Wir werden die meist gehasste Nation der Welt sein"
Von Markus Deggerich
Berlin - Auch unter Wissenschaftlern und Intellektuellen
kommt eine tiefe Debatte in Gang. Der Historiker
Wolfgang Benz, Direktor des Zentrums für
Antisemitismusforschung Berlin, mahnte am
Wochenende, man müsse das bisschen Toleranz, das
man mittlerweile erlernt habe, gegen die Politiker
verteidigen, die so ähnliche Vokabeln benutzten wie
einst die"Nibelungentreue". Für den Satz erntete er
auf einer Podiumsdiskussion in Berlin heftigen
Widerspruch.
Wie soll man auf den Terror
reagieren? Diskutieren Sie mit
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Der Schriftsteller Hans-Christoph Buch grübelte:"Es stimmt etwas nicht, wenn die Reaktion
auf den Terror stärker kritisiert wird als der Terror selbst." Dagegen kritisierten Stimmen
aus dem Zuschauerraum wiederholt die Außenpolitik der USA. Der Satz"von nichts kommt
nichts" fiel mehrfach. Daraufhin holte Buch zur"Publikumsbeschimpfung" aus."Wie kann man
das Opfer an den Pranger stellen?" Eine emotionale Reaktion der Amerikaner sei natürlich. Es
gehe nicht in erster Linie um die Zerstörung von Symbolen,"sondern um die Ermordung von
Menschen".
Die Gräben zwischen Falken und Tauben verlaufen tief
in diesen Tagen, nicht nur in der Politik. Dieter Simon,
Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der
Wissenschaften, nahm das Publikum gegen Buch in
Schutz."Niemand heißt das Attentat gut", sagte er.
Die Diskussion habe sich mit den Folgen von
Terrorismus auseinander setzen wollen. Damit sei das
Publikum nicht zufrieden gewesen:"Vielleicht muss man
auch über die Voraussetzungen von Terrorismus
sprechen". Aber es sei äußerst geschmacklos, jetzt
darüber zu diskutieren, ob die Opfer eventuell selbst
Schuld an ihrem Unglück seien.
"Wir werden die meist gehasste Nation der Erde
sein"
Diese Diskussion über die Ursachen und notwendige Konsequenzen jenseits von
Militärschlägen scheint in Deutschland fast noch verboten, weil sie als eine Verletzung der
nun vielbeschworenen"Bündnistreue" verstanden wird. Nur langsam sickert sie ins
Bewusstsein, bezeichnenderweise über amerikanische Intellektuelle, die sich in deutschen
Feuilletons äußern. Der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer fordert neben der
Terrorbekämpfung ein politisches Umdenken der USA. Die Amerikaner sollten"endlich lernen,
weshalb so viele Menschen ihr Land verabscheuen", meinte Mailer in einem von der"Welt am
Sonntag" veröffentlichten Beitrag. Große Teile der Welt und besonders die
zurückgebliebensten Nationen empfänden die USA als"ihre kulturellen und ästhetischen
Unterdrücker".
"Lasst uns gemeinsam trauern"
Vor allem den Armen werde das einzige, was sie haben,
genommen, ihre Wurzeln, meinte Mailer."Bis Amerika
den Schaden begreift, den es anrichtet, indem es
darauf besteht, dass der amerikanische, auf Profit
ausgerichtete"way of life" nicht notwendigerweise zu
allen Ländern passt, werden wir in Schwierigkeiten
sein:"Wir werden die meist gehasste Nation auf der
Erde sein".
Und die wichtigste amerikanische Intellektuelle Susan
Sontag weist in der"Frankfurter Allgemeinen" einen
Weg, wie die Diskussion und die Politik in Deutschland
Bodenhaftung bekommen kann, ohne die heftigen
Gefühle zu ignorieren oder zu verletzten:"Lasst uns gemeinsam trauern. Aber lasst nicht
zu, dass wir uns gemeinsam der Dummheit ergeben."
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