-->><strong><font size="3">http://www.taz.de/pt/2003/06/28/a0194.nf/text</font></strong>
><h3 class="T">"Letzte Zuckung der US-Macht"</h3>
><h5 class="U">Â </h5>
><div class="Korrespondent"> > Interview<span class="zAu"> STEFAN REINECKE</span>
> > und <span class="zAu">CHRISTIAN SEMLER</span>
></div>
><p class="Bo"><b class="F">taz: Monsieur Todd, Sie glauben, dass die USA, die
>gemeinhin seit 1990 als einzige globale Macht gelten, auf dem absteigenden Ast
>sind. Das ist originell, aber ist es auch wahr?[/b]
><p class="Bo"><b class="F">Emmanuel Todd:[/b] Ja, zumindest spricht viel dafür.
>Ich bin kein Ideologe, ich bin Historiker. Mich interessieren Fakten, keine
>Theorien. Tatsache ist: Die USA konsumieren mehr, als sie produzieren. Es gibt
>ein gigantisches, wachsendes Außenhandelsdefizit der USA von 500 Milliarden
>Dollar jährlich. Die USA sind abhängig von den Exportnationen, vor allem von
>Deutschland und Japan. Das ist das Neue. Paris und Berlin haben Nein zum
>Irakkrieg gesagt. Colin Powell hat mit finsterem Gesicht Frankreich"ernste
>Konsequenzen" angedroht - und was ist passiert? Nichts. Es war eine leere
>Drohung. Die USA haben nicht mehr die Macht, Europa zu bestrafen. Seit dem Ende
>des Kalten Krieg braucht die Welt die USA nicht mehr, aber die USA brauchen die
>Welt.
><p class="B"><b class="F">Sie haben 1976 den kommenden Untergang der Sowjetunion
>analysiert, jetzt beschreiben Sie Gründe für den Niedergang der USA als
>globale Macht. Gibt es Parallelen?[/b]
><p class="Bo">In den 70ern haben viele die militärische Hyperaktivität der
>UdSSR von Afrika bis Afghanistan als Zeichen unerschütterlicher Macht
>verstanden. Das war ein Fehler. Genauso falsch ist es heute, die Kriege der USA
>für einen Ausdruck der Stärke zu halten. Sie sind das Gegenteil - der Versuch,
>etwas zu beweisen, was verschwindet, nämlich die globale Macht der USA.
><p class="B"><b class="F">Sie unterschätzen den Unterschied zwischen der
>Sowjetunion, in der jede Reform zum Untergang führen musste, und dem
>hochflexiblen Kapitalismus US-amerikanischer Prägung.[/b]
><p class="Bo">Nein. Natürlich wird das US-System nicht implodieren. Ich rede
>auch nicht von der inneren Reformfähigkeit, sondern von internationalen
>Beziehungen. Aber es gibt in der Tat eine verborgene, absurde Ähnlichkeit. Der
>Neoliberalismus ist im Kern eine Ideologie, im Unterschied zum traditionellen
>sozialstaatlichen Kapitalismus. Seit den 80ern herrscht in den USA ein inbrünstiger
>Glaube an den Markt, insbesondere an die Finanzmärkte. Das erinnert an die
>ideologisch überregulierte Planwirtschaft - nur eben andersherum. Und finden
>Sie nicht, dass die großen Skandale in den USA, wie etwa der Fall Enron,
>irgendwie an den GOS-Plan erinnern, an die russische Fakewirtschaft, die auf
>geschönten Zahlen basierte? Die USA-Eliten sind ebenso unfähig wie jene in der
>UdSSR, die Fakten so zu sehen, wie sie sind.
><p class="B"><b class="F">Überschätzen Sie die Krise der USA nicht?[/b]
><p class="Bo">Nein, im Gegenteil. Als ich"Weltmacht USA - ein
>Nachruf" schrieb, gab es das Nein von Frankreich, Deutschland und Russland
>zum Irakkrieg noch nicht. Das ist, wie ich finde, ein gewichtiges Ereignis. Es
>zeigt, dass die atlantische Achse nicht mehr die einzige strategische
>Orientierung ist. Die innere Krise der US-Gesellschaft scheint mir noch größer
>geworden zu sein. Ich bin lange davon ausgegangen, dass der Neoliberalismus für
>Deutschland mit seiner Tradition der Sozialpartnerschaft, für Frankreich, in
>dem die Idee der Gleichheit eine enorme Rolle spielt, falsch ist - aber dass
>angloamerikanische Länder damit durchaus leben können. Das scheint mir
>angesichts der Krise, in der die USA stecken, angesichts der enormen sozialen
>Zersplitterung, höchst fraglich. In den USA herrscht ein Maß an Gewalt und
>sozialer Desintegration, das etwas Selbstzerstörerisches hat.
><p class="B"><b class="F">Monsieur Todd, Sie übersehen, wie sehr die Welt von
>der US-Kultur geprägt ist, von den Werten, dem Individualismus, von Bildern und
>Lebensstilen. Das ist die wahre Macht der USA, mehr als die Ã-konomie, viel mehr
>als die Waffen.[/b]
><p class="Bo">Ja - und nein. Die Macht der USA fußte früher auf dem Militär,
>der Kultur und der Ã-konomie, heute nur noch auf dem Militär und der Kultur.
>Denn die neoliberale Ideologie, hat, beschleunigt durch den Zerfall der New
>Economy, die Kraft der US-Wirtschaft geschwächt. Aber auch die Machtressource
>der politischen und kulturellen Legitimität schwindet. Sie nimmt ab, seit die
>USA den Kalten Krieg gewonnen haben, und sie schwindet wegen ihrer aggressiven,
>erratischen Außenpolitik, wegen Kriegen wie im Irak. Man muss die kulturelle
>Macht genau anschauen. Da ist zuerst die Sprache - wir reden ja Englisch …
><p class="B">…<b class="F"> und trinken dabei Coca-Cola …[/b]
><p class="Bo">… ich nicht <i class="K">(lacht).[/i] Aber mir scheint, dass die
>USA dazu neigen, wegen der Allgegenwart der Sprache ihre Macht zu überschätzen.
>Man sollte bedenken, dass alle Verträge und Erklärungen, mit denen der
>Niedergang der französischen Macht besiegelt wurde, in Französisch abgefasst
>waren.
><p class="B"><b class="F">Sie sagen: Früher war die Macht der USA notwendig,
>jetzt ist sie überflüssig. Ist das nicht zu simpel? Die Macht der USA war doch
>oft beides - notwendig und überflüssig. Wir unterhalten uns in Berlin - da
>versteht es sich von selbst, welcher Segen die Präsenz der USA war. Zur
>gleichen Zeit haben die USA in Lateinamerika und Vietnam damals ihre Macht
>missbraucht.[/b]
><p class="Bo">Haben sie das? Ich fand die Rolle der USA in den 50ern, 60er, auch
>in den 70ern richtig und notwendig.
><p class="B"><b class="F">Da haben Sie einiges vergessen …[/b]
><p class="Bo">Nein. Die Politik der USA gegenüber Deutschland und Japan nach
>1945 war sehr klug. Die Eindämmung des Kommunismus war richtig - und
>erfolgreich.
><p class="B"><b class="F">Auch in Vietnam?[/b]
><p class="Bo">Der Vietnamkrieg war ein Fehler. Er basierte auf falschen Analysen
>der Machtverhältnisse in Vietnam und der irrigen Annahme, dass, wenn Vietnam
>kippt, in Kürze auch Thailand kommunistisch würde. Doch das grundsätzliche
>Konzept war richtig. Das Drama der USA besteht heute darin, dass sie keinen
>militärischen Gegner mehr haben. Der islamistische Terrorismus ist furchtbar,
>aber, anders als Bush meint, kein Gegner, den man militärisch eindämmen kann.
>Das Militärische verliert heute, entgegen dem Anschein, an Bedeutung. Was zählt,
>ist die Wirtschaft.
><p class="B"><b class="F">Und der Irakkrieg? Aus der Perspektive der USA war
>dies eine notwendige, rationale Intervention. Sie sagen, der Irakkrieg sei eine
>Show gewesen, eine Demonstration eigner Größe. Das ist eine ziemliche schwache
>Erklärung.[/b]
><p class="Bo"><i class="K">(lacht)[/i] Aha, und was ist die starke Erklärung?
>George W. Bush, der Mann aus dem Ã-lgeschäft, der die Ã-lreserven beherrschen
>will?
><p class="B"><b class="F">Ja. Ã-l ist ein starker Grund für einen Krieg - auch
>wenn wir in diesem Fall nicht daran glauben.[/b]
><p class="Bo">Immerhin. Die Ã-lthese ist oberflächlich. Mag sein, dass sich
>meine Erklärung für Sie zu psychologisch oder zu schwach anhört. Aber sie
>geht tiefer als die Ã-lthese. Sie basiert auf der Lektüre der Schriften
>wichtiger außenpolitischer Köpfe der USA, von Brezinski, Paul Kennedy,
>Fukuyama u. a. Im US-Establishment herrscht das klare Bewusstsein, dass die
>USA nicht das Zentrum der Welt sind. Die USA liegen eher abseits. Viele in den
>USA sind geradezu verzweifelt, weil die wirtschaftliche Macht der EU wächst.
><p class="B"><b class="F">Und deshalb wurde Bagdad bombardiert? Steile These.[/b]
><p class="Bo">Doch, es ist ein militärischer Aktionismus aus Schwäche. Ein
>Krieg ohne Deutschland und Frankreich, mit Alliierten, die nichts bezahlen
>wollen, mit einer kriselnden Wirtschaft, dem Handelsdefizit und einem schwachen
>Dollar. Hören Sie einfach mal US-amerikanischen Politikern zu - den immer
>wiederkehrenden Beschwörungsformeln, wie stark, mächtig und unbesiegbar die
>USA sind und dass sie die Fähigkeit haben, überall auf der Welt zu
>intervenieren. Ich möchte Ihr Vertrauen in die Psychoanalyse nicht überstrapazieren,
>aber wenn ein Mann sagt: Ich hasse Frauen, ich hasse Frauen, ich hasse Frauen,
>dann liegt doch die Vermutung nahe, dass er auf Frauen fixiert ist.
><p class="B"><b class="F">Und was ist die Therapie?[/b]
><p class="Bo">Die Therapie ist es, zu sagen: Ihr seid nicht so stark, wie ihr
>tut. Seit einfach mal ein bisschen leiser als sonst.
><p class="B"><b class="F">Kein guter Rat für einen Psychoanalytiker.[/b]
><p class="Bo">Das stimmt <i class="K">(lacht).[/i]
><p class="B"><b class="F">Monsieur Todd, stellen wir uns einmal vor, dass Ihre
>These vom Niedergang der USA richtig ist …[/b]
><p class="Bo">… gute Idee …
><p class="B"><b class="F">In zehn Jahren sind die USA also eine Macht unter
>anderen, neben der EU, Russland, China und Japan. Wäre das eine friedlichere
>Welt? Bliebe nicht eine gefährliche Leerstelle? Wer hätte dann zumindest die Möglichkeit,
>etwa den Nahostkonflikt zu befrieden?[/b]
><p class="Bo">Die Frage verwundert mich. Ich sage ja, dass es dieses globale
>Gleichgewicht längst schon gibt. Die EU ist eine enorme ökonomische Kraft,
>Russland ist einigermaßen stabil, und es gibt Zeichen, dass sich Asien in eine
>ähnliche Richtung entwickelt. Ich bestreite also die Prämisse Ihrer Frage.
>Zweitens: Wo spielen die USA denn derzeit faktisch die Rolle einer
>Ordnungsmacht, die Frieden herstellt? In Nahost gewiss nicht. Ich kann nicht
>erkennen, dass die Intervention im Irak mehr Ordnung in der Region schafft - im
>Gegenteil. Die Angst, die die USA verbreiten, scheint mir die letzte Zuckung der
>globalen US-Macht zu sein, die sich weigert, anzuerkennen, dass die Welt längst
>auf einem anderen Weg ist.
><p class="B"><b class="F">Toni Negri und Michael Hardt haben in
>"Empire" darzulegen versucht, dass die Strukturen so komplex geworden
>sind, dass sie für eine Zentrale unbeherrschbar geworden sind. Hat die Ã-konomie
>einen Grad an Internationalisierung und Vernetzung erreicht, der die Macht
>ortlos werden lässt? Ist das Verschwinden der globalen Macht der USA auch ein
>paradoxes Resultat der Globalisierung?[/b]
><p class="Bo">Nein, ich glaube nicht an solche Theorien. Ich glaube nicht, dass
>der globale Kapitalismus alle bisherigen Strukturen auflöst. Ich meine, dass
>die Nationen - oder Nationenverbände wie die EU - noch immer als Akteure
>existieren. In der These, dass die Nationen leere, unbedeutende Hüllen geworden
>sind, treffen sich interessanterweise manche Linksradikale mit den Neoliberalen.
>Das ist falsch. Nationen haben sehr wohl Macht. Kollektive können ihr Schicksal
>selbst bestimmen.
><p class="klein">taz Nr. 7090 vom 28.6.2003, Seite 4, 269 Zeilen (Interview),
>STEFAN REINECKE / CHRISTIAN SEMLER
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