Das Recht auf der Streckbank
Aus amerikanischen Zeitschriften: Kann Foltern Rechtens sein?
Die Zahlen schwanken. Zwischen siebenhundert und annähernd tausend Menschen sollen seit dem 11. September als mögliche Komplizen oder Verbindungsmänner der Terroristen in den Vereinigten Staaten verhaftet worden sein. Bisher hat keiner von ihnen in den Verhören einen Hinweis gegeben, der die Behörden in ihrem Kampf gegen Al Qaida oder andere Terrororganisationen weitergebracht hätte. Von nur zehn von ihnen ist mit einiger Glaubwürdigkeit zu vermuten, daß sie etwas Hilfreiches zur Untersuchung des FBI beitragen könnten. Doch sie schweigen. Zwei Monate nach den Anschlägen in New York und in Washington setzt nun eine Debatte darüber ein, ob dieses enttäuschende Ergebnis vielleicht damit zusammenhänge, daß die Verhörmethoden der amerikanischen Geheimdienste nicht dazu geeignet seien, mögliche Mitwisser zum Sprechen zu bringen. Im Klartext: ob es nicht in Einzelfällen angezeigt sei, Auskünfte mit Gewalt zu erzwingen.
Informationserhalt durch Folter ist nach amerikanischem und internationalem Recht verboten. Dennoch fragt ein als liberal geltender Kommentator in"Newsweek", ob es nicht an der Zeit sei, über den Einsatz von Foltermethoden nachzudenken. Nicht über Stachelstöcke und Gummischläuche,"jedenfalls nicht in Amerika", aber vielleicht über psychologische Folter,"Filme von sterbenden Hasen oder Hochfrequenz-Rap", wie das Militär sie in Panama verwandt habe. Was ist mit Wahrheitsserum, was mit einer Auslieferung an Saudi-Arabien,"das Land der Kopfabschläger"?"Newsweek" verweist auf Israel, wo über die Legitimität von Folter seit langem diskutiert werde und erst seit 1999 physische wie psychologische Folter verboten seien. Doch selbst heute noch gestatte das israelische Recht, mit"moderatem körperlichem Druck" vorzugehen, wenn Gefahr für das Leben vieler drohe. Die Entscheidung darüber, wann das der Fall sei, treffen die Untersuchungsbehörden.
Alan Dershowitz, Rechtsprofessor in Harvard, soll in seinem neuen Buch,"Shouting Fire", das demnächst herauskommt, für eine Art"Folteranordnung" plädieren, die eine dem Hausdurchsuchungsbefehl vergleichbare juristische Gestalt haben soll. Die Auskünfte, die auf diese Weise erzwungen würden, dürften allerdings nur für eine Untersuchung, nicht in einem Prozeß gegen den Häftling verwendet werden."Ich bin nicht für Folter", wird Dershowitz zitiert,"aber wenn wir foltern sollten, dann nur auf Gerichtsbeschluß."
Amerika ist im Krieg. Da gelten, auch nach Meinung einiger Menschenrechtsorganisationen, andere Gesetze."Die Verfassung ist kein Selbstmordpakt", zitiert"Newsweek" den Verfassungsrichter Robert Jackson, den amerikanischen Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen. Was die verschiedenen Nachrichtenorgane zur Folterdiskussion beizutragen haben, hat die"New York Times" zusammengestellt. Der Nachrichtensender Fox ließ einige Folteradvokaten zu Wort kommen, die in"verzweifelten Zeiten für entsprechende Mittel" plädierten, während Kritiker warnten, die Vereinigten Staaten würden bei Mißhandlung von Verdächtigen ihre moralische Position aufgeben, von der aus sie Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern anprangern könnten. Bei CNN erschienen aus demselben Anlaß Vertreter von Amnesty International und von Human Rights Watch, um einerseits ihrem Verständnis für die Frustration des FBI und das Aufkommen der Folterfrage Ausdruck zu geben, andererseits aber die Gefahr,"diese Tür zu öffnen", für unabsehbar hielten.
Im"Wall Street Journal" hatte hingegen der Historiker Jay Wink anhand des Falls von Abdul Hakim Murad, der 1995 auf den Philippinen gefoltert und verurteilt worden war, dargelegt, daß durch dessen erzwungene Informationen einige katastrophale Terroranschläge nachweislich verhindert worden seien. Wäre Murad nach amerikanischen Verhörmethoden befragt worden, hätte er wahrscheinlich geschwiegen. Er verteidige nicht die Folter, schrieb Wink, doch die Vereinigten Staaten müßten jetzt über die Einschränkung der Bürgerrechte nachdenken, wie sie es in anderen Kriegen getan hätten. Das ist mit der kürzlich verabschiedeten Antiterrorgesetzgebung geschehen, die Lauschangriffe erleichtert, Prinzipien des Bankgeheimnisses nahezu außer Kraft setzt und es dem FBI gestattet, verdächtige Immigranten auf möglicherweise unabsehbare Zeit in Haft zu behalten.
Daß auch die Amerikaner zu ihren Untersuchungshäftlingen nicht allzu nett sind, belegt das Online-Magazin"Slate" in einer kühlen Analyse, wie das amerikanische Recht zur Folter steht und welche Unterschiede es macht, je nachdem, ob ein amerikanischer Staatsbürger oder ein Fremder, ob auf amerikanischem Boden oder anderswo, ob von amerikanischen oder befreundeten Behörden gefoltert wird. Es steht außer Frage, daß das amerikanische Recht Folter verbietet. Nicht so klar ist die Lage, was rechtens ist, nachdem gefoltert wurde. Möglicherweise lassen Gerichte durch Folter erzwungene Aussagen zu, möglicherweise erheben sie Anklage gegen einen Amerikaner, der gefoltert haben soll.
Es ist seit langem bekannt, daß die CIA gefoltert, andere Nationen unterrichtet und auch Verdächtige an folternde befreundete Geheimdienste ausgeliefert hat. Letzteres habe zum Beispiel funktioniert, als es darum ging, die zur Jahrtausendwende geplanten Anschläge zu vereiteln."Wir können die Ägypter nicht bitten, unsere Verdächtigen zu foltern", schreibt"Slate","aber wir können den Nutzen daraus ziehen, wenn sie es tun." Es sei kaum anzunehmen, daß ein Komplize von Bin Ladin, der anderswo mißhandelt worden sei, in den Vereinigten Staaten erfolgreich dagegen klagen könnte, daß auf diese Weise erzwungene Informationen nicht gegen ihn verwendet würden.
Bisher hat es eine solche Auslieferung an wenig zimperliche Geheimdienste, soweit bekannt ist, nicht gegeben. Wenn die Verdächtigen in den amerikanischen Gefängnissen weiterhin schweigen und der Präsident ihnen nicht ihre Habeas-Corpus-Rechte abspricht, eröffnen sich den Behörden nur eine Reihe anderer unschöner Optionen: die Verdächtigen laufen zu lassen mitsamt aller unenthüllten Informationen; sie nach Saudi-Arabien oder Ägypten auszuliefern, wo sie wahrscheinlich mißhandelt werden; oder aber, entsprechend den neuen Antiterrorgesetzen, sie auf unbestimmte Zeit festzuhalten, was ab einem bestimmten Zeitpunkt der Folter gleichkommt."Slate" zitiert den Fall der unbegrenzten Internierung japanischstämmiger Amerikaner nach dem Angriff auf Pearl Harbor, in dem der Oberste Gerichtshof entschieden hatte, daß es sich bei der Zwangsinternierung weder um Folter noch um rassische Diskriminierung gehandelt habe. Eine vergleichbar bizarre Rechtsprechung werde den Gerichten im Zweifelsfall auch heute gelingen.
Das liberale Magazin"The New Republic" bricht ein weiteres Tabu. Der Krieg gegen den Terrorismus habe ein Problem wieder auf den Tisch gebracht, das schon im Kalten Krieg heftig diskutiert worden sei: ob Amerika nämlich Seite an Seite mit Nationen kämpfen dürfe, welche die Menschenrechte im eigenen Land mißachten. Im Gegensatz zu einigen Menschenrechtsorganisationen, die diese Frage mit einem unnachgiebigen Nein beantworten, meint"The New Republic","es kommt darauf an", und zwar darauf, ob das Verhältnis zwischen moralischen Kosten und handfesten Leistungen angemessen sei. Die Zusammenarbeit der amerikanischen Regierung mit Saudi-Arabien und Ägypten und mit den Nachbarländern Afghanistans, mit Usbekistan und Pakistan, sei unter dieser Prämisse hinnehmbar, selbst wenn die Bilanz von Menschenrechtsorganisationen in diesen Ländern katastrophal ist. Die Werbung um Sudan, Iran und Syrien jedoch sei nicht zu rechtfertigen, weil Amerika von dort keinerlei Unterstützung erwarten könne."Zynisch?" fragt das Magazin rhetorisch."Absolut." Aber die Luftangriffe auf Afghanistan könnten schließlich nicht aus Skandinavien starten.
VERENA LUEKEN
The New Republic vom 22. Oktober slate.com vom 24. Oktober Newsweek vom 5. November The New York Times vom 5. November
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.2001, Nr. 262 / Seite 40
gruss mcmike
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