>Der Neoliberalismus hat versagt
>Stephan Schulmeister, Wirtschaftsforscher in Wien, ĂŒber Sozialstaat und ökonomische Effizienz
>Zwei Entwicklungen haben den europÀischen Sozialstaat in Misskredit gebracht, die neoliberale «Globalisierung der Köpfe» und die wachsende Schwierigkeit, seine Leistungen zu finanzieren.
>Die Grundthese der neoliberalen Weltanschauung lautet: Nur die Konkurrenz von Individuen auf MĂ€rkten kann das Problem effizient lösen, was, wie und fĂŒr wen produziert werden soll. Eingriffe des Staates wie die Regulierung von MĂ€rkten (etwa durch das Arbeits- oder Mietrecht), die Absicherung im Fall von Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit oder Alter durch staatliche Leistungen, die Verbesserung der Chancengleichheit durch ein öffentliches Bildungswesen oder die Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung durch eine aktive Konjunkturpolitik, all dies mache «reine» Marktlösungen und damit ein effizientes Wirtschaften unmöglich.
>Diese Glaubensvorstellung wird durch die Empirie nicht bestÀtigt. So wurde in der ersten HÀlfte der Nachkriegszeit, in der die Soziale Marktwirtschaft das Leitbild war, eine viel bessere Performance im Hinblick auf Wachstum, ProduktivitÀt (=Effizienz), BeschÀftigung und Staatsfinanzen erzielt als in den zunehmend von neoliberaler Politik geprÀgten vergangenen 25 Jahren.
>Betrachtet man nur die Neunzigerjahre, so fĂ€llt der ausgeprĂ€gte Wachstumsvorsprung der USA gegenĂŒber der EU auf. In dieser Periode haben die USA wieder eine aktive Konjunkturpolitik betrieben (Budgetdefizite bis zu 6 Prozent des BIP in der Rezession 1991/92, Vorziehen der Steuersenkungen im derzeitigen Abschwung, massive Zinssenkungen in beiden Phasen). Der Staat hat die Marktlösungen in der Einkommensverteilung (nach oben) massiv korrigiert durch Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 31 Prozent auf 42 Prozent und durch hohe ZuschĂŒsse an die «working poor» (Ausweitung der negativen Einkommenssteuer). Ăberdies wurde durch die stĂ€rkste Steigerung der Mindestlöhne seit drei Jahrzehnten direkt in die Lohnbildung am Arbeitsmarkt eingegriffen.
>Gleichzeitig folgte die EU mehr als je zuvor den Rezepten des Neoliberalismus. Die Fiskalpolitik schrĂ€nkte ihren konjunkturellen Handlungsspielraum durch die Maastricht-Kriterien selbst ein, die Geldpolitik hat nur noch den Geldwert im Visier, vernachlĂ€ssigt Wachstum und BeschĂ€ftigung und fesselt sich selbst durch dubiose Geldmengenregeln. Der Sozialstaat und damit die soziale Sicherheit werden abgebaut und die gerade fĂŒr Unternehmen notwendigen Verbesserungen der Infrastruktur vernachlĂ€ssigt.
>In der ersten HĂ€lfte der Nachkriegszeit hatte hingegen der massive Ausbau des Sozialstaats zur hervorragenden Performance in Europa beigetragen. Denn generell gilt, dass soziale Sicherheit auf der gesellschaftlichen Ebene und Vertrauen zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern auf der betrieblichen Ebene die KreativitĂ€t und ProduktivitĂ€t fördern. Gleichzeitig macht dies stetige Investitionen in die Qualifikation der ArbeitskrĂ€fte rentabel (bei völlig unverbindlichen Arbeitsbeziehungen wie in den USA ist hingegen das Risiko fĂŒr die Unternehmer grösser, dass die Arbeitnehmer mit ihrem Humankapital zur Konkurrenz gehen). Auf der gesellschaftlichen Ebene hat der Sozialstaat durch Ausbau und Verbesserung des öffentlichen Bildungswesens Entfaltungsmöglichkeiten und Chancengleichheit gefördert.
>Auf der unternehmerischen Ebene ist jedem Manager auch im neoliberalen Zeitalter klar, dass eine effiziente Produktion nicht organisiert werden kann, wenn die individuellen Mitarbeiter nur gegeneinander konkurrieren - vielmehr gilt es, den Steuerungsmechanismus Konkurrenz mit jenem der Kooperation (Teamwork) zu kombinieren. Dies war ein Grundzug im Modell der Sozialen Marktwirtschaft auch auf der gesellschaftlichen Ebene, der Sozialstaat wurde zur wichtigsten Komponente im «System Kooperation», ergÀnzt durch die Sozialpartnerschaft.
>Das europĂ€ische Modell der Sozialen Marktwirtschaft war zu erfolgreich, als dass es durch die neoliberale Mode allein hĂ€tte zurĂŒckgedrĂ€ngt werden können. Dies erreichten vielmehr geĂ€nderte Rahmenbedingungen, welche die Finanzierung des Sozialstaats immer schwerer machten. Nach neoliberaler Weltanschauung mussten nĂ€mlich die in der ProsperitĂ€tsphase weit gehend regulierten FinanzmĂ€rkte vollstĂ€ndig liberalisiert werden (dies ergibt sich aus der Vorstellung, dass die Akteure rein rationale Wesen sind). Die Entfesselung der FinanzmĂ€rkte fĂŒhrte dazu, dass sich das Gewinnstreben von der Realwirtschaft zur Finanzwirtschaft verlagerte. Der damit verbundene Anstieg des Zinsniveaus, der Aktienboom und die VolatilitĂ€t von Wechselkursen, ZinssĂ€tzen, Aktienkursen und Rohstoffpreisen dĂ€mpften das Wachstum von Realinvestition, Produktion und BeschĂ€ftigung nachhaltig. Der auf VollbeschĂ€ftigung angelegte Sozialstaat war so immer schwerer zu finanzieren.
>Dennoch hat auch die neoliberale Mode ihren Höhepunkt schon wieder hinter sich. Ihre machtpolitische Schuldigkeit hat sie getan, und ihre Gesamtperformance ist schlecht. Denn ein Modell, das nur auf der Konkurrenz rationaler Individuen auf MÀrkten beruht, «passt» nicht in eine Welt von Menschen, die auch kooperative Lösungen suchen, die auch soziale Wesen sind und die auch von Emotionen getrieben werden (am meisten auf den FinanzmÀrkten).
>
>«Die Gesamtperformance der neoliberalen Mode ist schlecht. Diese hat ihren Höhepunkt schon wieder hinter sich.»
>
><hr>
>WĂ€re mal gespannt, was ihr dazu sagt...
Der heutzutage in Westeuropa und den USA herrschende Glaube an Demokratie, und nun auch Neoliberalismus ist durchaus vergleichbar mit religiösem Fanatismus wÀhrend des Mittelalters.
GruĂ
<center>
<HR>
</center> |