Hallo R.Deutsch
Sie schreiben:
>... als was der Mensch zu betrachten ist, als freies, selbstbestimmtes, selbstverantwortliches Wesen, das in freier Entscheidung sich einer Gemeinschaft anschließt, oder als Teil einer Gemeinschaft, in die er hineingeboren wurde, zu der er gehört und deren Regeln er sich zu unterwerfen hat.
>Das sind zwei völlig konträre Menschenbilder. Im ersten Fall entstehen Moral, Gesetze und Gesellschaft in freier Übereinkunft selbstbestimmter Individuen - auch Religionen sind dann so entstanden. Im zweiten Fall wird von einer imaginären übergeordneten Instanz alles verordnet...
Erlauben Sie mir bitte, wieder einmal ein paar (großartige) Zeilen aus Ferdinando Galiani's «Della moneta» zu zitieren (dasselbe läßt sich übrigens aber auch in jüngerer Zeit bei F.A. v. Hayek finden):
<ul>Ich bin der festen Überzeugung, daß von all den unerhört nützlichen und wunderbaren Einrichtungen unseres bürgerlichen Lebens [G: Darin auch die von Ihnen erwähnte Moral, die Gesetze, die Religion u.s.w.] keine einzige eigentlich das Ergebnis der Weisheit unseres Geistes ist, sondern daß sie uns ausnahmslos von einer wohlgesonnenen, gütigen Vorsehung in einem ganz wörtlichen Sinne geschenkt worden sind. Und weil sicherlich alle großen Dinge klein und unscheinbar beginnen und langsam wachsen, dann aber mit unaufhaltsamer Kraft Fortschritte machen ( da sie von der Natur selbst, die ihren Fortgang nach einer festen Ordnung bestimmt, getragen werden und ihre Festigkeit erhalten ), kann der Mensch weder ihren Ursprung erkennen, noch ihr Wachstum aufhalten und sie auch nicht eigenmächtig verändern. Denn da sich die Macht eines Menschen nicht über dessen kurzes Leben hinaus erstreckt, kann er weder vor seiner Geburt neue Dinge verhindern noch sicherstellen, daß nach seinem Tod seine Ziele weiterverfolgt werden. Es schmeichelt zwar der Eitelkeit der Menschen, sich das Hervorbringen oder doch zumindest die (sogenannte) Vervollkommnung der Einrichtungen eines schön geordneten Ganzen, das als Endergebnis vor uns liegt, als eigene Leistung anzurechnen. Aber selbst die Vollendung bestehender Institutionen ist keineswegs zur Gänze ein Werk des Menschen: Denn entweder ist eine Institution notwendig, dann bleibt sie bestehen, oder eben nicht, dann geht sie von allein zugrunde. Romulus dachte sicher nicht an die Errichtung eines riesigen Reiches, und Augustus merkte nicht, daß er es durch seine Vervollkommnung und Festigung zerstörte. Die Tugenden, die zum Aufstieg Roms führten, und die Laster, die es vernichteten, wurden jeweils in den Menschen von den Einrichtungen und Unzulänglichkeiten jenes Staates zugrunde gelegt, der eben gerade so angelegt war, daß er genau diese Wirkungen hervorrufen mußte. Auch die Institution des Geldes ist... zweifellos eine solche großartige Errungenschaft.</ul>
Aus diesen schon von Ferdinando Galiani dargelegten (und, wie gesagt, neuerdings von F.A. v.Hayek vertieften) theoretischen Überlegungen, glaube ich nicht, daß der Mensch jemals wirklich zwischen den von Ihnen skizzierten Alternativen im Wortsinne"wählen" und sich"entscheiden" kann. Ja eine solche (konstruktivistische)"Wahl" wäre, wie Hayek in"Mißbrauch und Verfall der Vernunft" nachweist, wahrscheinlich sogar höchst gefährlich für die Gesellschaft! Ich bin (wohl mit nereus und Uwe) der Überzeugung, daß es geradezu das Problem unserer Gesellschaft ist, daß zuviel gewählt wird, daß jeder meint, Institutionen, die der Mensch geschaffen hat, könne der Mensch auch jederzeit wieder nach seinem Gutdünken ändern und abschaffen. Wer so denkt, übersieht, wieviel Weisheit und"geronnene Menschheitserfahrung" in unseren Institutionen steckt und eingeflossen ist. Wie heißt es doch schon so schön im 1. Brief des Paulus an die Korinther (8:2):"Wenn sich jemand dünken läßt, er wisse etwas, der weiß noch nicht, wie man erkennen soll."
Dennoch haben Sie natürlich mit Ihrem Gegensatz: entweder,"sich aktiv dem Leben stellen" oder sich"passiv in die Gegebenheiten schicken" Recht. Aber nicht die Autorität der Institutionen ist es, der man sich nicht unterwerfen dürfte, sondern dem"totalitären" Menschenbild muß Widerstand entgegengesetzt werden (wobei man nicht an Hitler oder Stalin denken muß, um auch in der heutigen Politik Ansätze dafür zu finden, daß die Menschen fast überall einem mehr oder weniger"totalitären" Regime unterworfen sind).
Einen simplen aber recht einleuchtenden Grund dafür, warum - seit Anbeginn der Welt - Menschen stets Menschen unterwerfen wollen, warum Staaten stets zentralistisch und freiheitsfeindlich sind, habe ich gestern in einem Vortrag des weisen Otto von Habsburg gehört: Alle Menschen meinen insgeheim, sie seien im Grunde ein kleines bißchen gescheiter und intelligenter als alle anderen Menschen und, zweitens, halten sich alle Menschen grundsätzlich für edel, gütig und gerecht! Unter diesen Prämissen ist es völlig verständlich, wenn Menschen versuchen, alle anderen Menschen"zu ihrem Glück zu zwingen" (selbst gegen deren erklärten Willen)! Denn, erstens, denkt jeder - aufgrund seiner vermeintlich größeren Intelligenz - er wisse ja ganz genau, was für das Gemeinwohl am besten ist; und zweitens will jeder, - denn jeder ist ja vermeintlich gütig, - den anderen (geistig weniger bemittelten) Menschen Gutes tun (selbst gegen deren erklärten Willen)!
Verblüffend, nicht! Wie gut also, daß es Institutionen gibt, die dieses Übermaß an allseitiger Gütigkeit bremsen...
Galiani (und mit ihm die meisten Ã-konomen von Rang) gehen ein wenig anders an das Problem heran (obwohl sich natürlich bei Ihnen ebenfalls - wenn auch in durchdachterer Form - die Elemente des Besserwissens und der"allseitigen Güte" finden). Galiani sagt (S. 341): «Ziel jeder Regierung muß... sein, das Leben der... Bürger glücklicher und erstrebenswerter zu machen.» Das könne u. a. dadurch bewerkstelligt werden, daß beim Austausch der «Früchte ihrer Arbeit» die Leistungsbereiten durch «Belohnung besonderen Fleißes mit einem Mehr an Wohlstand» darauf achten, daß nicht «der Faulpelz, der seine Arbeit der Gemeinschaft vorenthält, auf Kosten der anderen schmarotzen» kann. Nur unter Gewalt und psychischem Zwang werden sich Menschen einer Gesellschaftsordnung unterwerfen, die diesen Ausgleich nicht zu leisten vermag. Denn eine solche Gesellschaftsordnung würde die arbeitsamen und redlichen Leute um die Chance prellen, «glücklich und besser leben» zu können.
Es könne, so Galiani, «keinen sauberen Staat geben und kein Glück», wenn man zuläßt, «daß jemand etwas von sinem sauer verdienten Geld ausgeben muß oder verliert, ohne dafür irgendeinen Genuß zu erhalten».
Die Kritiker unserer Marktwirtschaft, denen die Freiheit vielfach kein Anliegen ist, verkennen, daß eine solche Gesellschaftsordnung nur möglich ist, wenn starke Institutionen den Eigenwert des Menschen hochhalten und dafür sorgen, daß niemandem seine Freiheit genommen wird: die Freiheit jedes Menschen, sein eigenes Glück, wie er es versteht, zu suchen; die Freiheit, zu behalten, was er verdient hat; und die Freiheit schließlich, daß er nur Geld für solche Dinge ausgeben muß, die er auch wirklich haben will (und nicht für bürokratische Moloche, Staatsgarantien an Luftfahrtgesellschaften oder Subventionen, die ihn nichts angehen).
Auf Seite 351 meiner Übersetzung des großartigen Buches von Ferdinando Galiani heißt es:
«In den Herzen der Menschen lebt die Überzeugung, daß sie allein Herr und Richter ihrer eigenen Angelegenheiten sind. Deswegen wird jedes Gesetz mißachtet und mit Füßen getreten, das den Staatsbürger dieser Verfügungsmacht berauben will.»
Darum geht es! Die Verunsicherung der Menschen durch die permanenten Versuche der Staaten, deren Freiheit zu beschränken, führt meiner Ansicht nach dazu, daß die Kraft und Richtigkeit der Institutionen hinterfragt, angezweifelt und ignoriert wird. Ein Prozeß, der meiner Meinung nach nur dadurch zu stoppen ist, daß die schleichende Untergrabung unserer Institutionen durch eine populistische Politik, die den Bürger enteignet ihn aber andererseits durch Bestechung für ihre zweifelhaften Ziele zu gewinnen sucht, radikal aufhört.
Wahrscheinlich geht das aber nur, wenn den Staaten durch irgendein Ereignis radikal die Finanzbasis entzogen wird. Insoferne schimmert trotz der im Vorletzten pessimistischen Weltsicht, wie sie hier im Forum mitunter vertreten wird, im Letzten doch, wie ich meine, eine durchaus positive Hoffnung durch...
Gruß
G.
<center>
<HR>
</center> |