Mehrere hundert Gotteskrieger haben in der eingekesselten Stadt Kundus ihre Waffen niedergelegt. Nun will die Nordallianz die vollständige Kapitulation der Taliban erreichen. Unterdessen soll Pakistan damit begonnen haben, Teile der Taliban-Milizen auszufliegen, berichtet der Spiegel.
Ein notorischer Lügner als Kronzeuge
Somalia sieht sich als Verschwörungsopfer / Von Thomas Scheen
MOGADISCHU, 23. November. Der Weg in das vermeintliche Finanzzentrum der Terrororganisation Al Qaida führt vorbei an schläfrigen Wachposten, windet sich drei Stockwerke hoch und endet in einem winzigen Büro vor einem älteren Herrn in feinem Zwirn. Muhamed Mahmud ist Sprecher und Mitglied des Vorstandes des somalischen Geldtransferinstituts Al Barakaat in Mogadischu, von dem die Amerikaner behaupten, es finanziere Usama Bin Ladins Terrornetzwerk. Seitdem verbringt Mahmud seine Zeit damit, erboste Kunden zu beruhigen, weil Al Barakaat seine weltweiten Tätigkeiten einstellen mußte.
Den Namen Al Qaida habe er nach den Anschlägen vom 11. September zum ersten Mal gehört, beteuert Mahmud. Und daß der Gründer von Al Barakaat, Ahmad Jimale, drei Jahre in Afghanistan verbracht haben soll und ein enger Freund Usama Bin Ladins sei, hält er für Propaganda."Jimale war Angestellter der amerikanischen Citi-Bank in Saudi-Arabien, bevor er sich selbständig machte", erzählt Mahmud. Und hebt die Schultern. Was soll er noch sagen? Daß Al Barakaat den größten Umsatz in den Vereinigten Staaten macht und schon deshalb nichts gegen amerikanische Interessen unternehme?"Irgend jemand hat beschlossen, uns fertigzumachen", glaubt Mahmud. Und er meint damit nicht nur sein Unternehmen, sondern das ganze Land.
Somalia ist spätestens seit der Al-Barakaat-Affäre und den Vorwürfen, die militante Fundamentalistengruppe Al Ittihad Al Islamija unterhalte Trainingslager im Land, abermals zum Inbegriff für Anarchie und Chaos geworden. Die Sicherheitsberaterin des amerikanischen Präsidenten, Condoleeza Rice, bezeichnete Somalia als"gutes Versteck für Terroristen" und leistete damit den Mutmaßungen über eine bevorstehende amerikanische Militäraktion am Horn von Afrika Vorschub.
Tatsächlich ist die Situation in Mogadischu nicht dazu angetan, Vertrauen zu wecken. Für den Weg vom improvisierten Flughafen in die Stadt ist zum Schutz vor Überfällen eine schwerbewaffnete Eskorte nötig. An der ehemaligen Demarkationslinie zwischen verfeindetem Norden und Süden Mogadischus, der Green Line, ist buchstäblich kein Stein mehr auf dem anderen. Der Rest der Stadt sieht nicht viel besser aus.
Mogadischu ist ein Ort, in dem der abendliche Kinobesuch des weißen Gastes in einem Betriebsausflug für Leibwächter endet. Acht bis an die Zähne Bewaffnete sind es schließlich, die es sich trotz Protesten nicht nehmen lassen, dem Fremden Gesellschaft zu leisten."Damit du nicht verlorengehst", wie einer von ihnen sagt.
Zu Fuß durch die Stadt zu laufen ist lebensgefährlich - zu viele Waffen sind in zu vielen Händen. Statt dessen muß selbst für Kurzstrecken Schutz hinter verspiegelten Autofenstern gesucht werden, und auf der Ladefläche des Geländewagens hocken die acht Bekannten von der Kalaschnikow-Fraktion. Zum Schutz des Hotels hat die Geschäftsführung gleich 50 Jugendliche mit Schnellfeuerwaffen engagiert. Sonst ginge es nämlich auch"verloren".
Vor der UN-Mission"Restore Hope" zu Beginn der neunziger Jahre war Mogadischu zweigeteilt. Heute sind es vier Teile. Da gibt es die Fraktion um Hussein Aidid, den Sohn von General Mohammed Aidid, den die Amerikaner 1993 vergeblich festzunehmen versuchten. Gleich nebenan sitzen die Milizen von Ibrahim Ato, und im Norden regiert Mussa Sudi. Dazwischen laviert eine"Übergangsregierung", die sich vor einem Jahr in Djibouti konstituierte, sich überwiegend aus Würdenträgern aus der Zeit des 1990 gestürzten Diktators Siad Barre zusammensetzt und von kaum einem der Warlords ernst genommen wird.
Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch jeder staatlichen Ordnung ist die Waffe immer noch die sicherste Einnahmequelle in Somalia. Trotzdem glaubt der Polizeichef der Übergangsregierung, Abdi Awale, seine 8000 Mann starke Truppe kontrollierte"98 Prozent der Stadt". Wovon angesichts der zahllosen Bewaffneten im Stadtbild keine Rede sein kann. Den Vorwurf indes, die Polizeitruppe setze sich aus ehemaligen Kämpfern der Al Ittihad Al Islamija zusammen, quittiert Abdi Awale mit Kopfschütteln. Viele seiner neuen Beamten seien frühere Milizionäre, die in Diensten der islamischen Gerichte von Mogadischu tätig gewesen seien, ohne deswegen Fundamentalisten zu sein. Jetzt erhalten sie 50 Dollar Lohn monatlich und sind angeblich zufrieden."Wir sind die Opfer einer Vorverurteilung, die ihresgleichen sucht", kommentiert der stellvertretende Ministerpräsident der somalischen Übergangsregierung, Osman Jama, die westlichen Vorwürfe, Somalia sei ein Terroristennest. Jama residiert im provisorischen Regierungssitz, einem ehemaligen Hotel im Norden der Stadt. Er sagt, die Stadt sei ruhig und die Situation unter Kontrolle. Vor dem Hotel sorgt die größte Ansammlung von Schnellfeuerkanonen in ganz Mogadischu dafür, daß Jama am Leben bleibt.
Den Grund für das Interesse der Vereinigten Staaten an Al Barakaat und Al Ittihad Al Islamija sucht Jama beim Nachbarn Äthiopien, wo seit Februar der somalische Warlord Hussein Aidid lebt. Offiziell als Gast der Regierung, inoffiziell als lebender Beweis für die angeblich fundamentalistischen Bestrebungen der Übergangsregierung in Mogadischu.
Hussein Aidid, der einen amerikanischen Paß besitzt, früher bei den Marineinfanteristen gedient hat, hat vom Saulus zum Paulus gewandelt. Vor nicht allzu langer Zeit noch erbitterter Gegner Äthiopiens und derjenige Warlord, der die engsten Kontakte zu Al Ittihad Al Islamija unterhielt, wird Aidid seit seinem Umzug nach Addis Abeba nicht müde, der Übergangsregierung fundamentalistische Bestrebungen zu unterstellen. Dieser Zeitung liegen Briefe Aidids an den amerikanischen Präsidenten vor, in denen Al Barakaat beschuldigt wird, eine Filiale von Al Qaida zu sein, und die sieben Tage nach den Attentaten von New York und Washington abgeschickt wurden. Warum Aidid, den selbst ein zurückhaltender EU-Vertreter in Somalia als"notorischen Lügner" bezeichnet, zum Kronzeugen einer tatsächlichen oder vermeintlichen Tätigkeit fundamentalistischer Milizen in Somalia aufstieg, ist eines der Rätsel, mit dem sich Somalia konfrontiert sieht.
"Das Problem der Amerikaner ist, daß sie nur Informationen aus zweiter Hand bekommen", mutmaßt Abdullah Derow, der Parlamentspräsident der Übergangsregierung. Und grinst. Schließlich kennt er die Spielregeln. Aus seiner Zeit als Oppositioneller gegen das diktatorische Regime Siad Barres weiß er, daß der sicherste Weg, Waffen und Munition zu bekommen, der ist, den Äthiopiern"irgend etwas" über bevorstehende Aktionen gegen ihr Land zu erzählen. Über Addis Abeba gelangen die Informationen nach Washington."Diesen Film habe ich schon häufiger gesehen", sagt Derow.
Zwar bestreitet niemand in der Übergangsregierung, daß es Anhänger der Fundamentalistengruppe Al Ittihad Al Islamija in Somalia gibt. Doch als organisierte Gruppe habe sie aufgehört zu existieren. Das wisse niemand besser als Äthiopien, schließlich habe die äthiopische Armee die Gruppe Anfang der neunziger Jahre militärisch quasi vernichtet, sagt Derow. Der Aufforderung Mogadischus an Washington, Ermittler nach Somalia zu schicken, wurde bislang indes nicht entsprochen.
Vor dem Al-Barakaat-Gebäude in der Altstadt Mogadischus hockt derweil eine Reihe Männer auf dem Bürgersteig und hofft, daß die Schalter doch noch öffnen und sie Geld abheben können. 60 bis 70 Millionen Dollar bringt alleine Al Barakaat nach eigenen Angaben jährlich in die Stadt. Geld, das im Ausland lebende Somalier ihren Familien überweisen. 80 Prozent der Bevölkerung lebt in Ermangelung anderer Einnahmequellen von diesen Dollars."Wenn Al Barakaat nicht arbeitet, hungert Mogadischu", sagt Mahmud.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.11.2001, Nr. 274 / Seite 3
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