Hallo nereus
Du bist ziemlich hartnäckig. Aber gut:
Du schreibst:
«...Wenn sich eine Gruppe von Menschen in entsprechenden Verhaltensnormen bewegt und deren gesteckte Grenzen nicht überschreitet, warum soll man dann nicht von einer moralbewußten Gruppe oder Nation reden?...»
"Moralbewußt" ist ok! Aber"moralisch" muß jeweils der einzelne Mensch für sich sein; das ist eine höchstpersönliche Entscheidung zwischen"gut" und"böse". Ich bestreite nicht, daß durch irgendwelche äußeren Umstände, etwa durch schlechte Vorbilder, in der einer Nation"moralisches" Verhalten von Menschen häufiger anzutreffen sein mag als in einer anderen. Aber dennoch ist für sein Verhalten immer nur der einzelne Mensch verantwortlich! Das Thema wurde vom Soziologen Leopold von Wiese sehr gründlich untersucht. An dessen Ergebnissen ist nicht zu rütteln!
«...Unter dem Wert kann sich jeder vorstellen was er will. Der letzlich erzielte Preis ist aber etwas ganz anderes...»
Stimmt nicht! Unter der Voraussetzung eines freien Marktes sind (für handelbare Güter) Preis und Wert insofern identisch, als der Preis der in Geld ausgedrückte Wert einer Sache für einen Menschen am Markt ist.
Freilich weiß jeder, der einmal etwas verkauft hat, daß man dem Käufer fast immer den Wert des Angebotes erst"zeigen" muß: man muß das Produkt richtig in Szene setzen, dramatisieren! (Ich hab' Dir diesbezüglich doch vor einiger Zeit eine ganz lange praktische Anleitung geschrieben!) Selbst die allergängigste aller"Waren", Sex,"verkauft sich" nicht von alleine. Man muß ihn anziehend verpacken, parfümieren, mit Flitter bestreuen, richtig beleuchten... Der Denkfehler, dem Du erliegst, ist ja gerade, daß Du vom"Wert" als von etwas ganz Abstraktem und Absolutem in einem"idealen Markt" sprichst, auf dem sich"Top-Informierte" herumtreiben. Das ist ein Hirngespinst! Es ist gerade umgekehrt, wie Du sagst: Wenn es einen"idealen" Markt gäbe, wo alle"vollkommen informiert" wären, dann könnte der Wert der Dinge a priori berechnet und die Güter der Welt zentral von einem riesigen Computer-Zentrum aus"gerecht" verteilt werden. Aber das hatten wir doch schon! Das würde uns überfordern und ist deshalb eben unmöglich, weil dieser"mathematisch ermittelte Wert" «...nur Gott allein bekannt ist...» (wie Johannes de Lugo es schon vor fast 400 Jahren ausdrückte)! Für uns reale Menschlein gilt hingegen: Das Substantiv"Wert" kommt von"bewerten"; wir müssn uns immer fragen, für wen ist das ein Wert. Und so spielt sich die Wertbildung ja auch am Markt ab. Galiani sagt an einer Stelle, auf die ich Dich ausdrücklich aufmerksam mache, ganz richtig: "Ich stelle fest, daß sich die Schar derer irrt, die glauben, der Wert der Dinge sei in einer diesen eigenen inneren Qualität begründet und keine äußere Beziehung, die sich je nach dem Ort, nach der Zeit und nach der jeweiligen Person ändert...." Das ist der Punkt! (Und deshalb mußt Du auch Deine Software anständig präsentieren, den Kunden erst von ihrem Wert überzeugen und sie aktiv verkaufen. Denn a priori hat der Kunde keine Ahnung davon, was Deine Programme ihm"wert" sein könnten. Und das"berechnen" kann er schon gar nicht!)[/i]
Natürlich hast Du nicht ganz unrecht, wenn Du feststellst, daß wir in einer zunehmend"banalisierten" Gesellschaft leben, in der die Menschen lieber"Vera am Nachmittag" gucken als wertvolle Bildungs-Sendungen: «...Ich bemängele das Ergebnis nicht, aber ich vermeide dann doch von einem richtigen Urteil zu sprechen...»
Zu Aristoteles' Zeiten gabs natürlich noch kein Fernsehen. Hätte es das schon gegeben, hätten sich wahrscheinlich auch schon die alten Griechen von"Vera am Nachmittag" verdummen lassen. Und wenn Machiavelli schon Leopold von Wiese gekannt hätte, hätte er sich wahrscheinlich vorsichtiger ausgedrückt. Was aber die überlegene Urteilsfähigkeit von Menschengruppen gegenüber dem Einzelnen betrifft, so möchte ich doch annehmen, daß Du gelegentlich mit Deinen Mitarbeitern (oder ggf. mit Deiner Frau) Probleme in der Art einer Brainstorm-Sitzung besprichst und löst. Nach meinen Erfahrungen führt eine solche Vorgehensweise im Team fast ausnahmslos rascher zu besseren Lösungen, als wenn einer allein das Problem zu lösen versucht. Insofern halte ich Deine Skepsis gegenüber der Urteilsfähigkeit der Menschen in Gruppen für unbegründet.
Deine abschließende Überlegung endlich, enthält nebeneinander Richtiges und Falsches: Wenn Du sagst «...Der Ursprung der marktwirtschaftlichen Überlegenheit liegt ganz sicher nicht am individuellen Informiertheitsgrad der Marktteilnehmer sondern an der Möglichkeit am Markt als Käufer oder Verkäufer überhaupt teilnehmen zu können. Erst diese Voraussetzung schafft die Möglichkeit das ein wirklicher Markt überhaupt erst entsteht... », so hast Du sicher insofern Recht, als man von einem"Markt" definitionsgemäß ja gar nicht sprechen kann, wenn sich nicht Käufer und Verkäufer gegenüberstehen. Sicherlich hast Du auch Recht, wenn Du sagst: «...Und je größer der Markt desto besser kann man kaufen und verkaufen.. »
Wenn Du dann aber anfügst: «...Was dann am Markt für Preise ausgehandelt werden ist wieder ein ganz anderes Ding... », so scheint mir das logisch unvereinbar zu sein mit Deiner apodiktischen Bemerkung ganz am Anfang dieses Absatzes: «...Der Ursprung der marktwirtschaftlichen Überlegenheit liegt ganz sicher nicht am individuellen Informiertheitsgrad der Marktteilnehmer... »
[i]Natürlich muß zuerst ein Markt da sein, damit dort ein Marktgeschehen ablaufen kann; das ist trivial! Die Tatsache aber, daß ein Markt existiert, schließt doch noch nicht aus, daß die Vorgänge, die auf diesem Markt ablaufen, erklärungsbedürftig sind! So muß man Deinen Satz aber verstehen. Woher nimmst Du die Sicherheit, mit der Du behauptest, daß sich diese Vorgänge nicht durch das Wissen der Marktteilnehmer erklären ließe (ganz abgesehen davon, daß Du hiermit einer zentralen Aussage eines Nobelpreisträgers widersprichst, über die dieser ein halbes Leben lang nachgedacht hat)? Wobei ich überhaupt fürchte, daß Du da etwas mißverstanden hast: es geht nicht um den"Informiertheitsgrad" (wie Du Dich ausdrückst), sondern darum, wo das"Interesse" jedes der Marktteilnehmer liegt. Ich könnte Dir das mit unendlich langen Hayek-Ausführungen erklären, ziehe es aber vor, nochmals (meinen Lieblings-Autor) Galiani zu zitieren (weil sich sein Stil um so vieles leichter liest, auch wenn er natürlich in der Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts verfangen ist):
<ul>[Tabarelli Werner (Hsg.), Ferdinando Galiani - Über das Geld, Düsseldorf 1999; I,3. S. 131-133]:
<font color="0000FF">Ich reagiere... auf jene Menschen gereizt, die sich als »reine Verstandesmenschen« sehen, als »Intellektuelle« apostrophieren lassen und die so häufig, blind vor Stolz auf ihre eigenen Verdienste, die ganze Weltordnung lauthals als ungerecht und chaotisch denunzieren.... Im Gegensatz dazu preise ich jedesmal die Höchste Hand, wenn ich die Ordnung betrachte, durch die alles zu unserem Frommen eingerichtet ist; in ihren Werken sehe ich, wohin ich auch blicke, nur Gerechtigkeit und Ebenmaß. Und... [i]ch bestaune sie um so mehr, je deutlicher ich die Schwierigkeit sehe, die ein einzelner Mensch damit hätte, einen Wert zu berechnen und einen Preis festzusetzen.
<ul>Welcher Mathematiker könnte den Preis eines Pfundes Gold berechnen, einer Ware, die aus Amerika zu uns herangeschafft wird? Tausende und Abertausende von Menschen wenden dafür in verschiedenen Ländern ihre Arbeitskraft auf; in jedem dieser Länder herrschen andere Bedingungen bezüglich Ergiebigkeit der Ernten, Wert des Geldes, Bevölkerung und Volkseinkommen. Dazu kommt, daß Gewinnung und Transport unseres Pfundes Gold einige dieser Menschen vielleicht nur einen Tag lang, andere einen Monat in Anspruch nehmen. Wieder andere beschäftigen sich möglicherweise gar nicht mit unserem Pfund Gold, sondern ihre Arbeit ist auf hundert oder tausend Pfund Gold gleichzeitig gerichtet. Obendrein sind bei so vielen verschiedenen Menschen natürlich auch die Veranlagungen sehr ungleich. Wenn man den Markt betrachtet, wer kann da das richtige Verhältnis finden bei einer so großen Menge von Käufern, deren Geschmack, Neigung, Bedarf und Vermögen verschieden ist, die in unterschiedlicher Zahl in verschiedenen Ländern leben und vom Haupthandelsplatz mehr oder weniger weit entfernt sind? Dazu müßte man dann noch die Zölle der Fürsten, die Wechselkurse der Händler, den »Schwund« durch Betrügereien und Schmuggel rechnen sowie schließlich die unendliche Zahl der sonstigen Gefahren und Verluste, die mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeit eintreten und ein unterschiedliches Ausmaß an Schäden verursachen.
All das müßte jemand in Rechnung stellen, wenn er den Preis irgendeiner Sache berechnen wollte. Mag indes einer allein angesichts dieser Aufgabe zögern und verzagen, so findet doch eine Vielzahl von Menschen, die untereinander im Wettstreit um ihren jeweiligen Vorteil liegen, den richtigen Preis sehr wohl: denn, was den eigenen Interessen entspricht und was nicht, weiß eine Vielzahl Unwissender besser als ein Weiser allein.</ul>
Es gibt einen einleuchtenden Beweis dafür, daß sich die Leute in der Tat diesbezüglich nie verkalkulieren, und daß der sich bei diesem Verfahren ergebende Marktpreis wirklich der richtige... ist: Einmal vorausgesetzt, daß alle Menschen, die am Markt als Mitbewerber auftreten, mit Geld bezahlen, das sie verdienen müssen, so ist jedenfalls sichergestellt, daß jeder für sich dann den gerechten Gewinn erhält, und daß keiner seinen Partnern geschadet hat, wenn die Fleißigen belohnt und die Nachlässigen aufgrund ihres eigenen Versagens mit Verlusten bestraft werden. Wäre es anders, wenn also eine Klasse von Menschen ständig Verluste erlitte, würde sie die Lust an diesem Gewerbe verlieren und es aufgeben, und so würde der Fluß der gesamten Wirtschaft ins Stocken geraten, wie ein Uhrwerk, das auf Grund des Fehlens eines einzigen Zahnes zum Stillstand kommt. Würde umgekehrt eine andere Klasse dabei übermäßig reich werden, dann stiege die Zahl derer, die ihre ursprünglichen und weniger gewinnbringenden Tätigkeiten aufgeben und sich dieser neuen zuwenden, bald so sehr an, daß der frühere Gewinn sich zusehends verflüchtigen und auf das gerechte Maß einpendeln würde. </ul></font>
Damit sollte es genug sein. Ich würde die Debatte damit gerne beenden. Denn es gibt nicht sehr viel, was ich jetzt noch dazu sagen könnte, um Dich zu überzeugen.
Liebe Grüße
G.
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