ftd.de, Mo, 8.7.2002, 11:59, aktualisiert: Mo, 8.7.2002, 17:03
Studie: Aktuelle Börsenkrise ist kein Grund zur Depression
Von Ferdinand Knauß
Kursverluste, Pleitewellen und Massenentlassungen - manche Anleger sehen in der derzeitigen Wirtschaftslage bereits Parallelen zum Börsencrash von 1929. Zu unrecht, sagt das Deutsche Aktieninstitut.
Derzeit ist keine jahrzehntelange Depression wie nach dem"Schwarzen Freitag" im Jahr 1929 zu erwarten, sagt das Deutsche Aktieninstitut (DAI). Dagegen sprächen vor allem das anhaltende Wirtschaftswachstum und die im Vergleich zu 1929 vernünftigere Geldpolitik. Dennoch nutzt das DAI den aktuellen Bärenmarkt, um eine einheitliche Börsenaufsicht in Europa zu fordern.
Hauptgrund für die anhaltenden Kursrückgänge ist nach Ansicht des DAI der Vertrauensverlust bei den Investoren als direkte Reaktion auf die Bilanzfälschungs- und Insiderhandelsskandale. Um das Vertrauen in die Aktienmärkte wiederherzustellen, forderte von Rosen, die Kapitalmarktaufsicht mit schärferen und schnelleren Rechtsmöglichkeiten auszustatten. Analog zur Gründung der Securities and Exchange Commission (SEC) in den USA nach 1929, sei die Einführung einer einheitlichen europäischen Institution für die"dringend notwendige Kapitalmarkthygiene" zu überlegen, fordert die DAI-Studie.
Für eine lang andauernde und weltweite Baisse wie in den Dreißiger Jahren gibt es derzeit keine realwirtschaftlichen Gründe. Zu diesem Schluss kommt André Wetzel, Referent für Kapitalmarktfragen beim DAI in einer Vergleichsstudie über die aktuelle Situation an den Börsen und den Crash vom Oktober 1929. Trotz einiger Parallelen sei die gesamtwirtschaftliche Lage doch verschieden:"Während der Crash von 1929 der Vorbote zur folgenden großen Depression war, liegt heute - trotz des 11. Septembers - immer noch ein moderates wirtschaftliches Wachstum vor." Außerdem seien bei den Investoren noch immer genug Anlagemittel vorhanden, die derzeit aber in Renten- und Geldmarktwerte flössen.
Besonnenheit in der Geldpolitik
Die Geldpolitik habe nach den Kurseinbrüchen im Frühjahr 2000 weltweit sehr besonnen reagiert - im Gegensatz zur amerikanischen Notenbank"Fed" vor und nach 1929. Die Europäische Zentralbank habe mit ihrer"gebremst expansiven Haltung und einer schnellen Liquiditätsbereitstellung - z.B. nach dem 11. September 2001 - Probleme wie nach dem Crash 1929 nicht aufkommen lassen." Damals hatte die Fed fatalerweise die geldpolitischen Zügel angezogen und die dringend benötigte Liquiditätszufuhr gedrosselt.
Vergleichbar, so die Studie, sei jedoch die jeweilige Spekulationsblase vor den Kurseinbrüchen. Hauptgrund damals wie heute sei ein ökonomischer Boom gewesen, ausgelöst durch eine rasante technische Entwicklung. In den zwanziger Jahren war es unter anderem die Fließbandfertigung von Automobilen, in den Neunzigern die Informationstechnologie. In beiden Fällen, so DAI-Chef Rüdiger von Rosen bei der Vorstellung der Studie am Montag in Frankfurt am Main, sei ein neues Zeitalter des Wachstums verkündet worden. Dies habe sich aber nicht als dauerhaft standfest erwiesen.
Auch der ehemalige Chefökonom der US-Bank Merrill Lynch, Donald Straszheim, hat in der vergangenen Woche eine Vergleichsstudie der aktuellen Situation mit 1929 und dem Kollaps des japanischen Nikkei-Indexes in den 90er Jahren veröffentlicht. Die Investoren an der Nasdaq gingen davon aus, ihre Verluste in wenigen Jahren wieder auszugleichen, es könne, so Straszheim, aber durchaus auch 25 Jahre dauern.
© 2002 Financial Times Deutschland
URL des Artikels: http://www.ftd.de/bm/bo/1026117322178.html
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