Teil IV: Mercedes S-Klasse
Die Stuttgarter präsentierten 1991 eine im wahrsten Sinne des Wortes bahnbrechende Neuauflage der S-Klasse und war damit reif für Lektionen in Demut.
Deutschland, Mitte der Achtziger: Männer mit längsgestreiften Hemden und paisley-gemusterten Hosenträgern sitzen in der Daimler-Zentrale und beraten über die Erringung der Weltherrschaft. Das war damals gewissermaßen State of the Art. Die Reaganomics, angeführt von einen knittergesichtigen B-Movie-Revolverhelden, signalisierten: Die Welt gehört uns. Die Aktienkurse an der New Yorker Wall-Street schrammten am Plafond, der Klassenfeind hing angeschlagen in den Seilen und Zukunftsdeuter John Naisbitt machte Adjektive wie?protzig?,?cool?,?rücksichtslos? und?gierig? zur Lebensphilosophie und schuf den?Yuppie?.
Gegen das...
?Wir bauen das beste Auto der Welt?, kam einem also relativ locker über die Lippen. So muss das gewesen sein, damals, in der Mercedes-Vorstandsetage in Stuttgart-Untertürkheim. Die S-Klasse, die Luxus-Modellreihe des Konzerns, stand vor der Renovierung - eine willkommene Möglichkeit, schwäbischer Ingenieurskunst ein einzigartiges Denkmal im Olymp der Automobilgeschichte zu setzen. Es kam anders. Völlig anders. Auch für Mercedes ist die Zeit irgendwann einmal reif für Lektionen in Demut.
...betörende Odeur...
Bereits im Zuge der Entwicklung zeichnete sich das Ausmaß der kommenden Katastrophe ab. So attestierten Versuchsfahrer dem Mercedes-Flaggschiff noch bei einem der letzten Tests auf der Nordschleife des Nürburgrings das Fahrverhalten einer?Nußschale bei schwerem Seegang?. Bremsen und Reifen des Zwei-Tonnen-Monstrums waren viel zu klein dimensioniert. Notwendige Nachbesserungen warfen die Ingenieure um ein Jahr zurück. Beim Reifenproduzenten musste ein eigens für die S-Klasse entwickelter Pneu in Auftrag gegeben werden. Das inhomogene Fahrverhalten blieb.
...des Zeitgeists ist schwer anstinken
Mit deutscher Gründlichkeit wurden in den Prestige-Koloss horrend teure Neuentwicklungen hineinverbaut. Einige waren revolutionär, andere erinnern in ihrem Nutzwert an Features aus der Barockzeit der US-Autoproduktion.
* Die Seitenscheiben wurden zwecks Klimaverbesserung im Innenraum doppelt verglast. Die Entwicklung war aufwendig, das daraus resultierende Mehrgewicht enorm.
* Beim Drehen des Schlüssels im Kofferraumschloss fuhr automatisch ein vor Verschmutzung geschützter Griff aus.
* Signifikant für die offensichtlich grassierende Verunsicherung der Entwicklungsverantwortlichen: Bei eingelegtem Rückwartsgang surrten, dein Name sei?Einparkhilfe?, zwei Peilstäbe aus dem Heck des Nobelschlittens.
S-U-P-E-R-P-E-I-N-L-I-C-H.
Die Entwicklung dieser und weiterer Bonmots kostete Zeit. Mehr Zeit als angenommen. Der vorgesehene Präsentationstermin des W 140 verzögerte sich um Monate.
Endlich, 1991, wurde die neue Mercedes-S-Klasse, konzerninterne Bezeichnung W 140, nach insgesamt neunjähriger Entwicklungszeit der Weltöffentlichkeit präsentiert... und die Weltöffentlichkeit staunte nicht schlecht: Sie wähnte sich bei einer Leistungsschau der deutschen Bundeswehr, Bergepanzer-Bataillon.
"Protzkiste"
?Eine unzeitgemäße Verschwendung von Straßenraum und Superkraftstoff, eine Protzkiste.??Mehr als zwei Tonnen geräderter Sozialneid.??Wuchtbrumme auf vier Rädern??...mit dem Hintern einer Seekuh?,?Zu groß, zu breit, zu schwer?, notierten sich die Vertreter der Presse in die gezückten Blöcke als das Staunen verflogen war. Die Mercedes S-Klasse war ein eingesprungener Rittberger ins Desaster. Ach ja: Trend-Guru Naisbitt hatte in der Zwischenzeit einen neuen Zeitgeist kreiert:?Die neue Bescheidenheit?.
?Den neuen Größenwahn? verkörperte hingegen nun über Jahre hinweg der fahrende Riesenhintern von Mercedes.
Ego-Bomber
Stichwort Insaßensicherheit: Hier hatte die Techniker alles und noch mehr gegeben? und übers Ziel hinausgeschossen. Zwar saß man im dicken Benz sicher wie in Abrahams Schoß, für andere VerkehrsteilnehmerInnen wurde der Koloss jedoch zur evidenten Gefahr: Bei einem Crashtest des Verkehrssicherheitsclubs ADAC mit einem Mercedes und einem VW Golf hatte ersterer den letzteren in seine Einzelteile zerbröselt.
Das nüchterne Fazit der Tester: Die direkte Konfrontation mit der S-Klasse bedeutet unmittelbare Gefahr für Leib und Leben. Alle Passagiere des Golf befänden sich laut Crash-Auswertung unter realen Bedingungen in Lebensgefahr. Im Innenraum des Daimlers hatte sich nicht einmal die Fußmatte verschoben. Der Ego-Bomber hatte fortan mit massiven Image-Einbußen zu kämpfen.
Breitpopsch
Stichwort Fahrzeugbreite: Der die Norm sprengende Wagen passte nicht durch den alten Elbtunnel, eine der wichtigsten Hauptverkehrsrouten Hamburgs. Aus dem selben Grund blieb dem betuchten S-Klasse-Besitzer übrigens auch die Fahrt mit dem Autoreisezug verwehrt. Ein Herrenfahrer auf dem Weg auf die offizielle bundesdeutsche Ferieninsel Sylt durfte als erster auf das nicht unerhebliche Problem hinweisen. Nur gut für Mercedes, die richtigen Leute in den richtigen Positionen zu wissen: Die Deutsche Bahn AG adaptierte prompt ihre Garnituren.
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