf gelassen. Wie sich noch später herausstellte, war einer von ihnen, der inzwischen hingerichtete Rechtsextremist Timothey McVeith, für den Anschlag verantwortlich. Die Islamic Assembly of North America, fürchtet,"dass unsere muslimischen Gemeinden Übergriffe erleben könnten, die über das hinausgingen, was nach Oklahoma passierte. Möge Allah uns s führen und helfen." Am Mittwoch stand kein Vertreter einer islamischen Gruppe in Amerika für ein Interview zur Verfügung. Zahlreiche private Websites von Muslimen haben den Betrieb zeitweilig eingestellt.
Auch in Deutschland trifft man dieser Tage auf Menschen, die ihre Emotionen verarbeiten, indem sie"in dieser Situation zum Rassisten" werden. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland berichtet von Angriffen auf offener Straße. Frauen mit Kopftüchern würden Opfer verbaler Attacken, berichtet Mehmet Ã-cal, Pressesprecher des Zentralrates. Symbole spielen in diesen Tagen eine große Rolle. Der Vorsitzende des Zentralrates, Nadeen Elyas, will sich anders als in den Muslime in den USA aber nicht zurückziehen."Ich plädiere dafür", sagte er am Freitag,"die Moscheen am Wochenende geöffnet zu lassen." Man solle den Dialog suchen, denn"der Isalm kann mit dem geschehenen nicht identifiziert werde."
Wer in diesen Tagen die Internetseite des Zentralrates der Muslime in Deutschland aufruft, wird auf eine Sonderseite umgeleitet."Wir trauern um die Opfer in den USA", ist auf dunkelgrünem Hintergrund zu lesen. Darunter eine Koransure."Wenn jemand einen Menschen tötet (...), so ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet." Die virtuelle Kondolenzliste wird rege genutzt, ebenso das eingerichtete Forum.
Ein Teilnehmer:
"(...) Jubelnde Massen in Palästina - und zur Bestätigung Fernsehbilder im ZDF und ARD. Spektakulär - geifernde Massen. Aber was konnte man wirklich sehen? Bilder, die nicht zum Sprecherkommentar passten. Vier kleine Jungen, ein Mitzwanziger im weißen Hemd, der die Jungen immer wieder vor die Kamera bugsierte, ein älterer Mann im blauen Hemd. Dann ein anderer Mann, der sich in einer anderen Szene als Cafehausbesitzer entpuppte, der dem Kameramann etwas zu essen angeboten hat (unter Gott ist groß! - Rufen der sechsköpfigen Menge). Im Hintergrund Passanten, die wortlos oder kopfschüttelnd weitergegangen sind. Muss die Presse wegen angeblich sensationeller Bilder solche Szenen konstruieren und das zu diesem Anlass?(...)"
Am Freitag rief der Fraktionsvorsitzende der SPD, Peter Struck, im Interview mit dem Nachrichtensender N-TV zur Besonnenheit auf. Man kann nicht die in Deutschland lebenden Muslime pauschal für die Terrorakte verantwortlich machen, sagte er.
[b]Wir haben gerade Religion genug, um einander zu hassen, aber nicht genug, um einander zu lieben. Swift[b]
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