(1) Die unsichere Nation:
Ist Deutschland wirklich souverän?
(2) Die unheimliche Großmacht:
Hinter den Kulissen der amerikanischen Weltpolitik
Die unsichere Nation:
Ist Deutschland wirklich souverän?
(Spezialausgabe DeutschlandBrief Juli/August 1999)
Mußte Kohl die D-Mark opfern, um dafür die Wiedervereinigung zu bekommen?
Ist die europäische Integration nur ein Trick, um die Bundesrepublik unter Kontrolle zu halten?
Wurde Deutschland mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 wirklich oder nur scheinbar souverän?
Wie kam es, daß Fischer in der Kosovo-Krise keine maßgebliche Rolle spielen konnte? Existiert überhaupt eine deutsche Außenpolitik?
Unbequeme Fragen, die unmittelbar mit der andauernden Unsicherheit der Deutschen als Nation zu tun haben.
Seit Gerhard Schröder Kanzler ist, mehren sich die Versuche, gegen außenpolitische Sachzwänge aufzubegehren.
Schröders Kulturexperte polemisierte gegen das Holocaust-Denkmal, in welchem die Staatsräson für immer in Beton gegossen werden soll - vergeblich.
Auf dem EU-Gipfel in Berlin wollte der Kanzler die finanzielle Gleichbehandlung in der Europäischen Gemeinschaft durchsetzen - ebenfalls vergeblich.
Als sich der Kosovo-Krieg anbahnte, versuchte Bonn sich diplomatisch einzuschalten - der Versuch wurde abgeblockt.
Und erst Anfang Juli boykottierte die Bundesregierung zum ersten Mal eine, wenn auch unwichtige, Sitzung der EU. Auf Weisung des Kanzlers reiste kein deutscher Vertreter zum Treffen der Industrieminister in Finnland, weil dort zwar auf englisch, französisch und finnisch übersetzt wurde, nicht aber auf deutsch.
So gut wie alle Probleme und Defizite, mit denen die neue Regierung konfrontiert ist, gehen auf das Konto früherer Kanzler: der Euro als Währungsexperiment mit ungewissem Ausgang; die stetig wachsende Staatsverschuldung, die auch Eichel nicht stoppen kann; die kommende Rentenkatastrophe, hinter der sich die nüchterne Tatsache verbirgt, daß in Zukunft Millionen von älteren Menschen nicht mehr zurückbekommen werden, was sie eingezahlt haben; die wachstumsfeindliche Bürokratie und die kafkaeske Überregulierung; der erschreckend geringe außenpolitische Spielraum; und eben auch - als Marginalie - die rücksichtslose Benachteiligung der deutschen Sprache innerhalb der europäischen Institutionen.
Dabei war deutsch in der EG bis 1972 neben dem Französischen gleichberechtigte Arbeitssprache. Als die Briten dazukamen, blieb es bei zwei Arbeitssprachen - nur war die eine davon fortan das Englische. Wer früher einmal Positionen freiwillig räumte, wirkt jetzt arrogant, wenn er sie wieder besetzen will.
Wenn es nach dem Völkerrecht geht, ist Nachkriegsdeutschland schon seit langem souverän - seit 1954. Es fragt sich nur, woran man das merkt.
In der Wochenzeitung Junge Freiheit erschien kürzlich eine lesenswerte Beilage über den Versailler Vertrag, der sich am 28. Juni zum 80. Mal jährte. Der Vertrag war in Wirklichkeit ein Diktat und ein politisches Großverbrechen, denn er legte die Saat für den Zweiten Weltkrieg, der zwar nicht unvermeidbar war, aber sich in der großen Perspektive doch als Fortsetzung des Ersten Weltkrieges ausnimmt - eines unnötigen und tragischen Krieges, der Europa zerstörte und die Bolschewisten in Rußland an die Macht brachte.
So verhängnisvoll der Versailler Vertrag auch war, so beließ er doch das Reich im Prinzip als Subjekt der europäischen Politik, wenn auch verkleinert. Der große Verlierer der Pariser Vorort-Verträge war eher Ã-sterreich als Deutschland.
Was die Sieger 1945 vorhatten,
stellte Versailles in den Schatten
Die Friedensordnung, die sich die Sieger von 1945 vorstellten, war nicht etwa milder und klüger als Versailles, wie Außenminister Fischer behauptete, sondern ungleich härter und ungerechter. Sie sollte Deutschland für immer zur Kolonie und zum Objekt fremder Interessen machen.
Daß das Land diesem Schicksal entging, verdankt es Stalin. Genauer: dem Ausbruch des Kalten Krieges, der die USA zwang, eine Umkehr der Allianzen vorzunehmen und die Besiegten innerhalb weniger Jahre wieder zu bewaffnen. (Erst vier Jahrzehnte später wurden dieselben Wehrmachtsoffiziere, die die Bundeswehr aufbauten, in einer Ausstellung unter Duldung der staatlichen Obrigkeit als Kriminelle verunglimpft.)
Auf dem Instrument der gewandelten amerikanischen Interessen spielte Adenauer virtuos. Er setzte den Fuß auf den roten Teppich der Besatzer, er erweiterte beharrlich und erfolgreich den Spielraum der deutschen Außenpolitik - eines Spielraumes, der seit dem Ende des Kalten Krieges 1989 wieder zu schrumpfen scheint.
Daß der Euro unter Adenauer und Erhard un-denkbar gewesen wäre und erst mit dem Fall der Mauer durchsetzbar wurde, sollte zu denken geben. Mit der Wiedervereinigung haben die Deutschen zugleich gewonnen und - mittelfristig - verloren.
1954 ging Adenauers Strategie auf, im Oktober wurden in Paris die Verträge unterzeichnet, die Deutschland einen Platz in der westlichen Gemeinschaft einräumten.
Im Protokoll C, Nr. 2 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland, wie dieser Teil der Pariser Verträge korrekt hieß, finden wir zwei entscheidende Sätze, die 1990 im Zuge der Wiedervereinigung wieder zum Thema wurden.
In Artikel 7 hieß es: „Die Unterzeichner sind sich darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer Politik die Erreichung eines frei vereinbarten Friedensvertrages und die Wiedervereinigung für ganz Deutschland ist.“
1989/1990, als die Wiedervereinigung endlich und wider Erwarten auf der Tagesordnung stand, konnten sich Großbritannien und Frankreich an Artikel 7 nicht mehr erinnern und versuchten, vertragsbrüchig zu werden.
Der zweite Kernsatz der Pariser Verträge stand in Artikel 1 des bereits erwähnten Protokolls: „Die Bundesrepublik wird demgemäß die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben.“
1990 wurde Deutschland souverän - schon wieder
Dies war als solches für Adenauer ein glänzendes Verhandlungsergebnis, aber von den Westmächten nicht ganz ernst gemeint. Auch namhafte Völkerrechtler haben später bestritten, daß die Bundesrepublik im Mai 1955 wirklich souverän wurde.
Am 12. September 1990 wurde bekanntlich mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag (damit waren die Bundesrepublik, die DDR und die vier Siegermächte gemeint) ein Schlußstrich unter die deutsche Frage gezogen. Merkwürdigerweise heißt es dort in Artikel 7 ganz ähnlich wie 1954: „Das vereinigte Deutschland hat demgemäß die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.“
Dazu Frage 1: War die Souveränitätszusage von 1954 so dubios, daß sie 1990 wiederholt werden mußte? Frage 2: Wenn ja, wieviel ist sie diesmal wert?
In dem Vertrag vom September 1990, der anders als der von 1954 die deutschen Grenzen festschreibt, findet sich auch die seltsame Zusicherung deutscherseits, „daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird“ - so als sei Deutschland eine militärische Großmacht, als könne es theoretisch Krieg führen, als besitze es Streitkräfte unter eigenem Befehl.
Eher heikel ist dann die Erklärung der zwei deutschen Regierungen, „daß das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen“.
Im Krieg gegen Serbien wurde dieser Artikel bereits bis zum Äußersten strapaziert, und mit der neuen Nato-Doktrin ist er wohl nur schwer vereinbar.
London und Paris hätten die Einheit gerne verhindert
Rekapitulieren wir die Chronologie der Ereignisse, die uns hier beschäftigen: Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Anfang Dezember berieten die europäischen Regierungschefs in unguter Atmosphäre in Straßburg. Am 20. Dezember traf Mitterrand zu einem Staatsbesuch in der untergehenden DDR ein. Am 4. Januar 1990 besuchte ihn Kohl auf seinem Landsitz in Latché bei Biaritz. Am 12. September 1990 wurde der Vertrag mit den vier Siegermächten unterzeichnet. Am 3. Oktober 1990 wurde die staatliche Einheit Deutschlands wiederhergestellt. Am 15. Dezember 1990 beschloß der Europäische Rat in Rom, die Regierungskonferenz zur wirtschaftlichen und politischen Union Europas zügig durchzuführen. Und am 7. Februar 1992 wurde der Vertrag von Maastricht unterzeichnet, der bereits Ende 1991 ausgehandelt worden war.
Nach Durchsicht aller Quellen, die zur Verfügung stehen, müssen wir zu dem Schluß kommen, daß London und Paris noch im Dezember 1989 die deutsche Einheit gerne verhindert hätten und daß Kohl bereits im Januar oder Februar 1990 gegenüber Frankreich das entscheidende Zugeständnis machte: die Aufgabe der Deutschen Mark.
Über diesen Zusammenhang besteht freilich in der zeitgeschichtlichen Forschung keine Einigkeit. Auf der einen Seite steht die Version, die Der Spiegel am 2. März 1998 mit Fakten und Zitaten untermauerte. Das Magazin vertrat damals schon die These, daß die Aufgabe der D-Mark der Preis für die Wiedervereinigung gewesen sei.
Auf der anderen Seite stehen Historiker wie Professor Möller, der am 8. Juni 1998 bei der Vorstellung einer Sonderedition von Akten aus dem Bundeskanzleramt dem Spiegel ausdrücklich widersprach. Die Währungsunion als Preis für die Einheit - das sei „irreführend“.
Nachdem die zeitweise vergriffene Edition inzwischen wieder vorliegt, kann sich jeder selbst ein Bild von den Verhandlungen machen, bei denen Deutschlands Zukunft auf dem Spiel stand.
Es handelt sich um Akten aus dem Bundeskanzleramt aus den Jahren 1989 und 1990, die normalerweise 30 Jahre lang unter Verschluß geblieben wären. Warum gab Kohl sie frei? Wohl doch deswegen, um bei der Definition seines Platzes in der Geschichte selbst Hand anzulegen. Natürlich hatte er die Möglichkeit, bestimmte Akten und bestimmte Stellen zu schwärzen. Von letzterer Möglichkeit wurde z.B. in der Aktennotiz über ein Gespräch zwischen Kohl und Mitterrand am 22. Juni 1989 Gebrauch gemacht, bei dem es um die Republikaner ging. „Diese seien im Grunde keine Nazis“, sagte Kohl, und dann folgt die Fußnote: „Zwei Sätze nicht freigegeben.“ (Dokument Nr. 8 in der Edition.)
Kohl verhandelte geschickt, aber nicht hart genug
Trotz dieser Einschränkungen und ungeachtet der Tatsache, daß Kohl die deutsche Einheit vor 1989 aufgegeben hatte, ergibt sich aus der Lektüre des schwergewichtigen Bandes am Ende doch das Bild eines Staatsmannes, der großem Druck von außen ausgesetzt war, der geschickt verhandelte, aber nicht über die Härte verfügte, mit der Adenauer zu pokern verstand.
Kohl unterließ es, Mitterrand daran zu erinnern, daß sich Frankreich 1954 in den Pariser Verträgen völkerrechtlich bindend auf die Wiedervereinigung festgelegt hatte. Anstatt die damaligen Zusagen einzufordern, wie es Adenauer getan hätte, glaubte er, einen zusätzlichen Preis zahlen zu müssen, nämlich den der Deutschen Mark.
Relativiert wird Kohls Verhandlungsgeschick auch dadurch, daß sich die USA früher als die Bundesregierung auf die Wiedervereinigung festlegten und daß letzten Endes niemand anderer als Washington den Ausschlag gab. Dies aber gegen die Zusage, daß Deutschland in der Nato und de facto ein großer US-Militärstützpunkt blieb. Die USA gewannen den Kalten Krieg, die Deutschen durften mitsiegen.
Europa als Trick Frankreichs,
um Deutschland zu kontrollieren
Kein vernünftiger Mensch glaubte 1989/1990 in Frankreich ernsthaft, es entstünde ein „Viertes Reich“ östlich des Rheins. Das böse Schlagwort wurde zuerst von der Londoner Times in die Welt gesetzt. In Paris glaubte man ganz einfach, was Deutschland mit der Einheit hinzu gewönne, gehe zu Lasten Frankreichs. Eine Einstellung gegenüber dem Nachbarn, die weit in die Vergangenheit zurückreicht.
Man muß sich auf der Zunge zergehen lassen, was François Scheer, der französische Botschafter in Bonn, auf einem Kolloquium in Paris im Mai 1997 sagte: „Hinter uns lag eine mindestens drei Jahrhunderte alte diplomatische Tradition in Frankreich: mit mehreren Deutschlands haben wir uns immer wohler gefühlt als mit einem. 1950 haben wir einen ‘Trick’ erfunden, um der Perspektive eines vereinigten Deutschland Herr zu sein, und zwar Europa.“ (Quelle: Internationale Politik, 9/98).
Auch Joachim Bitterlich, im Bundeskanzleramt unter Kohl zuständig für auswärtige Beziehungen, spricht von einem „Schock“ bei den europäischen Partnern über die nicht mehr erwartete Wiedervereinigung, von einer „frostigen Stimmung“ auf dem Straßburger EG-Gipfel im Dezember 1989 und der „sehr taktierenden“ Verhandlungsführung der Franzosen. (Siehe dazu: Werner Rouget, Schwierige Nachbarschaft am Rhein.)
Das deutsch-französische Tandem, so meint Bitterlich, habe Ende 1989/Anfang 1990 drei bis maximal vier Monate Zeit gebraucht, um sich auf die neue Lage einzustellen. Mitterrand sei so weit gegangen, „wie er angesichts der Stimmung und der Haltung der ‘politischen Klasse’ in Paris zu jenem Zeitpunkt gehen konnte“.
Damit meinte Bitterlich zweierlei: daß die ent-scheidenden europapolitischen Zugeständnisse Helmut Kohls in das erste Quartal 1990 fielen und daß ohne Mitterrand alles noch viel schwieriger gewesen wäre, weil das Establishment in Paris den Deutschen nicht besonders gewogen war.
In den Akten des Bundeskanzleramtes kann man die Ereignisse dieser „eisigen Tage und Wochen“ (Der Spiegel) in diplomatisch entschärfter Form nachlesen. Es stellte sich heraus, daß die jahrelangen Bekenntnisse zur Wiedervereinigung nur ein billiges Ritual gewesen waren. Noch am 18. November 1989, als sich Kohl in Paris aufhielt, verkündete ein französischer Regierungssprecher herzlos, die deutsche Frage stehe „nicht auf der Tagesordnung“.
Am Tag zuvor hatte Ministerialdirektor Teltschik in einer Vorlage an Kohl geschrieben: „Unter den drei Westmächten gibt es eine deutlich abgestufte Haltung zur Wiedervereinigung: am positivsten die USA, zurückhaltender Frankreich und gegenüber beiden deutlich abfallend Großbritannien.“ (Akte Nr. 94). Expräsident Giscard d’Estaing habe ultimativ die Einberufung eines Sondergipfels zur „Rettung der EG“ gefordert, um den westeuropäischen Integrationsprozeß zu beschleunigen.
Dabei dachte niemand in Deutschland daran, die EG aufs Spiel zu setzen. Hinter den Pressionen und Warnungen aus Paris verbarg sich denn auch nicht so sehr der Wunsch nach größerer europäischer Einheit, sondern der nach einer noch strikteren Einbindung Deutschlands. Beides muß man - auch zum besseren Verständnis des Maastrichter Vertrages - streng auseinanderhalten.
Kohl wollte die Politische Union,
Frankreich nur die Mark
Gerade Kohl wollte eine wirkliche Politische Union Europas und war auch bereit, dafür die D-Mark aufzugeben. Paris hingegen wollte das D-Mark-Opfer, nicht aber die Politische Union. Denn diese hätte das Ende der französischen Souveränität bedeutet.
Die Politische Union hätte für Deutschland den Vorteil gehabt, das eigene Souveränitätsdefizit, die eigenen Führungsschwächen und Neurosen auf einer höheren politischen Ebene verschwinden zu lassen. In einem wirklichen europäischen Bundesstaat hätten alle die gleichen Rechte gehabt, der deutsche Makel wäre unsichtbar geworden.
An etwas ähnliches muß Margaret Thatcher gedacht haben, als sie von den Deutschen einmal sagte: weil sie nicht im Stande sind, sich alleine zu regieren, sollen es auch die anderen nicht dürfen.
Es bedurfte eines unfreundlichen Briefwechsels zwischen Kohl und Mitterrand (vom 27. November, vom 1. und 5. Dezember 1989) und eines Treffens der beiden auf Mitterrands Landsitz in Latché am 4. Januar 1990, bis absehbar wurde, wer die Partie gewinnen würde.
Erst in Latché erhielt Mitterrand von Kohl die - so Bitterlich - „klare und glaubhafte Zusage“, daß Bonn die europäische Integration vorantreiben werde, womit natürlich in erster Linie die Währungsunion gemeint war.
In der Aktennotiz über das Gespräch in Latché (Dokument Nr. 135) wird dieser nackte Sachverhalt freilich hinter den üblichen europapolitischen Floskeln versteckt. Kohl versicherte dem Präsidenten, die deutschen Probleme (welche gab es denn eigentlich?) könnten nur unter dem europäischen Dach gelöst werden; die Wiedervereinigung werde Jahre dauern; das Deutschland von morgen werde ein westlich orientiertes Land sein; der geborene Partner für uns sei Frankreich; der Weg nach Warschau führe über Paris undsoweiterundsofort.
Für Mitterrand hatte die deutsche
Ostgrenze höchste Priorität
Mitterrand, für den die Anerkennung der polnischen Westgrenze allerhöchste Priorität hatte (dies nämlich war die große deutsche Konzession!) räumte immerhin ein, daß z.B. Schlesien und Ostpreußen länger deutsch als polnisch gewesen seien und insinuierte, daß der Verzicht den Deutschen nicht leicht fallen dürfte.
Kohl wiederum machte die seltsame Bemerkung, die DDR sei nicht Ostdeutschland, sondern Mitteldeutschland. Wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, wollte er damit die Harmlosigkeit der dortigen Bevölkerung unterstreichen. So, als hätten im eigentlichen Ostdeutschland antiwestliche und irgendwie barbarische Menschen gehaust. Fragt sich nur, warum das offizielle Bonn dann doch dazu überging, die neuen Bundesländer in „Ostdeutsch-land“ umzutaufen.
Von Latché im Januar 1990 führt ein verschlungener, nicht leicht einsehbarer Weg bis zur Konferenz von Maastricht im Dezember 1991 - ein Weg, auf dem Kohl sein ursprünglich kohärentes europapolitisches Konzept gezwungenermaßen verlor. Es war seine größte diplomatische Niederlage.
Noch am 6. November 1991, als die Würfel längst gefallen waren, behauptete er vor dem Deutschen Bundestag, eine Währungsunion ohne Politische Union sei auf Dauer „abwegig“. In Wirklichkeit hatte er das Junktim lange vorher und ohne Wissen der deutschen Ã-ffentlichkeit fallengelassen.
Stattdessen hatte Mitterrand sein Junktim durchgesetzt, nämlich das zwischen Wiedervereinigung und Währungsunion, d.h. dem Ende der monetären Souveränität Deutschlands.
Wie Schamir den Kanzler brutal unter Druck setzte
Besonders brutalem Druck war Bonn in den Wochen nach dem Fall der Mauer von Seiten Israels ausgesetzt. Premierminister Schamir erklärte am 15. November 1989 in einer amerikanischen Fernsehsendung: „Alle von uns erinnern sich an das, was uns das deutsche Volk... was uns die Deutschen angetan haben, solange sie vereint und stark - stark im militärischen Sinne - waren... Jeder von uns könnte denken, daß sie, wenn sie wieder dazu Gelegenheit erhalten und das stärkste Volk in Europa und vielleicht in der Welt sind, versuchen werden, es wieder zu tun.“
Kohl schrieb am 1. Dezember 1989 an Schamir einen scharfen Brief. Die Deutschen hätten über 40 Jahre „unter Beweis gestellt, daß sie aus der Geschichte gelernt haben“. Es verbiete sich jede Parallele zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat.
Schamir antwortete am 10. Dezember ohne seine Anwürfe zurückzunehmen. Er erhöhte eher noch den moralischen Druck auf Bonn, ein aufschlußreicher Briefwechsel, der auch Teil der Vorgeschichte des Holocaust-Mahnmals ist. (Dokumente Nr. 106 und 118)
Wer die schicksalsträchtigen Jahre 1989 und 1990 Revue passieren läßt, kommt zu dem Resultat, daß es eines Bismarcks oder eines Adenauers bedurft hätte, um aus der damaligen Situation mehr herauszuholen. Kohl hatte dieses Format nicht.
Der Verzicht auf die Deutsche Mark hatte eine andere Spätfolge, die den Franzosen während der Verhandlungen 1990 und 1991 über die Währungsunion vielleicht nicht einmal bewußt war: mit der deutschen Währung wurde zugleich die Aussicht auf eine führende Rolle Deutschlands auf dem Balkan und in ganz Südosteuropa begraben.
Auch dies fast eine Zwangsläufigkeit der europäischen Politik, die von Maastricht bis nach Rambouillet und den Kosovo-Konflikt führt. 1990 hatten die USA Deutschland die Rolle des Juniorpartners angeboten, 1999 nahmen sie diesen Partner nicht mehr besonders ernst.
Wie der deutsche Einfluß auf
dem Balkan zunehmend schwand
In den Zeitungen liest man das freilich meist anders. Dort wird mit wohligem Schaudern der Eindruck erweckt, Deutschland sei so etwas wie eine kleine Großmacht. „Die Bundesrepublik muß sich den Platz auf dem Teppich nicht mehr mit List sichern“, schrieb die FAZ am 10. Juni und erinnerte damit an die Szene auf dem Petersberg am 21. September 1949, als Adenauer den Fuß auf jenen berühmten Bodenbelag setzte, der den Hohen Kommissaren der Siegermächte vorbehalten war.
Die FAZ behauptete, Außenminister Fischer habe Seite an Seite mit Amerikanern und Russen über den Frieden auf dem Balkan verhandelt. Er habe damit kokettiert, daß Deutschland ein „kleines Land“ sei, und während eines Auftritts mit Madeleine Albright habe er „sogar“ zu lachen angefangen.
In Wirklichkeit wurde die Bundesrepublik, nachdem Genscher mit der diplomatischen Anerkennung Kroatiens vorgeprescht war und sich damit den Zorn der Westmächte zugezogen hatte, nach und nach auf dem Balkan ausgebootet.
Kroatien wurde für seine Anlehnung an Deutschland mit ständigen Schikanen seitens der EU und der OSZE bestraft und zog längst die Konsequenz, sich stärker auf die USA zu stützen und sogar Rüstungsaufträge an Israel zu vergeben. Wie zu hören ist, übernahm der CIA vom BND nicht nur die Aufsicht über den kroatischen Geheimdienst, sondern auch die Kontrolle über die albanische UCK.
Das Auswärtige Amt muß über die Entwicklung der Kosovo-Krise frustriert und erbost gewesen sein, sonst hätten sich die Verantwortlichen nicht Luft gemacht, indem sie gegenüber der Zeit aus der Schule plauderten. Die ganz erstaunlichen Insider-Informationen waren am 12. Mai in der Hamburger Wochenzeitung lang und breit nachzulesen.
Zunächst klärt Wolfgang Ischinger, Staatssekretär aus dem AA, völlig korrekt die Kosovo-Schuldfrage. Das Drama gehe auf den 28. Februar 1998 zurück, als die Serben einen führenden Familienclan der Kosovaren auszurotten begannen. Der Völkermord war, wenn auch noch mit niedriger Intensität, bereits im Gange, als die Nato den Luftkrieg eröffnete.
Heute, wie vor einem halben Jahrhundert, wird die albanische Gesellschaft von mächtigen Clans beherrscht - denselben Clans, die bei Kriegsende den Rückzug einer ganzen deutschen Heeresgruppe deckten und die Gebirgspässe freihielten, nachdem die Rote Armee in Belgrad einmarschiert war. Vertreter dieser Clans erzählten einem Leser des DeutschlandBriefs, die Wehrmacht sei die erste Armee in der Geschichte des Kosovo gewesen, die sich beim Einmarsch korrekt verhalten habe.
Am 9. Oktober 1998, als Kohl bereist abgewählt, Schröder aber noch nicht Kanzler war, machten er und Fischer im nebelverhangenen Washington ihren Antrittsbesuch. Präsident Clinton verlangte die deutsche Unterstützung für einen Nato-Einsatz gegen Serbien. Schröder und Fischer baten um Bedenkzeit, bis sie ihre Ämter angetreten hätten. Clinton zeigte Verständnis.
Innerhalb von 15 Minuten
mußte sich Fischer entscheiden
Bereits am 12. Oktober meldete sich Washington wieder. Nun war eine sofortige Entscheidung aus Bonn erwünscht. „15 Minuten“, so zitiert Die Zeit Fischer, „blieben uns, um über die Frage von Krieg und Frieden zu entscheiden.“
Der alte Pazifist Fischer knickte ein. Wie Der Spiegel in Nr. 16/99 berichtete, konnte der Grüne nur Außenminister werden, wenn er den Druck der USA in dieser Frage akzeptierte. Das wurde ihm ganz deutlich auch von Schröder gesagt.
Das Bonner Ja zum Kosovo-Einsatz ohne UN-Mandat war dann, mit Zustimmung der künftigen Regierung, die letzte Amtshandlung des scheidenden Kabinetts Kohl.
Am 29. Januar 1999, wenige Tage vor der Eröffnung von Rambouillet und nach einem neuerlichen Massaker der Serben, erfuhren die Bonner von einem ungeheuerlichen Fait accompli: Franzosen und Briten hatten sich gerade hinter dem Rücken der deutschen Kosovo-Delegation darauf verständigt, daß nur sie zusammen mit Amerikanern und Russen die Verhandlungen führen würden. (Später wurden sogar die Russen zeitweise ausgeschaltet.)
Die Deutschen wurden zu Beobachtern degradiert und ließen ihre Idee, die damalige Konferenz auf den Petersberg einzuladen, freiwillig wieder fallen. Stattdessen wurde das Schloß von Rambouillet bei Paris der Konferenzort.
Immerhin konnte sich das Auswärtige Amt damit trösten, daß der Ã-sterreicher Wolfgang Petritsch in seiner Funktion als EU-Sonderbeauftragter auch für die Bundesregierung mit verhandelte. Als die Konferenz von Rambouillet kurz vor der Entscheidung stand, telefonierte US-Außenministerin Albright mit Milosevic, und am 16. Februar flogen die Vertreter der drei Westmächte von Paris nach Belgrad, um dort direkt zu verhandeln.
Die Deutschen, die immerhin die EU-Präsidentschaft innehatten, saßen nicht im Flugzeug. Sie waren darob, so Die Zeit, „alarmiert“. Der EU-Vertreter Petritsch, den man nicht informiert hatte, fuhr den Westalliierten im Taxi zum Flugplatz hinterher. Diese ließen sich jedoch telefonisch nicht erreichen, bis die Maschine in der Luft war. Übrig blieben in Rambouillet die Russen und die Europäer, - nur ohne Briten und Franzosen.
In ihrer Schlußphase war die Konferenz von Rambouillet, die den Kriegsausbruch hätte verhindern sollen, „eine rein amerikanische Veranstaltung“, so ein Bonner Insider. Nach einem letzten Vorstoß der Amerikaner am 23. März, Milosevic zum Einlenken zu bewegen, begannen die Bombardierungen der Nato. Es zeigte sich, „daß wir Deutschen ohnmächtig waren, uns überschätzt haben“ - Originalton eines Bonner Spitzenbeamten.
Immer noch nicht gestrichen:
Die UNO-Feindstaatenklauseln
Es rächte sich eben wieder einmal, daß die vorherige Bundesregierung es versäumt hatte, auf völkerrechtlicher Gleichstellung zu bestehen. Bonn hätte nie der Beteiligung an UNO-Einsätzen zustimmen dürfen, bevor die diskriminierenden Feindstaatenklauseln ersatzlos gestrichen waren.
Diese Klauseln in der UNO-Charta behandeln Deutschland und Japan immer noch als Paria-Staaten - mit geringeren Rechten als z.B. der Irak. Die überholten und indiskutablen Klauseln hätten Bonn eine ideale Gelegenheit geboten, eine conditio sine qua non zu schaffen, Rückgrat zu zeigen und sich Respekt zu verschaffen. Die Klauseln sind und bleiben unvereinbar mit der Souveränitätszusage im Zwei-plus-Vier-Vertrag.
Immer wieder stellt sich die Frage nach der deutschen Souveränität. Der Begriff wird oft mißverstanden. Auch die Freiheit des Individuums besteht nicht darin, tun zu können, was einem beliebt. Auch staatliche Souveränität kann nicht bedeuten, auf Nichts und Niemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Sie beinhaltet aber sehr wohl, die eigenen Interessen selbst definieren zu können und die reale Möglichkeit, zwischen Optionen zu wählen.
In diesem Sinne sind z.B. Dänemark, Norwegen, Schweden und die Schweiz souverän. Auch sie sind an völkerrechtliche Verträge gebunden, aber sie hatten immer die Option, sich für oder gegen die Nato, die EU, die Neutralität oder den Euro zu entscheiden. Und sie haben diese Entscheidung bekanntlich sehr unterschiedlich getroffen.
Deutschland ist aus gutem Grunde in der Nato und der EU, aber es traute sich offenbar nicht zu, Nein zum Euro zu sagen. Der deutsche Spielraum ist, auch aus eigenem Verschulden, extrem klein.
Daniel Goldhagen sprach zurecht von einer „Internationalisierung“ Deutschlands und seiner Geschichte - ein treffender Gegenbegriff zur Souveränität - und führte dazu insbesondere aus:
„Egal, wie die Deutschen ihre eigene Geschichte gerne schreiben würden, es existiert eine mächtige Kontrolle vom Ausland her.“
„Die politischen Eliten keines anderen Landes sorgen sich so sehr darum, wie sie von außen beurteilt werden... Das hat dazu geführt, daß die Perspektiven des Auslandes in den Entscheidungsprozeß der deutschen Politik stärker eingebaut werden als in anderen Ländern.“
In den letzten zehn Jahren
zahlte Bonn um die 300 Milliarden
Da das Geld immer auch der nervus rerum der großen Politik ist, hat dies alles selbstverständlich auch zur Folge, daß man sich permanent zur Kasse bitten läßt, ohne dadurch die eigene Beliebtheit zu steigern.
Daß Bonn für den Abzug der Russen aus ihrer deutschen Besatzungszone bereitwillig hohe zweistellige Milliardenbeträge zahlte, ist nachvollziehbar. Dieses Geld war gut investiert. Zählt man aber alles hinzu, was in den vergangenen zehn Jahren zur Beruhigung des „Auslands“ an Finanztransfers geleistet wurde, und zwar innerhalb und außerhalb Europas, dann kommt man auf eine gigantische Summe, die irgendwo um die 300 Milliarden Mark liegen dürfte. Und man beginnt eine Schlagzeile in der FAZ vom 23. Juni zu verstehen: „Das deutsche Volksvermögen stagniert seit zehn Jahren.“
Hinzu rechnen muß man für die Zukunft die Geldschöpfungsgewinne und andere Einnahmen, die der Deutschen Bundesbank - und damit dem Staatshaushalt - durch die Teilnahme am Euro und durch die Europäisierung der deutschen Notenbankgewinne entgehen. Der genau Betrag ist schwer abschätzbar. Der Münchner Professor Sinn hat zu dem Thema die bisher gründlichste Untersuchung vorgelegt und kam auf einen entgangenen Bundesbankgewinn in einer Größenordnung von bis zu 90 Milliarden Mark.
Damit sind wir wieder beim Thema Balkan. Als der Euro konkrete Gestalt annahm, war Südosteuropa gerade dabei, Teil einer großen D-Mark-Zone zu werden, die vom Baltikum bis nach Bulgarien reicht - vergleichbar mit der Vorherrschaft des US-Dollars in Lateinamerika.
Von der D-Mark-Zone profitierte auch Osteuropa
Dollar- und DM-Banknoten, die außerhalb der eigenen Grenzen als Parallelwährung zirkulieren, sind für den Emittenten der Währung ein glänzendes Geschäft, da die Mehrzahl dieser Noten nicht wieder eingereicht wird. Anders ausgedrückt: die USA und - bislang noch - Deutschland verkaufen ihre Banknoten, die sie zu einem Bruchteil des aufgedruckten Wertes selbst herstellen, mit einem dicken Gewinn ans Ausland. Man nennt das „Seignorage“.
Einige Fakten zur erstaunlichen Ausbreitung der D-Mark-Zone. Während in Rußland die Deutsche Mark mit deutlichem Abstand hinter dem Dollar rangiert, wird die D-Mark in weiten Teilen des Balkans - auch in Serbien - als bevorzugtes Wertaufbewahrungs- und Zahlungsmittel verwendet. Die Bosnische Mark und der Bulgarische Lew sind zu 100% durch DM-Reserven gedeckt. Das System nennt man „Currency Board“, im Gegensatz zu einer richtigen Zentralbank.
Als Bulgarien am 5. Juli 1999 von 1000 alten Lew auf einen neuen Lew umstellte, wurde dieser eins zu eins an die D-Mark gekoppelt. Nicht etwa an den Euro!
Es ist richtig, daß die Alternative zum Euro eine DM-Hegemonie in großen Teilen Europas gewesen wäre. Dies führte auch Fischer als Argument gegen die D-Mark an. Und nicht zuletzt deswegen mußte sie verschwinden. Nur: Wem hat der Erfolg der D-Mark jemals geschadet? Auch der Dollar erfüllt in Südamerika eine nützliche und unersetzliche Funktion. Allein die Existenz der Bundesbank und der D-Mark hat entscheidend mitgeholfen, die früher einmal liederliche französische Geldpolitik zu disziplinieren. Europa hat der Bundesbank viel zu verdanken. Das wurde auch von französischen Kommentatoren ausdrücklich anerkannt. Die deutsch-französische Balance sah bisher so aus: der eine hatte als Souveränitätsmerkmal die Atombombe, der andere die Mark.
Die D-Mark als künftige europäische Leitwährung hätte selbstverständlich zunehmenden wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Einfluß der Friedensmacht Deutschland zur Folge gehabt, besonders eben in Mittel- und Südosteuropa.
Eine solche „Deutschezone“, wie sie vom Wall Street Journal am 18. Juni genannt wurde, wäre dem wirtschaftlichen Aufbau der vom Kommunismus ruinierten Länder nur zugute gekommen. Sie hätte das wiedervereinigte Deutschland vor eine lohnende Aufgabe gestellt und das Gefäß der 1990 neu gewonnenen Souveränität mit Inhalt gefüllt.
Weil sich die deutsche Politik erpressen ließ und falsche Prioritäten setzte, waren die Jahre seit der Wiedervereinigung in mancher Hinsicht - nicht zuletzt auch für den ehemaligen Ostblock - verlorene Jahre.
Fixiert auf zwölf Jahre Vergangenheit, mit der D-Mark des einzigen Souveränitätsmerkmals beraubt, schwankend zwischen Internationalisierung und Selbstfindung, zwischen fremden und eigenen Interessen, muß die Nation ihre Sicherheit und ihre Rolle in Europa erst noch finden.
Literatur zum Thema:
Deutsche Einheit: Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, Dokumente zur Deutschlandpolitik, R. Oldenbourg Verlag, München 1998, 1669 Seiten, broschiert, DM 68. Der schwere Band enthält über 400 Dokumente, die normalerweise 30 Jahre lang unter Verschluß geblieben wären, von Kohl aber vorzeitig freigegeben wurden. Zentrales Thema ist das Ringen um die deutsche Einheit. Mit einer großen Einführung und komplettem wissenschaftlichen Apparat.
Werner Rouget: Schwierige Nachbarschaft am Rhein, Frankreich - Deutschland, Bouvier Verlag, Bonn 1998, 139 Seiten, gebunden, DM 24,80. Das Buch fand seit Erscheinen nicht allzu viel Interesse in Deutschland, enthält aber äußerst aufschlußreiches Material zur Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen. Sehr interessant auch der Beitrag von Joachim Bitterlich, der unter Kohl im Kanzleramt arbeitete, zur Vorgeschichte des Maastrichter Vertrages.
Bruno Bandulet, Was wird aus unserem Geld? Wirtschaftsverlag Langen Müller Herbig, München 1998, 287 Seiten, DM 38. Beschreibt u.a., wie es zum Maastrichter Vertrag und zum Verzicht auf die D-Mark kam und erzählt die Währungsgeschichte Deutschlands seit 1920.
DeutschlandBrief Spezial
Die unheimliche Großmacht
Hinter den Kulissen der amerikanischen Weltpolitik
(DeutschlandBrief, März 2002)
Es ist nun fast ein halbes Jahr her, daß zwei
Verkehrsflugzeuge in die New Yorker Zwillingstürme rasten, und noch immer liegen Vorgeschichte und Hintergründe des 11. September 2001 im dunkeln.
Schon kurz nach dem Attentat sprach der DeutschlandBrief von einer immensen Verschwörung, deren Zusammenhänge wohl nie vollständig aufgeklärt würden - eine Einschätzung, an der wir nach wie vor festhalten.
Zu einer ähnlichen Wertung kam Andreas von Bülow in einem Interview mit der Berliner Wochenzeitung Junge Freiheit vom 8. Februar. Von Bülow (SPD) war von 1976 bis 1980 Staatssekretär im Verteidigungsministerium und danach Bundesforschungsminister, arbeitet jetzt als Rechtsanwalt in Bonn und hat sich einen Namen gemacht als ein intimer Kenner verdeckter Operationen, die sich im Dreieck von Geheimdiensten, Terroristen und Organisierter Kriminalität auf internationaler Ebene abspielen.
Von Bülow ist kein Verschwörungstheoretiker vom linken oder rechten Rand des politischen Spektrums. Er muß ernst genommen werden. In seinem Interview vom 8. Februar findet sich folgender Satz:"Der Terroranschlag vom 11. September war vermutlich nicht das Werk von Muslimen."
Auf die Frage, wer denn sonst der Urheber gewesen sei, antwortete von Bülow:"Das kann ich Ihnen auch nicht sagen." Man darf annehmen, daß der Bonner Anwalt damit etwas artikulierte, was auch manche Verantwortlichen in Berlin denken, aber nicht zu sagen wagen.
Von Bülow wies darauf hin, daß von den 19 angeblichen Selbstmordattentätern sieben nachweislich noch leben und daß sich auf den veröffentlichten Passagierlisten der vier gekaperten Flugzeuge kein einziger arabischer Name befindet.
Auch wenn wir uns nur auf die gesicherten Erkenntnisse beschränken, dann steht fest:
(1) daß die USA noch 2001 intensive Kontakte mit dem Talibanregime hatten, daß durchaus Chancen für eine Verhandlungslösung des Afghanistan-Problems bestanden, daß die militärische Option bewußt gewählt wurde;
(2) daß die USA schon vor dem 11. September beschlossen hatten, sich in Zentralasien militärisch festzusetzen;
(3) daß schon vor dem 11. September amerikanische und britische Truppen zusammengezogen wurden;
(4) daß Washington mehrmals und von verschiedenen Seiten vor einem verheerenden Anschlag gewarnt wurde;
(5) daß Ben Laden ein langjähriger CIA-Protegé war und daß die Kontakte auch 2001 nicht beendet waren;
(6) daß die Vorbereitungen für das Attentat nachweisbar auf dem Boden der USA stattfanden und daß die Anschuldigungen gegen arabische Regierungen als Drahtzieher nie belegt werden konnten;
(7) daß vor und nach dem 11. September bis zu 200 Israelis in den USA verhaftet wurden.
Wenn man das alles berücksichtigt, dann wird die Geschäftsgrundlage des internationalen Krieges gegen den Terror fraglich, dann benutzen die USA den 11. September als Vorwand für eine eigene Agenda, dann war die Ausrufung des Nato-Bündnisfalles durch Bundeskanzler Schröder voreilig und unbegründet, dann wird die Bundeswehr als Hilfstruppe in einem Konflikt mißbraucht, der nichts mit dem Nato-Vertrag und nichts mit deutschen Interessen zu tun hat. Dann stellt sich auch die Frage nach den Parallelen zum Golfkrieg von 1990, auf die wir später eingehen werden.
So oder so bleibt der 11. September samt Vor- und Nachgeschichte ein hochkompliziertes Puzzle, von dem nur wenige Einzelteile bisher zusammenpassen:
Ad 1) Noch im Mai 2001 gab das US-Außenministerium Hilfsgelder in Höhe von $ 43 Millionen an die Taliban frei - zur Belohnung dafür, daß Kabul den Mohnanbau und die Opiumproduktion eingestellt hatte (Los Angeles Times, 22. Mai 2001). Im Juni 2001 trafen drei prominente amerikanische Diplomaten, darunter der frühere US-Botschafter in Pakistan, Taliban-Vertreter in Berlin und drohten mit Militärschlägen gegen das Land im Oktober 2001 (The Guardian, 22. September 2001). Insgesamt kam es bis zum Sommer 2001 zu 20 Treffen zwischen CIA-Vertretern und den Taliban, bei denen über die Auslieferung Ben Ladens verhandelt wurde. Die Taliban stellten Bedingungen, lehnten aber die Auslieferung nicht rundweg ab. Entgegenkommend zeigte sich besonders der Außenminister (Financial Times, 31. Oktober 2001).
Ad 2) Im Januar 2001 besuchte ein Vertreter des Pentagon, Dr. Jeffrey Starr, Tadschikistan. Schon vor dem 11. September hielten sich US-Spezialeinheiten in Kirgistan auf (The Guardian, 26. September 2001). Im Mai 2001 reiste der CIA-Direktor George Tenet nach Pakistan und führte dort"eine außergewöhnlich lange Unterredung" mit Staatschef Musharraf (die indische Nachrichtenagentur SAPRA, 22. Mai 2001). Am 7. Oktober 2001 unterzeichneten die USA einen Militärvertrag mit Usbekistan, dessen Details nie veröffentlicht wurden (Neue Zürcher Zeitung, 12. November 2001). Offen bleibt, wie lange der Vertrag in Vorbereitung war.
Ad 3) Bereits im August und Anfang September meldete der regierungsunabhängige US-Nachrichtendienst Stratfor, daß sich die USA auf einen Militärschlag im Mittleren Osten vorbereiteten (und Sharon auf eine neue Kampagne gegen die Palästinenser). Anfang September wurde die britische Militärpräsenz in Oman auf 25 000 Mann erhöht. Zur selben Zeit, also noch vor dem 11. September, trafen zwei US-Flugzeugträger im arabischen Golf vor der pakistanischen Küste ein.
Ad 4) Am 12. Juli 2001 verkündete die russische Prawda, die USA seien als Ziel eines Angriffs ausgewählt worden, der am 11. August stattfinden werde (vgl. DeutschlandBrief, November 2001). Im August 2001 beauftragte Präsident Putin seinen Geheimdienst, die USA vor bevorstehenden Angriffen auf Flughäfen und Regierungsgebäude zu warnen (der US-Sender MS-NBC, 15. September 2001).
Ad 5) Im Juli 2001 ließ sich Ben Laden im Amerikanischen Hospital in Dubai behandeln und wurde bei dieser Gelegenheit vom örtlichen CIA-Vertreter besucht (Le Figaro, 31. Oktober 2001). Der Kontakt in Dubai wurde später von amerikanischen Seite dementiert, das Dementi wurde von der FAZ übernommen - allerdings ohne zu erwähnen, daß der Figaro vor Ort recherchiert und Augenzeugen aufgeboten hatte. Zur langjährigen Zusammenarbeit zwischen Ben Laden und CIA vgl. DeutschlandBrief Oktober 2001.
(Interessant in diesem Zusammenhang: Unmittelbar nach dem 11. September durften die in den USA wohnhaften elf Angehörigen des Ben Laden-Clans mit einem gecharterten Flugzeug, das in Boston startete, ungehindert nach Saudiarabien ausreisen. Ebenfalls nach dem 11. September verkaufte die Ben Laden-Familie ihren Anteil am amerikanischen Rüstungskonzern Carlyle Group, für dessen Tochterunternehmen der jetzige US-Präsident Bush als Direktor gearbeitet hatte. Einzelheiten dazu brachte BBC am 6. November 2001.)
Ad 6) Selbst in der offiziellen amerikanischen Version wird nicht bestritten, daß der 11. September von amerikanischem Boden aus organisiert wurde. Auch die amerikanische Bundespolizei FBI bestätigte, daß sie keine Verbindungen zum Staatsterrorismus feststellen konnte und keine Hinweise darauf habe, daß Staaten zu dem Attentat vom 11. September beigetragen hätten (NZZ, 15. November 2001). Am 3. Dezember 2001 berichtete die New York Times, daß die in den USA verschickten Milzbranderreger vermutlich aus einem B-Waffen-Programm der US-Regierung stammen.
Ad 7) Am 12. Dezember 2001 meldete der US-Sender Fox News, daß seit dem 11. September etwa 60 Israelis in den USA verhaftet worden seien:"Es gibt keine Hinweise darauf, daß die Israelis in die Angriffe vom 11. September verwickelt waren, aber die Untersuchungsbeamten haben den Verdacht, daß sie über die Angriffe Vorausinformationen gesammelt und diese (den US-Behörden) nicht mitgeteilt haben." Auf Anfrage von Fox News verweigerten Regierungsstellen nähere Auskünfte über die Verhaftungen mit der Begründung: It ist classified information. Die Zeitungen in Deutschland berichteten nicht über die Verhaftungen. Ebenfalls am 12. Dezember meldete Fox News, daß bereits vor dem 11. September"bis zu 140 andere Israelis" wegen Spionageverdacht verhaftet worden seien. In einem Regierungsdokument werde Israel als country A eingestuft, als Land also, das von allen US-Verbündeten die aggressivsten Spionageoperationen gegen die USA durchführe. (Fox News steht der Republikanischen Partei nahe und hat neuerdings mehr Zuschauer als der konkurrierende Nachrichtensender CNN.)
Das außenpolitisch sehr enge und zugleich von Mißtrauen geprägte Verhältnis zwischen den USA und Israel ist freilich nur ein Aspekt des Krieges gegen den Terror, der mit dem 11. September ausgerufen wurde, der die Weltpolitik auf Jahre hinaus prägen wird und in den längst auch Deutschland mit unabsehbaren Konsequenzen hineingezogen wurde.
Manches erinnert an den Golfkrieg 1990, als die USA schon einmal ein doppeltes Spiel spielten und ihre ureigensten Hegemonial- und Rohstoffinteressen zu einer Angelegenheit des ganzen Bündnisses machten.
Damals war es die Regierung Kohl, die von Washington brutal unter Druck gesetzt wurde - mit einem Schreiben des amerikanischen Verteidigungsministers Richard Cheney vom 20. August 1990, in dem dieser eine massive deutsche Unterstützung für den US-Militäraufmarsch am Golf verlangte. Cheney ist heute Vizepräsident der Vereinigten Staaten.
Damals ging es gegen Saddam Hussein, jetzt - nach Abwicklung der Afghanistan-Operation - möglicherweise ein zweites Mal.
Der Preis, den die Kohl-Regierung 1990/1991 zu zahlen hatte, lag am Ende bei 17,2 Milliarden Mark - ein Drittel des deutschen Verteidigungshaushaltes. Geld, das damals in einer entscheidenden Phase bei der Finanzierung der deutschen Einheit fehlte.
Ähnlich wie der Afghanistan-Konflikt wäre der Golfkrieg wahrscheinlich vermeidbar gewesen, aber er bot den USA die lange ersehnte Chance, sich militärisch in der Region festzusetzen und Stützpunkte auf der arabischen Halbinsel zu errichten. Das hatten die Saudis bis dahin abgelehnt.
Vieles deutet darauf hin, daß die USA Saddam eine Falle stellten - eine Version, die auch von Scholl-Latour in seinem Buch"Lügen im Heiligen Land" vertreten wird.
Von 1980 bis 1988 hatte Saddam Hussein bekanntlich mit amerikanischer und westlicher Unterstützung und unter immensen eigenen Verlusten Krieg gegen den damaligen Erzfeind der USA geführt, gegen den Iran. Saddam glaubte, ihm stünde eine finanzielle Entschädigung zu, schließlich waren seine Kassen leer.
Am 25. Juli 1990 empfing er die amerikanische Botschafterin April Glaspie, um zu sondieren, wie sich die USA bei einem irakischen Zugriff auf Kuwait verhalten würden. Antwort der Botschafterin:"Wir haben keine Meinung zu arabisch-arabischen Konflikten, wie Ihre Grenzstreitigkeiten mit Kuwait. Das Thema hat nichts mit Amerika zu tun."
Am 2. August 1990 marschierte die irakische Armee in Kuwait ein, am 6. August verhängte die UNO Sanktionen, am 29. November verlangte der UN-Sicherheitsrat den irakischen Rückzug bis zum 15. Januar 1991. Am 16. Januar begann die Operation Desert Storm mit der Bombardierung Bagdads. Vorher war in Nato-Kreisen von einem Alptraum-Szenario die Rede gewesen. Damit gemeint war ein Teil-Rückzug des Irak aus Kuwait vor dem 15. Januar, wodurch der Zwang für Washington gewachsen wäre, eine Verhandlungslösung zu akzeptieren.
Eine besonders zynisches Kapitel des Golfkriegs bestand darin, daß Washington und London die Irakis zum Aufstand gegen den Diktator aufriefen, dann aber im März 1991 ungerührt zusahen, wie sich die Schiiten im Süden des Landes (und die Kurden im Norden) gegen Saddam Hussein erhoben und massakriert wurden. Die US-Luftwaffe hätte den Einsatz irakischer Kampfhubschrauber gegen die Schiiten jederzeit unterbinden können - sie blieb untätig. Hintergrund: Ein Sieg der Schiiten hätte Persien gestärkt, und ein solches Resultat des Golfkrieges war unerwünscht.
Die USA wollten den Irak nur schwächen, nicht aber zerschlagen. Wenn sie jetzt einen neuen Krieg gegen Saddam Hussein planen, muß man sich fragen, warum sie damals auf seinen Sturz verzichtet haben.
Schon der Golfkrieg von 1990/91 stand im Zeichen der amerikanischen Hyper-Moral, des Kampfes gegen das Böse - als ob es jemals in der Geschichte gute Großmächte gegeben hätte.
Für Deutschland stellt sich heute weitaus stärker als 1990 die Frage, ob es sich in amerikanische Kriege hineinziehen lassen soll - möglicherweise in eine Serie von Kriegen mit open end. Afghanistan, Kuwait, Dschibuti, Somalia, Kenia - die Liste der Einsatzplätze der Bundeswehr wird immer länger und exotischer. Dies ist die Armee, die einst zur Landesverteidigung aufgestellt wurde!
Aber Deutschland muß doch, so heißt es immer, den Amerikanern für die Wiedervereinigung dankbar sein. Richtig: die Deutschen haben keinen Grund, sich antiamerikanisch zu gebärden, auch wenn die Wiedervereinigung nur das Abfallprodukt einer langfristigen amerikanischen Strategie war, die seit Ronald Reagan darauf abzielte, den großen Konkurrenten Sowjetunion auszuschalten.
Was die USA in den achtziger Jahren inszenierten, war ein brillanter Zangenangriff auf die Sowjetunion, den das provinzielle Deutschland bis zum Schluß nicht durchschaute. Die Politiker in Bonn, auch Helmut Kohl selbst, hatten die deutsche Einheit abgeschrieben und waren völlig unvorbereitet, als die Sowjetunion den Kalten Krieg verlor und das DDR-Regime zusammen-brach.
Die Amerikaner gingen folgendermaßen vor: Während der Geheimdienst CIA den Kollaps der Ã-l- und Goldpreise orchestrierte und damit die Exporteinnahmen der Sowjetunion dezimierte, rüstete Reagan massiv auf. Er zwang die Sowjets zu einem Wettrüsten, das sie an den Rand des Bankrotts trieb. Gleichzeitig investierte die CIA schätzungsweise drei Milliarden Dollar in den afghanischen Widerstand gegen die Russen, bis die Rote Armee schließlich abziehen mußte.
Außerdem wurde der Partisanenkrieg mit Wissen und Billigung der CIA durch afghanische Drogenexporte finanziert, die die westlichen Absatzmärkte überfluteten. Der Drogenanbau wurde schließlich von den Taliban unterbunden, wird aber nach dem Machtwechsel in Afghanistan jetzt wieder aufgenommen.
Zu den dunklen Seiten der amerikanischen Weltmacht gehört auch, daß der internationale Drogenhandel mehr als einmal politisch instrumentalisiert wurde; daß der Drogenumsatz in den USA auf 150 Milliarden Dollar geschätzt wird; daß in keinem Land mehr Drogengelder gewaschen werden als in den USA; daß ein Abzug dieser Gelder aus dem US-Finanzmarkt den größten Börsencrash aller Zeiten auslösen würde. Nicht von ungefähr flog Richard Grasso, Chairman der New York Stock Exchange, Ende Juni 1999 nach Kolumbien und traf sich dort mit einem Vertreter der Narco-Terroristen.
Ronald Reagan gelang es, die Sowjetunion militärisch, finanziell und politisch entscheidend zu schwächen. Aber Gorbatschow hätte die Großmacht Sowjetunion durchaus erhalten können. Nie zuvor in der Geschichte war ein mächtiger Staat ohne akute Bedrohung von innen oder außen so schnell und nahezu widerstandslos zusammengebrochen. Daß Moskau dann auch noch der deutschen Einheit zustimmte, ohne daß das Land aus der Nato austreten mußte, grenzt an ein Wunder.
In einer hochinteressanten Studie (Gorbatschow als Partner des Westens) kommt der österreichische Psychologe Wolfgang Caspart zu dem Ergebnis, daß Gorbatschow im Dezember 1984 von Margaret Thatcher als indirekter Agent rekrutiert wurde, 1987 oder 1988 an die Amerikaner übergeben, von diesen 1989 und 1990 subtil gepflegt und eiskalt benutzt und, nachdem er seine Rolle gespielt hatte, 1991 fallengelassen wurde. (Eine andere Geschichte, die Caspart nicht erzählt, ist die Ausplünderung Rußlands in jenen Jahren, an der New York nicht ganz unbeteiligt war).
Die internen Bemerkungen der amerikanischen Führung über Gorbatschow, die Caspart ausgegraben hat, sind oft brutal und zynisch. Wer sie liest, verliert die letzten Illusionen, die er sich über Großmachtpolitik gemacht haben mag. Moral und Hyper-Moral bilden immer nur die Verpackung, nie den Inhalt der amerikanischen Weltpolitik.
Der Grand Design Amerikas für das neue Jahrhundert ist kein Geheimnis, man kann ihn bei Autoren wie Samuel P. Huntington und Zbigniew Brzezinski nachlesen.
Huntington predigt den Kampf der Kulturen - nur gäbe es diesen wahrscheinlich nicht, wenn die USA die Araber in Ruhe ließen. Es waren die westlichen Geheimdienste, inklusive des Mossad, die uns den Islamismus eingebrockt haben, meint dazu Andreas von Bülow.
Professor Brzezinski, Sicherheitsberater von Präsident Carter, Mitglied der Trilateralen Kommission und aller wichtigen Machtzirkel und Denkfabriken an der Ostküste, hat den Masterplan schon 1997 in seinem Buch The Grand Chessboard (Das große Schachbrett) ausgearbeitet. Auszüge:
* Der Zusammenbruch der Sowjetunion besiegelte den Aufstieg der USA zur alleinigen Weltmacht.
* In Eurasien liegt das Zentrum der Weltmacht."Amerikas globale Vorherrschaft hängt direkt davon ab, wie lange und wie effektiv das amerikanische Übergewicht auf dem eurasischen Kontinent aufrecht erhalten werden kann."
*"Die drei großen Gebote einer imperialen Geostrategie lauten: ein Zusammenspiel der Vasallen zu verhindern und ihre sicherheitspolitische Abhängigkeit aufrechtzuerhalten; die Tributpflichtigen gefügig zu halten und sie zu schützen; die Barbaren daran zu hindern, daß sie sich zusammenschließen."
* Der Kampf um die Weltherrschaft entscheidet sich in Zentralasien. Brzezinski nennt unter anderen Kasachstan, Turkmenistan und besonders Usbekistan und verweist auf die enorme Konzentration von Gas- und Ã-lreserven und auf den Plan einer Pipeline durch Afghanistan und Pakistan.
*"Da Amerika eine zunehmend multikulturelle Gesellschaft wird, könnte es schwieriger werden, einen Konsensus zur Außenpolitik herzustellen - außer im Falle einer wirklich massiven direkten äußeren Bedrohung, die allgemein als solche begriffen wird."
Exakt darin besteht die Funktion des 11. September: er mobilisiert Amerika wie einst Pearl Harbour, er ist wie Kitt für eine gespaltene multikulturelle Gesellschaft, er kaschiert die bedrohliche Krise des amerikanischen Finanzsystems, er signalisiert den Beginn eines Feldzuges, der darauf abzielt, weltweit die letzten Widerstände gegen die Weltherrschaft zu brechen.
Dies ist ein Krieg, sagte Vizepräsident Cheney,"der vielleicht nicht endet, solange wir leben."
Einen solchen Konflikt den Dritten Weltkrieg zu nennen, ist nicht ganz abwegig. Da wird sich wohl auch Deutschland und Europa der internationalen Verantwortung stellen müssen. Aber welcher?
Literaturhinweise:
Andreas von Bülow: Im Namen des Staates - CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste, Piper Verlag, München 1998, 624 Seiten, DM 46.
Wolfgang Caspart: Gorbatschow als Partner des Westens - Geschichte, Sozialphilosophie, Politische Psychologie, Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt 2001, 146 Seiten, DM 49.
Peter Scholl-Latour: Lügen im Heiligen Land - Machtproben zwischen Euphrat und Nil, Goldmann, München 2000, 495 Seiten, DM 19,90.
Zbigniew Brzezinski: The Grand Chessboard - American Primacy and its Geostrategic Imperatives, 1997.
(Die deutsche Ausgabe erschien unter dem Titel Die einzige Weltmacht.)
DeutschlandBrief, März 2002
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