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"Israel provoziert die Selbstmordanschläge"
14. Oktober 2002 Der New Yorker Politikwissenschaftler Norman G. Finkelstein - Autor der umstrittenen"Holocaust-Industrie" - hat auf der Frankfurter Buchmesse sein gerade auf Deutsch erschienenes Buch"Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern" vorgestellt. Besonders in seinem aktuellen Vorwort zeigt sich Finkelstein als pointierter Kritiker des Zionismus, den er für die Dauer-Krise im Nahen Osten verantwortlich macht. FAZ.NET sprach mit Finkelstein, dessen Eltern zu den Überlebenden von Auschwitz gehören, über die Haltung der Deutschen zum Holocaust, das deutsch-amerikanische Verhältnis und den Friedensprozess in Nahost.
Herr Finkelstein, Sie vertreten in ihrem neuen Buch „Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern“ die These, dass es das Ziel von Premierminister Sharon sei, die Palästinenser aus Israel zu vertreiben. Unter welchen Umständen könnte ein solches Szenario Realität werden?
Diese These stammt nicht von mir, sondern von dem führenden israelischen Militärhistoriker Martin van Crefeld. Er nennt vor allem zwei Szenarien, die dafür als Voraussetzung dienen könnten. Erstens: Ein Angriff der USA auf den Irak, der die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft in Beschlag nimmt. Ein anderer Vorwand wäre ein spektakulärer palästinensischer Anschlag.
Anschläge gibt es doch regelmäßig - auch spektakuläre.
Das ist nicht ganz richtig. Lassen sie uns einen Blick auf die Statistik, der vergangenen Monate werfen: Im Juli hatten die militanten Palästinensergruppen ein Abkommen ausgearbeitet, in dem ein Ende aller Selbstmordanschläge gegen israelische Zivilisten vereinbart war. 90 Minuten bevor eine entsprechende Erklärung veröffentlicht werden konnte, bombardierte Israel - in vollem Wissen um die bevorstehende Bekanntmachung - ein dicht bevölkertes Wohngebiet in Gaza. Elf palästinensische Kinder wurden dabei getötet. Dabei wurde klar, dass die israelische Regierung nichts mehr fürchtet, als ein Ende der Selbstmordanschläge. Dann wäre sie nämlich gezwungen, zu verhandeln. Israels Hauptziel besteht aber darin, noch mehr Selbstmordanschläge zu provozieren, um eine diplomatische Lösung zu verhindern und Vorwände für weitere Repressionen zu erhalten.
Was müsste passieren, damit sich Israel tatsächlich aus den besetzten Gebieten zurückzieht?
Es gibt vor allem drei Möglichkeiten. Erstens: Auf amerikanischen Druck hin, was nicht sehr wahrscheinlich ist. Zweitens: Erfolgreicher militärischer Widerstand der Palästinenser, was ebenfalls nicht sehr realistisch ist. Drittens: Druck der Staatengemeinschaft auf die USA und Israel, um zu einer gerechten Lösung zu kommen. Das bedeutet, dass Menschen in Deutschland, in Europa, in Amerika und überall auf der Welt entsprechenden Druck ausüben, so wie die Deutschen es bei der Bundestagswahl mit Kanzler Schröder getan haben. Schröder hat seine Anti-Kriegs-Agenda ja auch nur deshalb angenommen, weil er wusste, wie die Mehrheit der Menschen, der Wähler darüber denkt und nicht, weil er so ein radikaler Kriegsgegner ist. So kann man die Regierungen dazu zwingen, neue Standpunkte einzunehmen. Ich weiß, es ist nicht leicht und die Widerstände sind groß.
Was ist mit dem Nahost-Friedensprozess, der 1993 in Oslo begonnen hat?
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es zwei Friedensprozesse gibt: Den wirklichen Friedensprozess und den amerikanisch-israelischen Friedensprozess. Der wirkliche Friedensprozess begann kurz nach dem Juni-Krieg 1967, als die Uno ein Abkommen herbeiführte. Dieses verlangte einen vollständigen Rückzug der Israelis aus der Westbank und dem Gaza-Streifen. Im Gegenzug wurde die volle Anerkennung Israels durch die Araber verlangt, später auch eine Zwei-Staaten-Lösung, mit einerm eigenen Staat für die Palästinenser. Das ist der eigentliche Friedensprozess, den die gesamte internationale Gemeinschaft unterstützt hat. Der zweite „Friedensprozess“ ist der, über den Sie in den Zeitungen lesen: Er besagt schlicht, dass nur das Frieden bedeutet, was Israelis und Amerikaner den Palästinensern auferlegen. Die Zurückweisung dieser Forderungen wird mit Terrorismus gleich gesetzt. Ziel dieses Prozesses war die Errichtung eines palästinensischen Homelands nach dem Modell Südafrikas, wo eine Hand voll Menschen - namentlich die PLO - im Austausch gegen Macht und Privilegien als Adjutanten israelischer und amerikanischer Interessen fungieren sollen, um die Palästinenser zu kontrollieren.
Sie vergleichen Israel mit Südafrika?
Ja.
Ist Israel ein rassistischer Staat?
Dieser Vergleich stammt ja nicht nur von mir. Auch viele prominente Politiker in Israel, die ich im Vorwort zu meinem Buch nenne, ziehen diesen Vergleich und stellen fest, dass die Menschen in den besetzten Gebieten auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert werden und dass es eine auffällige Ähnlichkeit zum Apartheid-Regime in Südafrika gibt.
Sie haben selbst einige Zeit in den von Israel besetzten Gebieten verbracht. Wodurch ist das Leben dort geprägt?
Ich bezweifle stark, dass es große Unterschiede zu irgendeiner anderen militärischen Besatzung gibt. Mit einer Ausnahme: Ziel der meisten Besatzungsmächte ist nicht, die Zivilbevölkerung zu vertreiben. Im Konflikt zwischen Israel und Palästina besteht das Endziel aber genau darin, das Gebiet zu entvölkern und der jüdischen Bevölkerung mehr Raum zu geben.
Sie klagen Israel an, Nazi-Methoden in den besetzten Gebieten anzuwenden, ähnlich denen der SS im Warschauer Ghetto. Ist das nicht ein wenig übertrieben?
Der Vergleich stammt von einem hohen israelischen Offizier, der die Vorgabe gemacht hat, bei der Niederschlagung der Unruhen von Beispielen zu lernen. Dabei nannte er vor allem die Niederschlagung des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto durch die SS. Leider ist er es, der das gesagt hat und nicht ich.
Das Ziel der israelischen Streitkräfte ist aber im Unterschied dazu nicht die Auslöschung der Palästinenser.
Nicht die Auslöschung, sondern ihre Niederwerfung. Der Unterschied ist natürlich entscheidend. Es gibt aber auch entscheidende Ähnlichkeiten.
Können sie ausschließlich Israel für den Konflikt verantwortlich machen? Was ist mit dem Antisemitismus in der palästinensischen Gesellschaft und der arabischen Welt?
Das ist so, als würde man den amerikanischen Ureinwohnern vorwerfen, anti-europäisch zu sein. Wenn Sie fragen, ob die Palästinenser die Israelis hassen, lautet die Antwort vermutlich ja. Ich wäre ehrlich überrascht, ja sogar misstrauisch, wenn sie anders ausfiele.
Wie hat man Sie als amerikanischen Juden in den besetzten Gebieten aufgenommen?
Die ersten zwei Jahre, in denen ich dorthin ging - 1988/89 - wurde ich wie ein Adliger behandelt. 1990 besuchte ich die Gebiete wieder und verbrachte einige Zeit in einem Flüchtlingslager in Hebron sowie in einem palästinensischen Dorf nahe Bethlehem. Zu dieser Zeit jedenfalls kümmerte sich keiner darum, ob ich Jude oder Ire war.
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Das Gespräch führte Christian Kreutzer
http://www.faz-online.de/s/Rub9E7BD...5EDF0~ATpl~Ecommon~Scontent.html
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