Die Macht des billigen Geldes
HOLGER SCHMIEDING, Macro Europe Consulting
Selten waren die Zinsen so niedrig wie heute. Dennoch geht die Wirtschaftsleistung in Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zurück. Rund um den Globus wachsen die Zweifel, ob die Geldpolitik bald einen neuen Aufschwung herbeiführen kann. Für solch"Dauer"-Pessimismus gibt es jedoch wenig Anlaß.
Niedrigere Zinsen entfalten ihre belebende Wirkung erst nach knapp einem Jahr. Nachdem die amerikanische Notenbank die Zinsen seit Januar schrittweise gesenkt hat, hat der Terrorschock des 11. September offenbar verhindert, daß sich die amerikanische Konjunktur bereits in diesem Herbst stabilisiert. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Die Verbraucher in den Vereinigten Staaten nutzen bereits das billige Geld, um Hypothekenkredite günstig umzuschulden. Gleichzeitig stärken umfangreiche Steuersenkungen und niedrige Ã-lpreise ihre Kaufkraft. Die Verbraucher können deshalb mehr auf die hohe Kante legen, ohne im kommenden Jahr ihren Konsum einschränken zu müssen. Im Oktober haben die Amerikaner mehr Autos gekauft als je zuvor, angelockt durch das kurzzeitige Angebot zinsloser Kredite. Der Autoabsatz wird sich zwar bald normalisieren. Aber dieses Verhalten beweist, daß die Verbraucher sehr wohl auf den Anreiz niedriger Zinsen zu reagieren wissen.
Auch das Investitionsverhalten der amerikanischen Unternehmen belegt eher die Macht als die Ohnmacht der Geldpolitik. Denn mit niedrigen Zinsen hatte die amerikanische Notenbank nach der Rußland-Krise zunächst Investitionen und Aktienkurse zu sehr stimuliert. Anschließend hat die Bank mit ihren Zinserhöhungen des Jahres 2000 die Bereinigungskrise mit ausgelöst. Nach der notwendigen Investitionspause in diesem Jahr können das billige Geld und ein zunehmender Ersatzbedarf für kurzlebige Technologie-Produkte den Investitionen im kommenden Jahr neuen Schwung verleihen.
Der Vergleich zwischen Japan und den Vereinigten Staaten zeigt ebenfalls, wie sehr es auf die Geldpolitik ankommt. In beiden Ländern war eine Blase am Aktienmarkt geplatzt, in Japan Ende 1989, in den Vereinigten Staaten Anfang 2000. Bereits 18 Monate danach hatte die aggressive amerikanische Notenbank den realen, also inflationsbereinigten Geldmarktzins auf unter Null gedrückt. In Japan hatte eine viel zu restriktive Geldpolitik dazu sieben Jahre gebraucht. Deshalb ist Japan in eine Depression auf Raten gerutscht, für die es in den Vereinigten Staaten keine Anzeichen gibt.
In den Vereinigten Staaten mag der weiterhin starke Dollar die Wirkung der niedrigen Zinsen ein wenig dämpfen. Aber über den Außenwert der Währung geht keine Nachfrage verloren. Der Wechselkurs sorgt nur dafür, daß ein entsprechender Teil der amerikanischen Nachfrage vom Ausland bedient wird. Auch dies wird die Weltkonjunktur stützen - und die Wirkung der Zinssenkungen in Europa vergrößern.
Wie im Herbst 1998 warnen manche Auguren wieder vor der Gefahr einer Deflation. Tatsächlich dürfte der aktuelle Verfall der Ã-lpreise die Inflationsrate beispielsweise im Euro-Raum im kommenden Sommer kurzzeitig auf ein Prozent drücken. Aber für Ã-leinfuhrländer wie Deutschland und die Vereinigten Staaten wirken die niedrigen Ã-lpreise wie eine kraftvolle Konjunkturspritze, da sie die Kaufkraft der Bürger erhöhen und die Kosten der Unternehmen senken. Mit einer echten Deflation hat dies nichts zu tun. Die Zentralbanken sollten sich hüten, den Nachfrageschub noch zu verstärken, indem sie auf diesen Rückgang der Inflation mit neuen Zinssenkungen reagieren.
Die Zinsen sind niedrig, die Zinskurve ist steil, das Wachstum der Geldmenge beschleunigt sich. Auf beiden Seiten des Atlantiks deuten alle monetären Indikatoren auf einen Aufschwung im kommenden Jahr hin. Selbst der volatile Aktienmarkt scheint sich diesem Urteil anzuschließen.
Manche Pessimisten verweisen darauf, daß diesmal alle großen Volkswirtschaften der Welt gleichzeitig in der Krise stecken. Statt daß eine Region die andere stützt, schwächen sich die Vereinigten Staaten, Japan, Asien und Europa gegenseitig. Aber dieses Argument spricht nicht gegen eine konjunkturelle Wende. Im Gegenteil. Da fast alle Notenbanken ihre Zinsen deutlich gesenkt haben, dürfte dem gemeinsamen Abschwung bald ein ebenso synchronisierter und deshalb überraschend kräftiger Aufschwung folgen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.11.2001, Nr. 275 / Seite 27
SCHAUN MER MAL,
DANN SEHN MER SCHO!!!
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