Traut man sich in D sowas nicht mehr laut zu sagen?
Viel Vergnügen beim Lesen!
«Ã-konomie des Neides» im Wohlfahrtsstaat
Zermürbende Wirkung auf die unternehmerische Elite
Wohl niemand ist ganz frei von Neid - selbst diejenigen nicht, die eigentlich niemandem etwas neiden müssten. Der Autor untersucht die ökonomischen Wirkungen des Neides und vertritt dabei die Ansicht, dass die deutsche Fiskal- und Sozialpolitik von einem destruktiven Neid geprägt wird, der sich hinter moralisierenden Theorien von Gerechtigkeit verbirgt. Die provokativ formulierten Thesen sind vor dem Hintergrund übertriebener steuerlicher Umverteilung im deutschen Wohlfahrtsstaat zu sehen. (Red.)
Von Gerd Habermann*
Neid ist in jedem Fall kein edles Motiv. Er ist vielmehr ein Laster. Aber er kann produktive wie zerstörerische Auswirkungen haben. Im ersten Fall wird der Neid zu einem produktiven Faktor, der sich in schöpferische Leistungen umsetzt. Im anderen Fall geht er auf das Schädigen und die Entmutigung des erfolgreichen, gesunden, glücklichen Anderen aus. Das Ziel ist erreicht, wenn der Glückliche sein Glück als «unverdient» empfindet und darüber unglücklich wird, wenn er sich für seinen Erfolg zu entschuldigen sucht, sich schliesslich vielleicht selber als einen Missbrauch ansieht wie der unglückliche Reformkönig Ludwig XVI. Im Extremfall flüstert der zerstörerische Neid dem Erfolgreichen zu: «Fühle dich schuldig, schäme dich, denn andere, die unter dir geblieben sind, beneiden dich. Du bist an diesem Neid schuldig, du stürzt sie durch dein blosses Dasein in die Sünde. Wir brauchen die Gesellschaft der Gleichen, in der niemand jemandem etwas neidet» (Helmut Schoeck). Also nicht der Neidische soll sich zähmen, sondern sein Opfer soll sich ändern - nach unten hin, dem Massstab des Neides zuliebe. Diese Suggestion hat im Jahrhundert des Sozialismus ihre mürbe machende Wirkung auch auf die unternehmerische Elite nicht verfehlt. Es gibt Unternehmer, die ihre z. T. schikanöse Fesselung durch ein fein gesponnenes Sozial-, Arbeits- und Fiskalrecht für notwendig erklären. Nur so mache man die unternehmerische Existenz «sozialverträglich», meinen sie.
Destruktiver Neid meist verhüllt
In der Marktwirtschaft wird der Neid neutralisiert, kann er zum wichtigen Antriebsmotor im Wettbewerb werden. Er wird sozusagen sozial dienstbar gemacht für das Allgemeinwohl. Neid, Missgunst oder Rachsucht: Man kann sich auf Märkten nur durch Leistungen für andere - die Kunden - voranbringen, indem man Wettbewerber durch bessere Angebote überflügelt. Der Markt setzt zu seinem Funktionieren also weder Helden noch Heilige voraus. Der «Gewinn» ist eine Anerkennung der mit ihren Ausgaben über den Wert der angebotenen Leistungen abstimmenden Konsumenten - über den Wert für Konsumenten, wohlgemerkt; denn für die Konsumenten ist die Marktwirtschaft da.
Der destruktive Neid tritt selten unverhüllt zutage. Vielmehr ist er bestrebt, sich in Form von moralisierenden Theorien zu rechtfertigen. Dazu gehören die Lehren von der «sozialen Gerechtigkeit». Noch niemandem ist es gelungen, objektiv zu definieren, was «soziale» Gerechtigkeit sein soll. Friedrich August von Hayek schreibt: «Die völlige Inhaltslosigkeit des Begriffs ‹soziale Gerechtigkeit› zeigt sich an der Tatsache, dass es keine Übereinstimmung darüber gibt, was soziale Gerechtigkeit im Einzelfall erfordert; dass ferner keine Kriterien bekannt sind, nach denen entschieden werden könnte, wer Recht hat, wenn die Leute verschiedener Ansicht sind...» Und an anderer Stelle: «Mehr als zehn Jahre lang habe ich mich intensiv damit befasst, den Sinn des Begriffs ‹soziale Gerechtigkeit› herauszufinden. Der Versuch ist gescheitert, oder, besser gesagt, ich bin zu dem Schluss gelangt, dass für eine Gesellschaft freier Menschen dieses Wort überhaupt keinen Sinn hat.»
Die Praxis der sozialen Gerechtigkeit läuft auf möglichst viel Gleichheit hinaus, bewirkt durch umverteilenden Zwang. Herbert Stolle hat einmal soziale Gerechtigkeit scherzhaft in dieser Weise definiert: «Du hast zwei Mark, ich habe eine. Gib mir eine, dann haben wir beide zwei.» In einer Karikatur aus einer Zeitschrift des 19. Jahrhunderts, den «Fliegenden Blättern», sieht man einen Kommunisten mit einem Bürgersmann im Gespräch. Der Bürgersmann sagt: «Ja, du redest immer von Gleichheit und Güterteilen, allein ich setze den Fall, wir haben geteilt und ich, ich spare meinen Teil, doch du verschwendest den deinigen, was dann?» Der Kommunist antwortet: «Ganz einfach! Dann teilen wir wieder.»
Klassischer Neiderstaat Schweden
Der deutsche Wohlfahrtsstaat geht darauf aus, den Neid durch umfassende Umverteilung zu beschwichtigen. Wohlfahrtsökonomie ist Neidbeschwichtigungs-Ã-konomie. Die Neidökonomie des Wohlfahrtsstaates drückt sich vor allem in der Forderung nach Chancen-, womöglich Ergebnisgleichheit aus. Ihr Hauptansatz sind eine progressive Steuerpolitik, eine möglichst progressive Staffelung der Sozialbeiträge, eine saftige Erbschaftssteuer und das Angebot möglichst vieler öffentlicher Güter zum Null- oder Sozialtarif. Es gab im klassischen Neiderstaat Schweden Progressionssätze von 90 Prozent und darüber - und dies schon von relativ niedrigen Einkommensstufen ab, so dass das Durchschnittseinkommen schliesslich zu mehr als zwei Dritteln aus Sozialtransfers bestand. Progression heisst: Der Erfolg wird durch Besteuerung bestraft, der Misserfolg durch soziale Transfers belohnt. Die Begründung dieser Progression ist dubios: Man soll für öffentliche Güter nach Leistungsfähigkeit bezahlen. Das wäre auf dem Markt so, wie wenn in einem Geschäft die Preise nach dem Einkommen des Kunden gestaffelt wären.
Schlecht akzeptierte Unterschiede
Die Neidökonomie findet sich wieder in der Giesskannen-Sozialpolitik, wie sie z. B. in der Bildungswirtschaft praktiziert wird, die durch das kostenlose Angebot von Ausbildungsleistungen für alle ohne die Voraussetzung von Bedürftigkeit nichts als eine Filiale der Sozialpolitik darstellt. Ebenso auch in staatlicher Kulturpolitik, durch «soziale» Tarife z. B. beim Theaterbesuch. Was steckt dahinter? Um eine Stigmatisierung des Einzelnen, der öffentliche Mittel beansprucht, zu vermeiden, werden Nulltarife für alle, auch für die Wohlhabenden, verordnet. Auch Wohlhabende bekommen z. B. ein Studium geschenkt. Besonders auffällig ist diese Umverteilung auch in der gesetzlichen Krankenversicherung, wo das Naturalleistungsprinzip ebenso für den armen Hilfsarbeiter wie für den Generaldirektor mitsamt seiner Familie gilt.
Neidökonomie drückt sich in Deutschland ferner im Anspruch der Bundes- und Landespolitik aus, durch Finanzausgleich zwischen den öffentlichen Körperschaften Bund, Länder, Kommunen möglichst einheitliche Lebensverhältnisse herzustellen. Es geht auch dabei nur um eine vordergründige Ã-konomie, die nichtmonetäre Vorteile (z. B. hohe Umweltstandards, landschaftliche Schönheit) nicht in Betracht zieht und jedenfalls erfolgreiches Handeln im öffentlichen Teil der Wirtschaft durch Umverteilung bestraft. Bekannteste Beispiele für das Leben auf Kosten anderer sind die Bundesländer Bremen und das Saarland, wobei Letzteres freilich gerade einen heroischen Anlauf unternimmt, diesen unwürdigen Status zu beenden. Es wird heutzutage eher akzeptiert, dass alle gleich arm sind, als dass alle wohlhabend, aber darunter einige wohlhabender als andere sind. Der Begriff «Armut» wird vom Neid so definiert, dass als «arm» gilt, wer über weniger als das Durchschnittseinkommen verfügt.
Gleichheit als zerstörerische Utopie
Die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der gegenwärtig regierenden Linkskoalition ist naturgemäss besonders stark von den nicht eingestandenen Neidmotiven beherrscht. Es ist dies freilich nur ein relativer Unterschied zur früheren schwarz-gelben Regierung. In der Sozialpolitik hat eine Rückwärtswendung stattgefunden, die selbst die zahmen Liberalisierungen der Regierung Kohl korrigiert hat (Lohnfortzahlung, Scheinselbständigkeit, Kündigungsschutz, 630- DM-Gesetz usw.). Auch bei der stark umkämpften Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes ging es um mehr Gleichheit. Es sollen überall Betriebsräte gebildet, eine betriebliche Einheitsverfassung für Deutschland durchgesetzt werden. Deutschland steht freilich international nicht an der Spitze der durch Neidpolitik behinderten Nationen: Schweden liegt immer noch mit Abstand vor ihm und überhaupt alle Nationen, die sich hohe Staats- und Abgabenquoten erlauben - diesen sicheren Indikatoren des Neides in Friedenszeiten.
Auch die Politik einer wirtschaftlichen und sozialen Wiedervereinigung ist durch Neidmotive charakterisiert. So soll es keine Niedriglohngebiete geben, soll keine wirtschaftliche Konkurrenz aus dem Osten entstehen. Dieses Ziel wurde erreicht, indem durch die Währungsunion zu absurden Umstellungsrelationen und durch die Politik des Arbeitsmarktkartells der Osten industriell lahmgelegt wurde oder zumindest der verbliebenen komparativen Vorteile beraubt wurde. Gleichzeitig wurden die wohlfahrtsstaatlichen Standards des Westens im vollen Umfang auf den Osten übertragen. Dies war die Politik, die die wirtschaftliche Wiedervereinigung zu einem Dauerproblem gemacht hat - mit noch unabsehbaren Konsequenzen für die Stabilität der öffentlichen Finanzen und die politische Mentalität der Ostdeutschen.
«Chancengleichheit», wenn sie mehr bedeuten soll als die Gleichheit vor dem Gesetz, ist eine zerstörerische Utopie. Geographische, kulturelle, gesundheitliche und charakterlich bedingte Unterschiede sind prinzipiell nicht zu beseitigen oder nur um den Preis einer totalitären Zwangsordnung. «Chancengleichheit» kann es bei näherer Betrachtung nur als Gleichheit vor dem Gesetz geben. Der Spanier Gonzalo Fernandez de la Morá schreibt in seinem lesenswerten Buch über den Neid: «Die Chancengleichheit gibt es nicht, und das ganze politische Problem beschränkt sich auf die Regulierung der Ungleichheiten, ohne den Trieb zur Selbstverwirklichung zu beengen, der das Edelste im Menschen ist, die mächtigste Triebkraft der Geschichte und das Heilmittel gegen den Neid.»
Die Politik der Neidbeschwichtigung ist schon allein deswegen aussichtslos, weil nicht die grossen, sondern eher die kleinen Unterschiede den Neid fördern, wie schon Tocqueville beim Vergleich der Monarchie mit der modernen Demokratie betont hat. Am lautesten ruft der Mensch nach Neuverteilung, wenn es fast nichts zu verteilen gibt. Man hat festgestellt, dass der erste Platz vom Zweitplacierten mehr geneidet wird als vom Drittplacierten. Ein anderes Beispiel ist die Geschichte der Steuerprogression. Sie begann mit Progressionssätzen zwischen eins und drei Prozent (Miquel'sche Steuerreform), am Ende lagen diese Sätze bei - in einigen Ländern - über 90 Prozent. Es gibt eben keinerlei objektives Mass für das, was sozial gerecht sein soll.
Hochmütiger Ekel vor dem Markt
Woher die Feindschaft vieler Intellektueller gegen die Marktwirtschaft, die von ihr hervorgerufene Ungleichheit? Sie erklärt sich daraus, dass Intellektuelle bei ihrem traditionellen Anspruch geistiger Überlegenheit als Sinndeuter der Nation nicht automatisch die bestbezahlten Stellen der Gesellschaft und dominierende Leitungsfunktionen zugewiesen bekommen, sondern dies nur über die harte Auslese des Wettbewerbs durch nützliche Dienstleistungen für den in ihren Augen «ungebildeten» Durchschnittskonsumenten zu erreichen ist. Das ist nichts anderes als ein hochmütiger Ekel der «Sinndeuter» vor dem Markt, der jeden Konsumenten als Souverän ansieht, der mit Geld über das abstimmt, was er für nützlich hält. Ohne Bevormundung! Diese Art Egalité mögen die Intellektuellen eben nicht.
Aus alldem folgt, dass es unmöglich ist, eine neidfreie Gesellschaft herbeizuführen, durch Gesellschaftspolitik die Menschen zu «entneiden». Vielmehr ist die Gleichmachungspolitik ein Anschlag auf das edelste Motiv des Menschen: das Streben nach Selbstverwirklichung. Denn jeder bringt sein eigenes Programm mit und hat ein natürliches Recht darauf, seine besonderen Begabungen und Talente zu entwickeln - mit natürlicherweise ungleichen Ergebnissen. Gerade diese Tatsache bringt den Reichtum, die Vielfalt und das Glück einer Marktwirtschaft hervor. Wie soll man im Übrigen Vor- und Nachteile miteinander verrechnen, z. B. den Nachteil einer schwächlichen Konstitution mit dem Vorteil eines geerbten Vermögens? Wie soll man die erschlaffende Wirkung eines über Generationen genossenen Wohlstandes verrechnen mit den Antrieben, die armselige Startverhältnisse einem ehrgeizigen Selfmademan bieten mögen? Gleichwohl gibt es Möglichkeiten, den Neid einerseits zu bekämpfen, andererseits sogar ja für die Allgemeinheit nutzbar zu machen. Ein Weg ist, den Korridor der Marktwirtschaft möglichst weit auszudehnen, die Staatswirtschaft dagegen möglichst zu reduzieren. Auch dann gäbe es noch den Neid. Aber er fände nicht die Mittel, den Konkurrenten - wie im Sozialismus - auf den Archipel Gulag zu senden.
Hinzu kommen muss eine Richtigstellung der moralischen Begriffe. War es nicht sogar der Sozialismus, der ein Recht auf den Ertrag der eigenen Arbeit verkündet hat? Darf mir jemand mein Eigentum streitig machen, wenn es ohne Gebrauch von Gewalt, Betrug, Diebstahl usw. zustande gekommen ist? Die «Gerechtigkeit» ergibt sich in einer Marktwirtschaft aus der Beachtung der moralischen Regeln beim freiwilligen Tausch, auf der ethischen Elementarbasis des gegenseitigen Vorteils. Dies im Unterschied zum erzwungenen «Raub» - auch dem legalen durch den Staat, der diese Spielregeln missachtet. Das Wunderbare an der Marktgerechtigkeit ist, dass hier nicht die Willkür einzelner Menschen, sondern ein anonymer Auslese- und Abstimmungsprozess über die Stellung in der Gesellschaft entscheidet.
Amerika kam die religiöse Auffassung der Calvinisten zugute: Wenn du am Markt Erfolg hast, ist dies ein Zeichen, dass du zu den «Gerechten» vor Gott gehörst. Über dieses Kapital können wir in Mitteleuropa nicht verfügen. Auch wird man dem kapriziösen Glück seine Rolle zugestehen müssen. Nicht jeder grosse wirtschaftliche Erfolg ist auch in dem Sinne «verdient», dass er proportional zu den Anstrengungen steht, die er gekostet hat. Andererseits kann auch grösste subjektive Anstrengung zum Misserfolg führen, wenn man den Interessen der Verbraucher nach deren Meinung nicht genug genützt hat («Der Köder muss dem Fisch und nicht dem Angler schmecken»). Aber wenn man die anonymen Abstimmungsmechanismen der Märkte abschafft, bleibt nur die Willkür einzelner, bevorrechtigter Menschen übrig. - Ein Sprichwort sagt: «Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen.» Ein guter Satz! Schön wäre es, wenn dieser «verdiente Neid» zum Ansporn für andere würde, ohne Appell an Staatszwang und Umverteilung die erfolgreicheren Mitmenschen zu übertreffen.
* Der Autor leitet das ASU-Unternehmerinstitut in Berlin und ist daneben als Dozent für Politikwissenschaften tätig.
<ul> ~ Gleichheit als zerstörerische Utopie </ul>
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