Ich habe hier viele Wochen lang die unterschiedlichsten Beiträge der Forumsteilnehmer zu den Attentaten vom 11. September und deren Folgen gelesen und mich - nicht ganz unabhängig davon - in einige längere Debatten über"Liberalismus" eingelassen, obwohl dafür heutzutage, - wie kaum zu übersehen ist, - in den Herzen und Köpfen Vieler beklagenswert wenig Verständnis herrscht. Ich denke aber, daß die beiden Fragenkomplexe, Terrorismus einerseits und die Gefahr für unsere liberal-konservative Wertegemeinschaft und den Rechtsstaat andererseits, durch die Attentate vom 11. September auf eine vertrackte Weise innig miteinander verknüpft worden sind, ohne daß die Menschen dessen so richtig gewahr wurden. Die nachfolgend gesammelten Gedanken zeigen diese Verbindung auf und weisen auf die tödliche Gefahr hin, die aus dieser Verknüpfung ganz aktuell nicht nur dem Gefüge unserer Wirtschaft, sondern buchstäblich unserer ganzen Gesellschaftsordnung droht:
<ul><font size="4">Eine Frage des Überlebens unserer westlichen Zivilisation</font>
Die Welt befindet sich seit dem 11. September in einer tödlichen Auseinandersetzung; durchaus vergleichbar mit dem Kampf gegen Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg oder dem Kalten Krieg mit dem kommunistischen Imperium. Die Attacken auf die beiden Türme des World Trade Centers und auf das Pentagon haben gezeigt, daß es kleinen Gruppierungen von Menschen, die zum Äußersten entschlossen sind, möglich ist, die Welt so vernichtend zu treffen, dass sie nicht mehr funktioniert. Der Einsatz von Selbstmördern als Waffen war eine der Möglichkeiten aus dem Arsenal der Terroristen. Massenvernichtungswaffen im A-, B- oder C-Bereich sind die logische Fortsetzung.
Es wäre eine Selbsttäuschung zu meinen, die Sache sei mit dem unerwartet raschen Fall Afghanistans erledigt. Selbst, wenn es gelingt, Usama Bin Ladin und seine Al Kaida-Organisation auszuschalten, wäre das erst der Anfang einer großen und schwierigen Arbeit.
Denn es gibt zweifellos noch weitere, möglicherweise sogar noch gefährlichere Terrornester; etwa im Irak oder in Somalia. Und auch der ungleich mächtigere Iran hat seine Ungefährlichkeit in Bezug auf den internationalen Terror noch keineswegs bewiesen. Darüber hinaus aber ist internationaler Terror überhaupt nicht einem speziellen Land zuzuordnen; Terrorismus ist sozusagen ubiquitär. Die militärische Zerstörung bestimmter Basen des Terrors ist deshalb eine vielleicht notwendige, sicher aber keine hinreichende Massnahme. Vielmehr muß es darum gehen, ganz allgemein und überall zu verhindern, daß einzelne Menschen oder irgendwelche Gruppierungen sich künftig in die Lage versetzen können, die zivilisierte Welt ernsthaft zu gefährden. Daß sie es grundsätzlich könnten, haben sie bewiesen.
Wenn man die Strategie eines erfolgversprechenden Kampfes gegen den Terror zu Ende denkt, dann kann er von der zivilisierten Welt eigentlich nur gewonnen werden, wenn man das Bedrohungspotential so schnell wie möglich und nachhaltig auf Null reduziert. Präsident Bush hat dies offenbar mit sicherem Instinkt erkannt; über seine Rhetorik mag der europäische Jurist zwar die Stirne runzeln, dennoch trifft sie, wenn man es recht überlegt, den Kern der Sache. Jede Halbheit, jegliches Dulden schafft wegen der Asymmetrie der relativen Verletzlichkeit eine für die zivilisierte Welt unerträglich gefährliche Situation: Ganz folgerichtig nach für den Partisanen- und Guerillakrieg entwickelten Strategien bekriegen sich da nicht zwei Völkerrechts-Subjekte, sondern eine ganz kleine Gruppe, die selbst kaum verletzlich ist, bringt einem übermächtigen Gegener eine Folge von schmerzhaften Nadelstichen bei. Diese Nadelstiche sind für den Angegriffenen nicht tödlich. Aber es steht außer Frage, daß die Unsicherheiten, welche der internationale Terror nach sich zieht, gerade die Wirtschaft, den Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Kapital, im Herzen treffen. Auf die Dauer höhere Transaktionskosten, ja die physische Unmöglichkeit zum internationalen Tausch und Handel, würden sämtliche Börsenträume zunichte machen und eine weltweite Rezession auslösen, in deren Vergleich die gegenwärtige Abkühlung nur ein kühles Lüftchen gewesen wäre.
<font size="4">Das Abwehrdispositiv der freien Welt</font>
Die Frage ist nur, ob die zivilisierte Welt in der Lage ist, den Krieg in dieser Konsequenz zu führen. Worin könnten die Mittel bestehen, die zum Erfolg führen, ohne daß sich die Wertegemeinschaft und der Rechtsstaat in den Industrieländern selbst in Frage stellt. Der Kampf gegen den Terror hat für die zivilisierte Welt ja offenkundig eine paradoxe Komponente: Die zivilisierte Welt ist zivilisiert, weil sie ihren Bürgern Eigenverantwortung und Freiheit zugesteht. Sie ist zivilisiert, weil sie nicht alles und jedes kontrollieren, sondern weil sie bewußt den Dingen freien Lauf lassen will. Ihre gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Stärke liegt gerade in dieser Bereitschaft, spontane Entwicklungen zuzulassen und zu gewähren, daß Altes, Marodes durch Besseres Neues verdrängt wird. Die zivilisierte Welt ist zivilisiert, weil sie weiß, dass spontane Entwicklungen nur dann entstehen können, wenn niemand daran gehindert wird, sein Glück auf seine Weise zu suchen, so wie er es versteht, wenn also eine genügende Privatsphäre den Querdenker vor dem Establishment und seinen Schutzmechanismen schützt.
Und genau bei dieser Privatsphäre muß nun unglücklicherweise die Terrorbekämpfung ansetzen! Nicht in Afghanistan oder im Irak, sondern auch in Hamburg, in Frankfurt, Zürich und in Washington. Die Notwendigkeit, das Bedrohungspotential von Terroristen möglichst auf Null zu bringen, führt in logischer Konsequenz zur Notwendigkeit der lückenlosen Überwachung der ganzen Welt. Das sind ungemütliche Aussichten. Die Bekämpfung des Terrors durch die freie Welt wird auf einen weltweiten Polizeistaat erster Güte hinauslaufen. Womit sich die freie Welt selber abgeschafft hätte.
Das sind keineswegs bloß Hirngespinste. Wie wir tagtäglich hier im Forum erfahren, wird in Amerika allen Ernstes über die Wiedereinführung der Folter diskutiert. In England wurde die Jahrhunderte alte Regel des Habeas Corpus, also des Verbots unrechtmäßiger Gefangennahme, im Falle von Terrorverdacht über Bord geworfen. In Afghanistan wird in völliger Mißachtung des Völkerrechts mit militärischen Mitteln und ohne schlüssige Beweise die Auslieferung oder Vernichtung eines Verdächtigen erzwungen. Die westliche Welt schmiedete eine Allianz mit Regierungen fragwürdigster Legitimität zusammen. Bei allem Verständnis, ja der Einsicht, für die Notwendigkeit der Abwehrreflexe muß man sehen, daß das Paradox bereits durchaus bedrohliche Proportionen angenommen hat: Man will den Rechtsstaat retten, und kann dies nicht tun, ohne daß man dessen Prinzipien selbst verrät.
<font size="4">Die vordringliche Staatsaufgabe: Die weise Beschränkung der Macht!</font>
Das Thema des Schutzes der freien Welt vor weiteren tödlichen Terroranschlägen, ohne am Ende einem unerträglichen Staatsterror anheimzufallen, müßte dringendst auf die Tagesordnung internationaler Konferenzen und Symposien gesetzt werden. (Dies als Anregung an die Juristen und an die in schreibenden Berufen tätigen Forumsmitglieder, von denen es, wie ich im Laufe der Zeit mitbekommen habe, offenbar einige gibt.) Die Frage ist absolut existentiell. Und sie ist bereits aktuell. Wir erleben bereits, wie eine öffentliche Instanz nach der andern unter dem Titel der Terrorbekämpfung ihren eigenen Interessenbereich auszuweiten beginnt: Der Kampf gegen die Pornografie, der Kampf gegen den Drogenhandel, der Kampf gegen den Zigarettenschmuggel, der Kampf gegen das Vitamin- und gegen andere Kartelle, der Kampf gegen die Steuerhinterziehung und gegen die Kapitalflucht. Gewiss, alles wichtige Problemkomplexe, aber alles in allem eben doch nicht von der Qualität einer tödlichen Bedrohung für das System als Ganzes. Heute verfolgt die Bundesrepublik Deutschland mit polizeistaatlichen Methoden Steuersünder. Sie setzt dazu Mittel des Bundesnachrichtendienstes ein. Gleichzeitig, - weil man ja nicht alles auf einmal tun kann, - verpaßt es derselbe Bundesnachrichtendienst, in Hamburg und in Frankfurt die wichtigsten Zellen von Al Kaida außerhalb der USA aufzudecken. Die Gefahr ist groß, dass sich das System, je nebensächlicher die Delikte sind, immer mehr gegen die eigenen Bürger wendet. Am Ende stünde dann die geballte Staatsgewalt gegen das Bauen ohne Baurechtsbescheid, gegen das Parken in der 2. Reihe und gegen die Verunreinigung von Straßen durch Hundekot...
Wir müssen also dringend das Grundgesetz bzw. die Staats-Verfassungen diesen differenzierten Erfordernissen gemäß neu schreiben. Die staatlichen und überstaatlichen Instanzen müssen im Kampf gegen den Terrorismus auf sehr eng definierte Prioritäten beschränkt werden. Als Korrelat zu dieser engsten Beschränkung auf das eine und nur das eine Ziel werden sie mit dem höchsten denkbaren Anspruch auf Ausübung des Gewaltmonopols ausgestattet sein müssen, um überhaupt erfolgreich sein zu können. Ihr Auftrag wird ein Vernichtungsziel in militärischem Sinne sein. Der ganze Rest der „auch noch im öffentlichen Interesse" liegenden Themen, auch wenn es sich um strafrechtlich relevante Fragen handelt, muß dringendst ausserhalb dieses Vollmachtsregimes gehalten und neu und besonders geschützt werden. Dies ist eine anspruchsvolle gesetzgeberische Aufgabe. Unsere Parlamente aber, die wie hypnotisiert einem Sonderermächtigungsgesetz nach dem anderen zustimmen wollen und damit den ganzen Korpus bürgerlicher Freiheiten zu Grabe tragen, der in Jahrhunderten erkämpft wurde, scheinen überhaupt nicht wahrzunehmen, was da vor sich geht.
<font size="4">Es droht in der Tat eine tödliche Gefahr</font>
Es geht also darum, im Handeln unserer Gesellschaft und ihrer Organe Prioritäten zu bilden und Schranken der Differenzierung aufzurichten. Diese Fähigkeit ist der zivilisierten Welt in den letzten Jahren zusehends abhanden gekommen. Prioritäten bilden heisst, darüber zu entscheiden, was wichtig und was weniger wichtig oder unwichtig ist. Das hat sehr viel mit der Wertefrage zu tun.
Unsere pluralistische Gesellschaft bewegt sich indes heute weitgehend im wertfreien Nichts. Medienmäßig orientierter Pragmatismus prägt das Verhalten unserer politischen Behörden. Einziges Kriterium ist letztlich der Eigennutz. Anstand, Prinzipientreue, Loyalität sind Schlagwörter, die man gerne benützt, wenn sie eine günstige Wirkung zeitigen, die man aber ohne weiteres verrät, wenn es sich als notwendig erweisen sollte. Kein bißchen besser ist es in der Wirtschaft. Wo sind die Vorbilder, die zielgerichtet, aber dennoch bescheiden bleibend, ihre Aufgabe erfüllen? Halbseidene Schlaumeier und bonusgeile Manager beherrschen die Szene; - auf all dies wird auch im Forum laufend hingewiesen, - paradoxerweise weniger von Liberalen. Sondern häufig von Mitgliedern, die fatalistisch meinen, die freiheitliche Gesellschaftsordnung funktioniere ohnehin nicht so richtig.
Jedenfalls sind derartige Politiker und Wirtschaftsführer natürlich das Produkt einer spätkapitalistisch degenerierten Gesellschaft, die ihrerseits die Orientierung an Werten weitgehend verloren hat. Völlig unreflektiert wird der Wohlstand, dessen man sich erfreut, einfach hingenommen. So, wie man glaubt, der Strom käme einfach aus der Steckdose, wird die Rolle einer freien, marktwirtschaftlichen, am Rechtsstaat und an der Wahrung der Eigentumsrechte orientierten Ordnung völlig verkannt, ja verachtet und verspottet. Dies, obwohl noch keine andere Ordnung jemals in der Geschichte der Menschheit mehr Wohlstand und eine bessere Achtung der Menschenrechte hervorgebracht hat.
Die westliche Intelligentsia und die von ihr durchdrungenen Medien sind, wenn man diesen Strömungen ernsthaft nachforscht, überraschenderweise letztlich von Zwangsregimen fasziniert. Wer mit aufmerksamen Augen das kulturelle Schaffen beobachtet oder die Wortmeldungen im Internet verfolgt, die mehr oder weniger für die Ã-ffentlichkeit bestimmt sind, dem springen die Allusionen an faschistische Vorbilder längst in die Augen. Die Gesellschaft nimmt dies mit Achselzucken zur Kenntnis; wer sich daran stört, wird als Hintengebliebener und als rückständiger Reaktionär abgestempelt, der die"Nazi-Keule" schwingt.
Letzlich wird diese unsere Gesellschaft aber angesichts der aktuellen Herausforderung nicht um einen Paradigmenwechsel herumkommen, der endlich wieder Freiheit, Verantwortung und Rechtsstaatlichkeit als wichtigste Voraussetzungen - auch für eine prosperierende Wirtschaft - anerkennt und besonders schützt, wenn auf der anderen Seite dem Staat bisher geschützte Bereiche abgetreten werden, damit der Terrorismus an der Wurzel bekämpft werden kann. Nur so wird die zivilisierte Welt die Herausforderung der Prioritätsbildung meistern. Und abgesehen davon wäre unsere freiheitliche rechtsstaatliche Gesellschaft ganz allgemein weniger angreifbar gegenüber totalitären Ideen aller Art, wenn sie ein wenig mehr an das glauben würde, was sie stark gemacht hat.
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