Man stelle sich vor, wie das ist: Tag für Tag, Abend für Abend stehen sie vor der Kamera und Millionen Anleger hängen an ihren Lippen. Und Tag für Tag, Abend für Abend müssen Börsen-Reporter seit vielen Monaten noch Ärgeres verkünden: Die Aktienkurse konnten tatsächlich tiefer fallen, obwohl sich kaum einer vorstellen konnte, dass das überhaupt geht.
Und ständig schlechte Nachrichten von der Börsenfront verbreiten zu müssen, geht auch ihnen irgendwann ans Gemüt. Die Sorge nagt verborgen, in schlaflosen Nächten, in denen der Nemax50 vorm Auge nochmals unter die 1000 Punkte fällt.
Der DAX durchbricht womöglich die 5000er-Marke - natürlich nach unten: In der Phantasie sieht man schon die aktienbesitzenden Zuschauer, wie sie zusammenzucken, sobald an die Börse geschaltet wird. Das lässt auf Dauer kaum einen Reporter kalt.
Börsenreporter sind auch nur Menschen
Also versucht der oder die Arme, dem ganzen derzeitigen Börsengeschehen noch einen positiven Aspekt abzugewinnen, ohne natürlich den aktuell verheerenden Gesamtzustand zu verfälschen. Kann man etwas Tröstliches finden, das noch nicht dutzendfach über den Sender ging?
Was tun, wenn von einer Trendwende schon lange nichts mehr zu sehen ist und die immer wieder gern zitierte Geduld bei einer Investition in Aktien längst überstrapaziert wurde?
Ein hartes Brot, das derzeit an der Börse gekaut werden muss. Übrigens nicht nur von den Börsenreportern, stellvertretend für Millionen von Anlegern. Auch Börsenmakler, die am liebsten auf Urlaub fahren und möglichst so lange wegbleiben möchten, wie der Abwärtstrend ungebremst weitergeht.
Trainer zur mentalen Aufrüstung
Wir Börsenreporter denken inzwischen darüber nach, ob wir nicht vielleicht einen Coach bräuchten, der uns mental wieder aufrüstet für die tägliche Börsen-Berichterstattung aus dem Jammertal. Warum sollte das, was in der Fußball-Bundesliga eingesetzt wird, nicht auch bei Börsen-Reportern funktionieren? Die fühlen sich inzwischen wie ein Tennis-Profi, der eine Niederlage nach der anderen kassiert und schon selber nicht mehr daran glaubt, überhaupt jemals wieder siegen zu können.
Vor zwei Jahren noch schien alles ganz einfach: Schlechte Nachrichten wollten Anleger damals nicht wahrnehmen. Alles schien rosarot. Und, Hand aufs Herz, gute Nachrichten vom Parkett vor der Kamera zu verkaufen, ist um ein Vielfaches leichter als Tristesse in Serie präsentieren zu müssen.
Seit vielen Monaten erleben wir genau das: Nur das Negative wird gesehen, positive Nachrichten, die es trotz allem auch immer mal wieder gibt, werden komplett ausgeblendet. Vom Markt, nicht von den Börsen-Reportern.
Statt »Anmache« jetzt Mitleid
Und die können inzwischen feststellen, dass sich die Stimmung ihnen gegenüber gewandelt hat. War es vor einiger Zeit noch so, dass sie als Überbringer der schlechten Nachrichten »angemacht« wurden, als Bote sinkender Aktienkurse quasi »geköpft« wie früher üblich. So lässt man dieser gebeutelten Spezies gegenüber inzwischen Milde walten, ja man könnte sagen, man hat Mitleid mit uns Börsen-Reportern. Manchmal erfährt unsereins sogar Trost, dass wir immer so schlechte Nachrichten verkaufen müssen.
Aber ist es das, wonach Börsen-Reporter lechzen? Eigentlich wollen sie brillieren mit ihrem Know-how, Hintergründe liefern, warum diese Aktie steigt und jene in der Gunst der Anleger gesunken ist. Sie stecken gerne Lob ein für gekonnte Präsentation oder lassen sich auch mal in ein Gespräch verwickeln, wenn Zuschauer - wo auch immer man sie leibhaftig antrifft - mit leuchtenden Augen von ihren Aktien-Engagements erzählen. Schnee von gestern. Leuchtende Augen gehören, so wie es aussieht, zunächst mal der Vergangenheit ein.
Wir Börsen-Reporter erfahren zur Zeit also Mitleid. Und das ist eigentlich das Letzte, was wir wollten.
Brigitte Weining, Börsenreporterin
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