SZ-Interview: Stephan Articus zum Herbstgutachten
„Wie ein Entwicklungsland“
Städtetag-Geschäftsführer hält Finanzreform für überfällig
(SZ) Den Städten fehlt Geld, viel Geld: Sie leiden unter den wegsackenden Gewerbesteuern und den Folgen der Steuerreform. Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, lehnt den Vorschlag des Herbstgutachtens, die Steuerreform zu beschleunigen, ab: Die Kommunen könnten das „nicht verkraften“.
SZ: Das Herbstgutachten der sechs führenden Wirtschaftsinstitute schlägt vor, die nächsten Stufen der Steuerreform vorzuziehen, um die lahmende Konjunktur in Deutschland anzukurbeln. Die Städte und Gemeinden haben ja bereits über die finanziellen Lasten durch die ersten Reformstufe geklagt. Was käme auf sie zu, würde die Anregung der Institute umgesetzt?
Articus: Auf jeden Fall weitere Kosten in Milliardenhöhe. Die Kommunen könnten das gar nicht verkraften, und am allerwenigsten könnten sie es in den neuen Ländern. Wir haben die Entlastung von Wirtschaft und Bürgern durch die Steuerreform ja eigentlich begrüßt. Aber schon durch ihre erste Stufe entstehen den Kommunen Mindereinnahmen, von denen sie nicht wissen, wie sie sie ausgleichen sollen. Das sind allein in diesem Jahr über acht Milliarden DM...
SZ:... die dramatischen Einbrüche bei der Gewerbesteuer noch nicht mitgezählt.
Articus: Genau. Bei der Gewerbesteuer, immerhin der wichtigsten Einnahmequelle der Städte, verzeichnen wir in den ersten drei Quartalen 2001 ein Minus von 16 Prozent, das macht bis zum Jahresende gegenüber dem Vorjahr weitere fünf Milliarden, die den Kämmerern fehlen. Außerdem erhöhen Bund und Länder die Gewerbesteuerumlage zu ihren Gunsten und zu unseren Lasten von 20 auf 30 Prozent. Es wird ohnehin zu dramatischen Einschnitten bei den städtischen Aufgaben kommen müssen. Sollten weitere Stufen der Steuerreform vorgezogen werden und Löcher in die städtischen Etats reißen, sind wir schlicht ratlos.
SZ: Erwarten Sie Hilfe vom Bund?
Articus: Wir hoffen sehr, dass die Bundesregierung endlich einsieht, wie überfällig eine Gemeindefinanzreform ist.
SZ: Wenn sie das aber nicht einsieht?
Articus: Dann bedeutet das schlicht, dass wohl noch mehr Städte laufende Ausgaben ihres Verwaltungshaushaltes - also Sozialhilfezahlungen und Personalkosten - auf Pump finanzieren müssen. Wir bezahlen dann städtische Angestellte mit kurzfristig geliehenem Geld - das sind Zustände wie in einem Entwicklungsland.
SZ: Können die Städte nicht aus eigener Kraft gegensteuern?
Articus: In der Regel haben sie ihre Möglichkeiten doch längst ausgereizt. Wo wollen sie denn noch groß sparen? Schauen Sie sich nur den traurigen Zustand der Schulen an. Über die Auszahlung der Sozialhilfe, über die Jugend- oder Behindertenhilfe, über die Bereitstellung von Kindergärten können wir kommunalpolitisch nicht entscheiden - das ist alles gesetzlich vorgegeben. Entscheiden können die Städte über ihre eigene Investitionspolitik, und die gerät unter die Räder. Der Verfall der öffentlichen Investitionen auf kommunaler Ebene ist atemberaubend. Sie befinden sich um ein Drittel unter dem Niveau von 1992.
SZ: Andererseits käme eine Konjunkturbelebung durch eine schnellere Steuerreform doch auch den Städten zugute.
Articus: Die Erfahrung des Jahres 2001 lehrt uns leider, dass selbst ein großes Steuerentlastungsprogramm eine ausgeprägte Konjunkturschwäche nicht verhindert hat.
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