Hallo
Ich hatte Gelegenheit, während ein paar sonnigen Urlaubstagen den interessanten Aufsatz von Dr. Norbert Voss aus dem technical-investor im Detail zu studieren, den YIHI hier <a href ="http://www.technical-investor.de/default.asp?P=wsn/Artikel.asp&WAID=1703&WID=1912&selfid=2100">am 16. Juli hereingestellt hat.</a>
Vielleicht interessiert jemanden meine Meinung dazu. Hier ist meine Analyse:
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Börsenaussichten für die nächsten Jahre
Dr. Norbert Voss zeigt zunächst (im technical-investor.de/default.asp?P=wsn/Artikel.asp&WAID=1703&WID=19128&selfid=2100), daß (zumindest in den USA seit 1900) Wachstum des GNP und Stand des DJIA bestenfalls schwach korreliert verlaufen oder überhaupt nicht korreliert sind:
Werte:
PERIODE........GNP p.cap......chDJIA p.decade
1900-1910.......29%...............9%
1910-1920.......1%..............-64%
1920-1930.......13%.............174%
1930-1940.......20%.............-23%
1940-1950.......48%...............9%
1950-1960.......27%.............139%
1960-1970.......33%..............19%
1970-1980.......25%.............-32%
1980-1990.......25%..............57%
1990-2000.......25%.............208%
Der Aufsatz sucht nach den Variablen, die die Börsenkurse beeinflussen und kommt zum Ergebnis, daß dies die beiden
untereinander zusammenhängenden Variablen"Zinsen" bzw."Unternehmensgewinne" einerseits sowie die"Kurzsichtigkeit, Angst und Gier" der Inve-
storen andererseits sind.
Anhand einer grafischen und tabellarischen Zusammenstellung dieser Variablen (die m.E. wichtigste Variable, nämlich"Kurzsichtigkeit, Angst und Gier" fehlt hier allerdings sehr weitgehend!) in vier 17-Jahres-Zeiträumen ab dem 31.12.1930 will der Autor des Beitrages, ein Dr. Norbert Voss, diese Hypothese beweisen: In der ersten Periode wirkten demzufolge trotz tiefer Zinsen noch die Ängste nach dem Crash von 1929 nach. In der nächsten 17-Jahres-Periode schufen tiefe Zinsen und steigende Unternehmensgewinne ideale Bedingungen für einen Börsenaufschwung. Das teilweise extrem hohe Zinsniveau zwischen 1964 und 1981 bei sinkenden Gewinnaussichten führte dem Autor zufolge zu einem Vertrauensverlust der Investoren trotz des hohen Wirtschaftswachstums; deshalb stiegen die Aktien kaum. Zwischen 1981 und 1998 schließlich führten die wieder sinkenden Zinsen und tendenziell steigende Unternehmensgewinne (wenn auch mit gravierenden Einbrüchen!) zur längsten Börsenhausse des Jahrhunderts.
Bei näherem Hinsehen zeigt sich, daß diese Erläuterungen des Autors viele Widersprüchlichkeiten zwischen den Daten und der Theorie des Autors verbal zukleistern. Die genannten Variablen sind keineswegs so eindeutig, wie der Autor es darstellt, und erklären keineswegs alles:
Gelten lassen wird man, daß ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Unternehmensgewinne und den Kursen der Unternehmensaktien besteht (obwohl auch dies von den gezeigten Daten nur bedingt bestätigt wird). Schon beim viel beschworenen inversen Zusammenhang zwischen Zinsen und Börsenkursen aber ergeben sich ernsthafte Fragen: Von der Theorie wird die Sache so erklärt, daß der Investor sich, wenn die Zinsen niedrig sind, bereitfindet, einen höheren Preis für einen zu erwartenden Einkommensstrom aus seinen Aktienanlagen zu zahlen. Im Prinzip sollte sich das also in steigenden Kursen niederschlagen. In Tat und Wahrheit ist dieser Zusammenhang aber keineswegs so eindeutig wie Dr. Voss suggeriert: Seit Jänner 2001 sinken etwa die Zinsen auf dramatische Weise, ohne daß das dazu geführt hätte, daß die Aktienkurse gestiegen wären. Im Gegenteil. Wir erlebten gleichzeitig einen Crash auf Raten. Tatsächlich hängen Zinsen und Aktienkurse nämlich mitunter sehr subtil über andere Faktoren zusammen, die im Modell, das uns der Autor vorführt, gar nicht berücksichtigt sind. Die seit Jänner 2001 sinkenden Zinsen waren - wie sich gezeigt hat - keineswegs ein Vorbote steigender Börsen, sondern die Reaktion auf den von vornherein irrational überbewerteten Aktienmarkt und eine bevorstehende Rezession. Folglich sanken die Kurse zusammen mit den Zinsen, statt zu steigen."An indicator which uses interest rates as its primary component of predicting future market values will be at best very volatile and at worst could be disastrous, especially in deflationary periods, which we may be heading into", sagt JOHN MAULDIN in seinem e-Letter vom 26. Juli 2002 sehr zutreffend.
Da in den nächsten Jahren die Zinsen eher steigen werden, sieht der Autor zunächst eine wenig rosige Zukunft für die Börsen voraus. Er relativiert diese Aussage allerdings gleich wieder, indem er nun NOCH WEITERE VARIABLEN EINFÜHRT, NÄMLICH DIE DERZEITIGE ÜBERBEWERTUNG DES AKTIEN-MARKTES (Stock market capitalization/GNP) BZW. DIE ABWEICHUNG DER BEWERTUNG (10-Jahres-Rendite) VOM SÄKULAREN
MITTELWERT. Damit begibt er sich endgültig auf Abwege: In Summe kommt er nämlich - hauptsächlich aufgrund dieser neu eingeführten Variablen - und trotz der als Einleitung zu seiner Prognose vorausgeschickten Warnung bezüglich höherer Zinsen, die uns bevorstehen, zum Ergebnis, daß der S&P-Index - in einem Zeitraum von 1 bis 3 Jahren - notwendigerweise bis auf ein Niveau von 925-974, der DJIA auf 7850-8250 und der DAX, dem sich der Autor am Ende kurz zuwendet, auf 3740-3910 absinken müßte, um wieder einigermaßen"normale" Verhältnisse herzustellen.
Dies gibt Anlaß zu KRITIK:
Per 29. Juli 2002 steht der S&P-Index bei 853 (und schwankte in letzter Zeit zwischen 780 und 900); der DJIA steht bei 8240 (bei einer Schwankung zwischen
7600 und 8500); der DAX schwankt zwischen 3600 und 3800. Das konnte Dr. Voss, als er im Februar seinen Aufsatz schrieb, zwar noch nicht wissen. Tatsächlich aber hätten damit derzeit alle 3 untersuchten Indizes ihre Anpassung vollzogen und es könnte nun wieder munter aufwärts gehen.
Aus einer Reihe von Gründen dürfte sich diese - von vielen Analysten vertretene - Meinung als Irrtum erweisen:
Richtig ist zunächst, daß der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Börsenwert bestenfalls dürftig ist und bisweilen überhaupt nicht besteht. Eine wachsende Wirtschaft und eine Börsenhausse treten in säkularen Bullmärkten zusammen auf. In säkularen Bear-Märkten dagegen schlägt sich eine wachsende Wirtschaft nicht in steigenden Aktienkursen nieder. Auch Angst und Gier wirken im Grunde nur kurzfristig. Der eigentliche Einflußfaktor, der in langfristiger Perspektive eine Aktie steigen läßt, ist deren innerer Wert (gemessen als deren P/E)! Denn der einzige rationale Grund, der einen seriösen Investor veranlaßt, eine Aktie zu kaufen, ist die Aussicht auf eine vernünftige Verzinsung des investierten Kapitals; - und diese mißt eben der P/E-Kennwert (bzw. dessen Reziprok).
Jede Wertermittlungsmethode aber, die von Aggregaten wie Marktkapitalisierung, GNP und/oder der 10-Jahresrendite des S&P ausgeht, vernachlässigt eben diesen Aspekt und ist daher von vornherein fragwürdig! Wenn sich Aktienkurse wirklich auf so summarische Art bestimmen ließen, weshalb sollte dann irgendwer nach dem Wert einer spezifischen Aktie fragen? Außerdem gehen Anpassungsprozesse nicht so vor sich, wie der Autor sich das vorstellt: Der Verhältniswert der Marktkapitalisierung zum Bruttonationalprodukt oder die 10-Jahres-Rendite des S&P-Index' sinken nicht einfach von ihren extremen Spitzenwerten, die fraglos übertrieben waren, auf ihr"normales" Mittelmaß. Worauf wir uns viel eher vorzubereiten haben, ist ein Schwingen des Pendels zum anderen Extrem. Das Verhältnis von Börsenkapitalisierung zum GNP des DJIA könnte damit nicht nur auf den"normalen" Wert von 0,7 oder 0,8 zurückfallen, sondern durchaus auf einen Wert von 0,3 oder sogar 0,2, was einem Stand des DJIA von 6250 oder sogar 5850 entsprechen würde. Und wieso sollte die 10-Jahresrendite sich eigentlich ausgerechnet bei 7,75% einpendeln? Viel wahrscheinlicher ist doch, daß diese Rendite zunächst auf 2% oder noch tiefer sinkt, so daß wir uns auf einen Stand des S&P-Index von unter 500 bis vielleicht 650 Zählern gefaßt machen müssen.
Es gibt außerdem eine ganze Reihe von ernsthaften Gründen, daß und warum sich die Gewinnsituation der Unternehmen in den nächsten Jahren kaum verbessern kann. Einer dieser Gründe ist die Methode, in der erhoffte Gewinne von Pensionsfonds bisher den Unternehmensgewinnen zugerechnet wurden. Allein die damit erforderlichen Anpassungen werden die P/E-Verhältnisse der im S&P 1500 enthaltenen Aktien (durch geringere Gewinne) von derzeit 25-46 auf 60-80 treiben. Dazu kommt, daß viele Unternehmen auch auf andere Weise in den letzten Jahren zu hohe Gewinne ausgewiesen haben. Allein der versteckte Einfluß, den die sog."Stock option Vereinbarungen" auf die Gewinne ausüben, soll (nach Mauldin 13. Juli '02) im Spitzenjahr 2000 in der Größenordnung von 10%-20% gelegen haben. Insgesamt ergibt sich somit eine viel größere Anpassungsnotwendigkeit in der Aktienbewertung nach unten, als Dr. Voss in seinem Aufsatz annimmt; falsche Gewinnausweise in der erwähnten Größenordnung erfordern ein Gewinnwachstum von mind. 20% oder sogar mehr, nur um das P/E-Verhältnis nicht noch weiter ansteigen zu lassen. Wobei außerdem zu sagen ist, daß Gewinn-Richtigstellungen in erheblicher Größenordnung am Markt erfahrungsgsgemäß immer bedeutende Kursabschläge zur Folge haben und daß auch neue gesetzliche Regelungen und Verantwortlichkeiten in den kommenden Jahren eine sehr viel konservativere Art von Gewinnausweisen nach sich ziehen werden. Das alles wird möglicherweise nicht als Schock über Nacht vor sich gehen, sondern über mehrere Jahre verteilt. Es wird aber dafür sorgen, daß in den nächsten Jahren sehr viel niedrigere Gewinne ausgewiesen werden als in der Vergangenheit und somit ein eher gedrücktes Börsenklima herrschen wird.
Langfristig ist ein P/E-Wert von wenig mehr als 6 gerechtfertigt (1,5% Dividendenrendite; 2,5% Inflationsabgeltung;??% reales Wachstum von Dividenden und Gewinnen). Ein Super-Guru wie Warren Buffett rechnet mit höchstens 6,5! Das bedeutet, daß man schon ein reales Wachstum von Dividenden und Gewinnen von rund 4% annehmen muß, um auf die von Dr. Voss angezielte 7,75%-ige Rendite zu kommen. Dem steht historisch ein entsprechendes"normales" Wachstum von 1%-2% gegenüber. Um auf 3% oder gar 4% Wachstum zu kommen, müssen Entrepreneurs neue Unternehmen gründen. Davon haben aber die Aktionäre von heute bestehenden Aktiengesellschaften nichts.
Fazit: So geistreich der Aufsatz von Dr. Norbert Voss auch ist, so sind doch ernsthafte Zweifel an der Stichhaltigkeit seiner Prognosen angebracht.
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Grüße
G.
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