Freunde der Globalisierung
Sascha Tamm und Oliver Knipping rufen zum"Walk for Capitalism" am
kommenden Sonntag auf:"Kapitalismus bedeutet für uns zugleich
wirtschaftliche und persönliche Selbstbestimmung"
Interview GREGOR THOLL und HANNES KOCH
taz: Sie gehen am 2. Dezember für den Kapitalismus auf die
Straße. Ein Gesellschaftsmodell, das seine Weltherrschaft
ernsthaft in Frage stellen könnte, existiert nicht mehr. Bedarf
er da noch öffentlicher Fürsprache?
Oliver Knipping: Auf der Weltkarte finde ich nur wenige Länder,
die kapitalistisch sind.
Welche Staaten verfolgen denn ein anderes Ziel?
Sascha Tamm: Wir leben zwar nicht in einer sozialistischen Welt,
aber es gibt schon extrem viel Staatsintervention in den meisten
Ländern - sogar in den USA.
In den USA leiden die Unternehmen unter der Knute der
Regierung?
Tamm: Auch dort gibt es jede Menge Regulierungen und
Einschränkungen der Freiheit. Kapitalismus bedeutet für uns zugleich
wirtschaftliche und persönliche Selbstbestimmung. Genauso wie ich
staatliche Eingriffe in die Ã-konomie ablehne, verwahre ich mich
auch dagegen, dass die Bürgerrechte beschnitten werden. Die
Todesstrafe und das, was jetzt unter dem Label"Sicherheit gegen
Terrorismus" gemacht wird, findet unsere Unterstützung nicht.
Wenn Sie die Marktwirtschaft unterstützen wollen, sollten sie
einkaufen gehen.
Tamm: Wir reagieren auf die Proteste der Globalisierungsgegner. Es
gibt noch Leute, die anders denken als Attac. Das müssen wir
sichtbar machen - auch wenn unser Spaziergang nicht die Massen
anzieht.
Warum sagen Sie ausdrücklich, dass Sie spazieren und nicht
marschieren wollen?
Tamm: Ich marschiere äußerst ungern. Das erinnert mich an meine
Kindheit in der DDR, als man bei der FDJ regelmäßig demonstrieren
musste.
Was wird bei Ihrem Spaziergang passieren?
Knipping: Wir wollen am Brandenburger Tor vor dem Hotel Adlon
Sekt trinken und später vor dem Haus des Deutschen
Gewerkschaftsbundes kubanische Zigarren rauchen.
Was haben die Gewerkschaften mit Ihrem Anliegen zu tun?
Knipping: Der DGB mit seiner Umverteilungswut ist so eine Art
Feindbild für mich.
Und warum kubanische Zigarren?
Tamm: Ich bin für weltweiten Freihandel. Denn Freihandel bringt
Wohlstand und Freiheit. Das sozialistische Regime in Kuba wäre
ohne die Handelssanktionen der USA wahrscheinlich schon lange
verschwunden. Wir wollen bei unserer Demo aber auch andere
fremdländische Produkte konsumieren. Georgischen Wein zum
Beispiel.
Die freie Warenzirkulation funktioniert bereits.
Wahrscheinlich können Sie in Berlin eingelegte Elefantenfüße
kaufen.
Knipping: Trotzdem schadet die Europäische Union den
Entwicklungsländern sehr, indem sie die Einfuhr von
landwirtschaftlichen Produkten behindert.
Woher kommt die Idee zu Ihrem Walk?
Knipping: Von einem Herrn Prodos aus Australien. Der ist ein
großer Anhänger der US-Autorin Ayn Rand. Diese Frau bezeichnen
viele amerikanische Libertäre als ihre Vordenkerin.
Was will diese Frau Rand erreichen?
Tamm: Dass individuelle Freiheit und das Verwirklichen der eigenen
Pläne der Kern einer jeden Gesellschaft sein sollten.
Das steht sinngemäß auch so im Grundgesetz. Welches
Gesellschaftssystem wünschen Sie sich?
Knipping: Wir plädieren für einen starken Nachtwächterstaat.
Dieser Staat hätte bloß ein paar Kernaufgaben, die er aber recht
rigide durchführen würde. Er müsste die Eigentums- und die
Menschenrechte schützen. Sozialabgaben, Kulturpolitik und
Staatseingriffe in die Wirtschaft wären tabu.
Ohne Sozialabgaben? Wie soll denn dann die Altersversorgung
aussehen?
Knipping: Jeder weiß, dass er mal alt wird. Da muss man halt privat
vorsorgen. Es ist doch ein Irrglaube, dass der Staat Gelder besser
verwendet als Einzelpersonen oder freiwillige Vereinigungen.
Leute mit niedrigen Einkommen können sich keine
vernünftige private Krankenversicherung leisten. Wie
kommen die zurecht?
Tamm: Eine gewisse Minimalrente für sozial Schwache und eine
Mindestversorgung im Gesundheitssystem wären in Ordnung.
Also doch nicht Kapitalismus pur?
Tamm: Ein bisschen umverteilen ist o.k., aber so viel wie in
Deutschland eben nicht.
taz Nr. 6613 vom 29.11.2001, Seite 10, 150 Zeilen (Interview),
GREGOR THOLL / HANNES KOCH
taz muss sein: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert? Sie
helfen uns, wenn Sie diesen Betrag überweisen auf: taz-Verlag
Berlin, Postbank Berlin (BLZ 100 100 10), Konto-Nr. 39316-106
Für Ã-sterreich: TAZ Verlags- und Vertriebs GmbH, Konto-Nr.:
92.134.506, Ã-sterr. Postsparkasse (P.S.K.)
LeserInnen-Kommentare
47 Beiträge
Alleine gehetzt von der Gutmenschen Meute (Goetz Kluge 11.12.01 23:34)
sozialer Nietzsche (Gerhard 11.12.01 18:50)
Mutige Neoliberale (Gerhard 11.12.01 18:46)
Druckversion
<center>
<HR>
</center> |