-->ich habe mal die irrsinnigsten Obskuritäten/Irrwege dieser vollkommen verwirrten Politik markiert: man glaubt es nicht.
Sozialismus auf Rezept
Im Medizinbetrieb treibt die Planwirtschaft tolle Blüten. Der Effekt: Trotz steigender Kosten verdienen viele Ärzte weniger. Verstärkt buhlen sie um Privatpatienten - und um Sozialhilfeempfänger. Für die gelten die Zwänge des Budgets nicht.
Von ANTJE HÃ-NING
In mancher Arztpraxis sieht es aus wie beim Gemüsehändler: Im Wartezimmer von Hautärzten hängen Preistafeln, auf denen der Doktor den Kassenpatienten allerlei verschönernde Schnitte anpreist: Entfernen eines Grießkorns 20 Euro, Entfernen eines Besenreisers 38 Euro. Auch beim Gynäkologen darf es etwas mehr sein: Früher gab es bei der Vorsorge den Ultraschall gratis, heute sind 20 Euro fällig. Zahlbar gerne sofort bar über den Tresen. IGeL -"Individuelle Gesundheitsleistungen" heißt das Zauberwort. Mit IGeL versuchen sich immer mehr Ärzte, aus den Zwängen des Budgets zu befreien. Doch während bei IGeL der Patient zum mündigen Nachfrager wird und Marktgesetze Einzug halten, treibt die Planwirtschaft im normalen Medizinbetrieb Blüten.
Programmierte Verschwendung: Wenn Peter Kutzim, Chirurg in Düsseldorf, einen Patienten am Fuß operiert und dieser nur für ein paar Tage eine Krücke braucht, darf Kutzim die nicht einfach verleihen."Damit würde ich mich zum Hersteller machen und müsste für Materialfehler haften", sagt Kutzim. Also schreibt er jedem Patienten eine eigene Gehstütze auf, auch wenn dieser sie nach ein paar Tagen in die Ecke stellt. Macht 27,58 Euro sinnlose Ausgaben.
Fixierung aufs Quartal: Wie es sich für eine Planwirtschaft gehört, sind viele Vorschriften nicht stimmig. So schreibt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) etwa den niedergelassenen Anästhesisten vor, dass sie pro Quartal und Patient nur eine Narkose abrechnen dürfen."Bei Grauer-Star-Patienten ist das absurd", sagt Klaus Schlegel, Anästhesist eines Düsseldorfer OP-Zentrums. Denn für Augenärzte gibt es solche Beschränkung nicht. Sie ist auch nicht sinnvoll. Viele Patienten haben den Grauen Star auf beiden Augen, folglich litten sie sehr, müssten wochenlang mit unterschiedlich guten Augen leben."Also werden die Patienten rasch hintereinander operiert, und wir machen die Narkose umsonst", sagt Schlegel und bleibt auf 100 Euro Kosten pro Augen-OP sitzen.
"Schuss nach hinten"
Falsche Anreize: Um Schmerz-Spritzen einzudämmen, entlohnen die Kassen den Arzt erst ab der dritten Spritze. Für Nummer eins und zwei gibt es nichts."Der Schuss geht nach hinten los", fürchtet Chirurg Kutzim. Statt einer Spritze verschreibe mancher Arzt jetzt eben drei. Auf Änderungen im Entgeltschema haben Ärzte schon immer reagiert. Eine Zeitlang entlohnten die Kassen den Anästhesisten die"meist unnötige" (Schlegel) Lungenfunktionsprüfung vor einer Operation. Irgendwann flog die Prüfung aus der Gebührenordnung heraus, plötzlich prüften viele Ärzte nicht mehr.
Sparen am falschen Ende: Ärzte und Kassen rechnen nach einem komplizierten System ab. Für jede Leistung bekommt der Arzt Punkte. Je mehr die Ärzte insgesamt arbeiten, desto weniger Geld gibt es pro Punkt. Bekamen Anästhesisten 1996 für eine Narkose im Schnitt noch 220 Euro, sind es heute 160 Euro."Manche Kollegen versuchen, ihre Kosten zu drücken, indem sie auf eine Anästhesie-Schwester verzichten", sagt Schlegel."Damit bringt uns das Sparen in Bereiche, wo die Sicherheit der Patienten im Notfall gefährdet ist."
Innovationsfeindlich: Um die Kosten für Operationen zu senken, propagiert die Gesundheitspolitik ambulante Behandlungen. So kostet etwa die Operation eines Kreuzbandes in der Praxis keine 600 Euro, im Krankenhaus über 3400 Euro, wie Kutzim berichtet."Doch die Politik hat nichts getan, um das ambulante Operieren wirklich zu fördern", sagt er. Denn der Topf für niedergelassene Chirurgen wurde nicht verändert. Jede OP, die Kutzim in der Praxis macht, geht zu Lasten der Bezahlung anderer Leistungen."Damit mache ich mich bei den Kollegen unbeliebt."
Ärzte stecken im Dilemma."Bei den Ausgaben müssen wir uns wie Unternehmer verhalten, bei den Einnahmen dürfen wir es nicht", sagt Kutzim und nennt ein Beispiel: Für die Entfernung eines Schleimbeutels bekommt er 30 Euro. Das lohne sich für ihn nicht, weil Material- und Betriebskosten höher seien. Doch die unrentable Leistung einfach streichen, kann er nicht:"Was ich Privatpatienten anbiete, steht auch Kassenpatienten zu."
Hinzu kommt: Mehr Arbeit bringt nicht mehr Geld. Denn für jede Praxis in Nordrhein ist pro Quartal ein Budget festgelegt. Meist haben Ärzte ihr Budget vier Wochen vor Quartalsende erreicht - und behandeln die Kassenpatienten umsonst. Kein Wunder, dass sie wenig erfreut sind, wenn das Budget für Zipperlein draufgeht. Wie etwa für Patienten, die krank geschrieben werden wollen, obwohl sie es nicht sind. Kutzim schätzt, jeder fünfte"gelbe Schein" sei unnötig.
Kein Wunder, dass Ärzte nach anderen Einnahmequellen suchen. Manche setzen auf IGeL, andere auf Privatpatienten. Bei Kutzim machen sie über 20 Prozent der Patienten und deutlich mehr am Umsatz aus. Für Private hat Kutzim beliebte Termine (während der Mittagspause, nach der Arbeit) reserviert. Andere Praxen gehen weiter. Ein Orthopäde in Düsseldorf hat zwei Wartezimmer: die Kassenpatienten sitzen auf Plastikstühlen, die Privaten im Ledersofa.
<font size="5">Wieder andere setzen auf Sozialhilfeempfänger, die den Ärzten in Nordrhein jährlich 30 Millionen Euro bringen. Für Hilfe-Empfänger gelten die Zwänge des Budgets nicht. Während mancher Arzt den Kassenpatienten, sofern er kein Notfall ist, schon mal aufs nächste Quartal vertröstet, gehen für sie die Türen auf. Auch bei Medikamenten. Hier ist für die Praxen ein festes Ausgabevolumen festgeschrieben. Verordnen die Praxen mehr als 25 Prozent, müssen die Ärzte zur Strafe die zuviel verordneten Medikamente selbst zahlen, wenn sie nicht Praxisbesonderheiten geltend machen können.Dies soll die Ärzte zu wirtschaftlicher Verordnung anhalten - aber nur bei Kassenpatienten. Für Sozialhilfeempfänger gibt es keine Beschränkung, so die KV. Auch nicht auf der Negativliste, auf der die Arzneien stehen, die die Kassen für ihre Kunden nicht zahlen.</font>
Das Sparpaket der Politik verstärkt den Druck auf die Praxen, die KV erwartet, dass die Einnahmen um acht Prozent sinken. Doch eine Reform weg von der Planwirtschaft, hin zu mehr Wettbewerb bringt es nicht."Wir arbeiten wie Bäcker, die nur 1000 Brötchen im Monat bezahlt bekommen, egal wie gut ihre Brötchen sind und wie viele sie abgeben", sagt Kutzim. Keine gute Basis, damit der Wachstumssektor Gesundheit sein Potenzial entfalten kann.
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