Quelle: CONDOR
Deutsch-Chilenische Wochenzeitung in deutscher Sprache
Santiago de Chile
Ausgabe Nr. 3472 vom 1. November
Exportgut Nummer Eins in der Krise:
Sorgenkind Kupfer
Nachdem der Kupferpreis letzte Woche mit 60,872 Centavos pro Pfund auf den
niedrigsten Stand seit 1987 gefallen war, macht sich ernste Besorgnis bei
Unternehmern und Arbeitern breit. Während die Minenarbeiter vorschlagen,
ein Kartell zu gründen, um mit dessen Hilfe die Kupferproduktion weltweit
um 10 Prozent zu drosseln, denken die Unternehmer daran, einige Minen
schlichtweg zu schließen, was jedoch auch sozialen Sprengstoff in sich
birgt.
Aufgrund des Verfalles des Kupferpreises, der letzte Woche den niedrigsten
Stand seit 14 Jahren markierte, könnte der Staat dieses Jahr bis zu 400
Millionen US-Dollar Verlust einfahren. Aber schon das ganze Jahr über hat
es schlecht für den Preis des roten Metalles ausgesehen: Er ist beständig
gefallen - und das bei dem Exportgut Nummer Eins des Landes! Der
Kupferexport macht heute 40 Prozent der Gesamteinkünfte von Chile aus,
woraus sich schon von selbst versteht, wie sensibel die nationale
Wirtschaft auf Preisschwankungen in diesem Bereich reagiert.
Trotz des Tiefstandes zu Wochenbeginn erholte sich der Kupferpreis leicht,
nachdem ein nordamerikanisches Unternehmen angekündigt hatte, die
Produktion zu vermindern. Diese Maßnahme hat auch in Chile wieder die Idee
wachgerufen, die Wirtschaftsexperten wie Orlando Caputo, Manuel Riesco oder
Hugo Fazio im Hinblick auf den Preisverfall schon vor Monaten geäußert
hatten und die dem einfachen Marktgesetz von Angebot und Nachfrage
gehorcht: Nämlich das Angebot zu verringern, um den Preis des wertvollen
Metalls zu steigern. Jetzt kam der gleiche Vorschlag auch von der
Confederación Minera, einer Gewerkschaftsvereinigung, in der 5.000 Arbeiter
des Sektors zusammengeschlossen sind (rund 10 Prozent der
Gesamtarbeitskräfte), und die schon 1998 zum ersten Mal diese Alternative
zur Diskussion stellte. Der Präsident der Vereinigung, Moisés Labraña,
schlug vor, ein Kartell zu gründen, das - ähnlich wie die Organisation der
Erdölproduzenten - die Preise kontrolliert und den Preisverfall
gegebenenfalls aufhalten kann. Labraña führt die niedrigen Preise auf die
Überproduktion von Kupfer zurück, für die seiner Meinung nach
ausschließlich die privaten Minen verantwortlich sind. Diese verzeichneten
in den 90er Jahren - dank vielfältiger staatlicher Begünstigungen - ein
explosives Wachstum, so der Präsident der Confederación Minera. Er
appellierte an die Regierung, die nationalen und internationalen
Produzenten zusammenzurufen, um zu einer Übereinkunft zu gelangen, die es
erlaubt, die Produktion um 10 Prozent zu reduzieren. Nach Berechnungen der
Vereinigung würde es zirka zwei Jahre dauern, um mit dieser Maßnahme ein
Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen, was ferner
erlauben würde, den Kupferpreis im Laufe von vier Jahren bei 1,10 bis 1,20
US-Dollar pro Pfund zu stabilisieren - was immerhin den doppelten Betrag
des derzeitigen Erlöses ausmachen würde.
Aktuelle Daten der Confederación zeigen, dass die Kupferproduktion in Chile
zwischen 1995 und 2000 um 100 Prozent angestiegen ist, das heißt, von
2.488.000 Tonnen auf 4.900.000 Tonnen. Weltweit wurde 23 Prozent mehr
Kupfer - hauptsächlich aus chilenischer Produktion - verkauft, während der
Konsum jedoch nur um 12 Prozent anstieg. Labraña und verschiedene
Wirtschaftsexperten machen die Regierung für den «irrationalen Anstieg der
Kupferproduktion» verantwortlich, die ihrer Meinung nach nicht in der Lage
gewesen sei, eine einheitliche Politik in diesem Bereich zu verfolgen, die
es ermöglichen würde, den Preis des Metalles zu kontrollieren und zu
schützen.
Der Präsident von Codelco, Juan Villarzú, hält indessen eine Koordinierung
zur Reduktion der Produktion, die zum Preisanstieg führen soll, für
unmöglich. Für ihn ist die Marktstruktur des roten Metalls nicht mit der
des Erdöls vergleichbar. Außerdem habe die staatliche Kupferproduktion nur
einen Anteil von 15 Prozent an der weltweiten Gesamtproduktion und sei von
daher nicht umfangreich genug, um sich in das Marktgeschehen einzumischen.
Zudem sei die Mehrheit der Unternehmen privat und befände sich im Besitz
von Europäern und Nordamerikanern: «Deren antimonopolistische Normen
verhindern eine Absprache des Preises», äußert sich Villarzú. Dieser
Auffassung widerspricht Labraña entschieden. Er führt als Beispiel die USA
an, die mit 20 Prozent Getreideproduktion den Preis für Weizen
kontrolliert.
Der Präsident der Bergbau-Kommission des Senats, Ricardo Núñez, spricht
sich hingegen für einen Mittelweg aus. Zwar ist er wie Villarzú der
Meinung, dass die Voraussetzungen zur Schaffung eines Kartells nicht
gegeben sind, hält es aber für notwendig, auf internationaler Ebene klare
politische Linien zu definieren und gegebenenfalls gemeinsame Absprachen zu
treffen.
Der Präsident von Sonami, Hernán Hochschild, sieht auch für nächstes Jahr
ein düsteres Panorama voraus. Es sei besorgnis erregend, so Hochschild,
wenn man bei der Planung des Haushaltsbudgets für 2002 von einem
Kupferpreis von 78 Centavos pro Pfund ausgehe, wenn der Durchschnitt
derzeit bei 65 Centavos liegt. Angesichts des negativen Szenariums ist die
Schließung einiger Minen nicht ausgeschlossen. Dagegeb wehren sich die
Arbeiter. Sie sind der Meinung, dass diese Maßnahme keine Auswirkung auf
den Kupferpreis hätte. Das rote Metall ist zum Sorgenkind geworden. Eine
klare politische Haltung sollte hier Abhilfe schaffen.
-Birgit Tuerksch-
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