Hi,
Ecki1 hatte am 29. Dezember schon dankenswerterweise den Beitrag der NZZ über die Melange von Physikern und Ã-konomen und deren"interdisziplinäre Ansätze zur Deutung der Finanzmärkte" hier reingestellt.
JüKü hatte daraufhin Ausführungen reingestellt, die er selbst schon formuliert bzw. gefischt hatte (1999!) und die sich unter dem Rubrum"Fat-Tail"-Debatte inzwischen immer breiter machen.
Zunächst die von JüKü gebrachte Grundstellung noch einmal (hoffe, sie kommt, sonst bitte selbst nachschauen):
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Danach zeigt sich an den Kapitalmärkten, dass sehr grosse Gewinne und sehr große Verluste häufiger vorkommen, als dies nach der Normalverteilung ("bell curve") zu erwarten wäre, d.h. die"Schwänze" links (und rechts, nicht dargestellt) der Glockenkurve sind dicker, was die Alltagserfahrung bestätigt (ausführlich der NZZ-Beitrag).
Nun hat der Zürcher Professor Thorsten Hens (40) mit einem weiteren Ansatz Aufsehen erregt, der am 24./25. November in der NZZ erschienen ist (leider nicht mehr online verfügbar):
"Evolutionäre Fitness an der Börse - Ein neuer Erkärungsansatz der Finanzmarktökonomie"
Ich darf einige wichtige Punkte herausgreifen:
1. Grundthese: Die herkömmliche FM-Theorie, nach der die Aktienkurse alle verfügbaren Informationen enthalten, ist offensichtlich mangelhaft, weil entsprechende Strategien wenig erfolgreich sind und waren. Hens führt diesen Mangel darauf zurück, dass sie Marktteilnehmer dem Verhalten der anderen Marktteilnehmer zu wenig Beachtung schenken.
Seine Summa: Börsenerfolge sind letztlich ein Ausleseprozess unter konkurrierenden Strategien.
2. Hens setzt dazu an der Psychologie der Börse bzw. der Börsianer an (der schon seit längerem diskutierten"behavioral finance"), da jegliche Fundamentaldaten (vor allem KGV) Aktienkurse überhaupt nicht erklären können, was sich speziell in Kursblasen deutlich zeigt.
Auch das LTCM-Debakel, bei dem 4 Mrd $ netto verdampften, sei auf die"Irrationalität" der Märkte zurückzuführen.
3. Nun begnügt sich Hens nicht mit der Gegenüberstellung von Fundamentalisten und Psychologisten, sondern er sieht die Börse als eine Art Population (von mir aus: Haifischbecken), in dem sich ganz unterschiedliche Gattungen und Arten tummeln, die alle unterschiedliche Strategien einsetzen:
"Wie Lebewesen um natürliche Ressourcen kämpfen, so konkurrieren Anlagestrategien um das Kapital."
4. Aus dieser evolutorischen Sicht (quasi also: Börsen-Darwinismus) ergibt sich, dass es immer Strategien geben muss, die den angeblich auf Dauer unschlagbaren Markt dann doch schlagen, jedenfalls zeitweise und das nicht unerheblich, was wieder Richtung"fat tails" zielt.
5. Der Anleger müsse nun genau auf den Populationsmix achten (also: was kommt an neuen Strategien daher, wie verändern sich ihre relativen"Gewichte") und besonders angetan haben es Hens Strategien, die"robust gegen das Eindringen neuer Strategien (Mutanten)" sind.
6. Wie die Strategien generiert werden, ist irrelevant, was zählt ist allein ihr "Erfolg bei der Auslese durch den Finanzmarkt".
7. So kommt es, dass auf irrationalen Märkten gerade irrationale Strategien am besten abschneiden. Dabei wird das Einholen von Informationen (bzw. deren Vorhandensein) relativ bedeutungslos und Behavioural Funds machen gute Geschäfte, z.B. das Thaler/Fuller Asset Management (TFAM), das grundsätzlich auf Loser der Vergangenheit setzt und auf keinen Fall auf Past Time Winner. (Ähnlich der Behavioural Fund von ABN-Amro).
8. Doch auch solche Fonds erledigen sich auf Dauer selbst, wenn sie in der Population eine entsprechende Größe erreicht haben, zumal "jede Anlagestrategie, die eine bestimmte Marktanomalie ausnutzt, diese selbst beseitigt."
Elliotter werden nicht ausdrücklich genannt, aber sie sollten m. M. dieses - hier natürlich schon des öfteren diskutierte - Phänomen nicht aus den Augen verlieren, dass eine Börsenpopulation, die nur aus Elliottern bestünde, eine Verschlechterung ihrer Ergebnisse mit sich brächte. Elliotter brauchen auf jeden Fall Nicht-Elliotter, was aber auch nicht das Problem gänzlich beseitigt, da das Anwenden der EWA seinerseits wiederum Ausfluss eines rational-psychologischen Mix aller direkten und indirekten Börsenteilnehmer wäre.
Rational: Wir machen halt jetzt alle Elliott, weil wir das mit Wellen, Fraktalen usw."verstanden" haben (dazu hatte Mandelbrot seinen bekannten Aufsatz geschrieben, der Prechter sehr wütend gemacht hatte, weil Mandelbrot so getan hatte, als sei er als erster auf die Fraktalstrukturen an der Börse gekommen).
Psychologisch: Keiner der dann ausschließlich nach EWA vorgehenden Strategen würde sicher wissen, ob nicht einige andere von dieser Strategie bereits wieder abrücken, z.B. um in einer schier"endlosen" Dreier nicht doch endlich mal Gewinne mitzunehmen, obwohl die Welle völlig intakt erscheint.
Letztlich würde das Ganze dann auf den Anleger selbst zu übertragen sein: Wann macht er bei einem noch so erfolgreichen Fonds Kasse (und warum?) und vor allem: Kann und wird er immer weiter Geld nachlegen, das schließlich nachgelegt werden muss, sobald die"Hebel", über die offensive Fonds verfügen, ausgehebelt sind.
Oder wie Keynes so schön formulierte:
"Märkte können länger irrational bleiben, als man selbst die Solvenz aufrecht erhalten kann."
Was lehrt uns das alles? Ich persönlich glaube, dass in vielen Fonds derzeit"neue Strategien" ausgearbeitet werden. Die derzeitige Hauptstrategie läuft wohl immer noch darauf hinaus, dass man mit einer alsbald erscheinenden"Wende" im weltwirtschaftlichen Konjunkturumfeld rechnet und sozusagen schon auf"Vorrat" für die demnächst"explodierenden Gewinne" kauft (daher ist ja aktuell die höchste Aktienbewertung aller Zeiten zu bestaunen, auf den großen FAZ-Artikel dazu wurde schon hingewiesen).
Sollte sich der"Abschied von der Rezession" hinziehen, könnte sich aus der sozusagen traditionellen Strategie (Konjunktur wird"vorgekauft") ein Mutant entwickeln, der selbst bei flachem oder sich weiter abschwächenden Konjunktur- und Gewinnverlauf erst recht mit auch dem letzten verfügbaren Geld noch in die Märkte geht.
Wenn nicht überhaupt mit allem Geld...
Ich stelle mir schon vor, was sich für Schlangen an den Bankschaltern bilden werden, falls sich an wichtigen Märkten neue All-Time-Highs zeigen. Die Leute hinterm Tresen werden sich vor Kaufaufträgen kaum noch retten können!
Daraus können gewaltige Rückkoppelungseffekte ("wealth effect") resultieren ("consumer sentiment" hebt sich usw.) und es kommt zum nächsten Mega-Hype, der sich aus einer Mischung von Trotz und"Ich weiß es besser" auf das gesamte System bezieht, in dem Kurse bekanntlich längerfristig"immer" steigen müssen.
Jedenfalls sind neue heavy hitter im Markt und am Beckenrand stehen jetzt noch mehr Physiker und Mathematiker, die ihre Fische ganz genau beobachten und natürlich optimal zu lenken versuchen.
Hier noch die von Prof. Hens angegebene Literatur, die sich der eine oder andere vermutlich leicht beschaffen kann:
- I. Evistingneev, T. Hens, K.R. Schenk-Hoppé: Evolution of Trading Strategies in Incomplete Marktes: A Global Strategy Result. Working Paper, Institut für Empirische Wirtschaftsforschung, Uni Zürich, 2001.
- J.D. Farmer, A.W. Lo: Frontiers of Finance: Evolution and Efficient Markets. Working Paper Nr. 99-06, Santa F Institute, 1999.
- S.J. Grossmann, J.E. Stiglitz: In the Impossibility of Informationally Efficient Markets. Am. Econ. Review, 70, 1980, 393-408.
- T. Hens: Evolutionary Finance. Invited Session, Econometric Society European Meeting, Lausanne 2001.
- M. J. Mauboussin: Frontiers of Finance: The New Capital Market Theory, CSFB, 1999.
- E. Sciubba: Assymetric Information and Survival in Financial Markets. Univ. of Cambrindge. DAE Working Paper Nr. 9908, 1999.
Besten Gruß
d.
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