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] Skandal um Indianerhäuptling in Kanada: Hasserfüllte antisemitische Äusserungen
Neue Zürcher Zeitung, Ressort Ausland, 20. Dezember 2002, Nr.296, Seite 3
Antisemitische Ausfälle eines der prominentesten Vertreter der indianischen Bevölkerung
Kanadas haben einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Nach einer zerknirschten
Selbstkritik des Häuptlings findet im ganzen Land eine Gewissenserforschung statt, die
weit über die Elite der Urbewohner hinausreicht.
cja. Ottawa, 18. Dezember
David Ahenakew, ein prominenter Vertreter der indianischen Elite Kanadas, hat mit
äusserst krassen antisemitischen Äusserungen einen Skandal ausgelöst, der von der
gesamten politischen Führungsschicht des Landes zum Anlass einer
Gewissenserforschung genommen wird. In einer Ansprache vor führenden Vertretern
der indianischen Bevölkerungsgruppe in der westlichen Provinz Saskatchewan hatte sich
Ahenakew zu gehässigen Ausfällen gegen den «Machthunger» der Juden hinreissen
lassen und erklärt, Hitler habe sicherstellen wollen, dass die Juden nicht Deutschland
oder Europa beherrschten. Wenn Hitler nicht sechs Millionen «gebraten» (fried) hätte,
würden Juden heute die Welt beherrschen.
Strafverfolgung wegen Hasspropaganda?
Diese Auslassungen könnten als krankhafte Phantasien abgetan werden, wenn der
68-jährige Ahenakew nicht einer der wichtigsten Indianerführer Kanadas wäre, der seit
Jahrzehnten die Aspirationen der Urbewohner formuliert und deren politische
Durchsetzung entscheidend beeinflusst hat. Er war von 1968 bis 1978 das Haupt der
einflussreichen Federation of Saskatchewan Indian Nations (FSIN) und leitete von 1982
bis 1985 als National Chief (Oberhäuptling) die Assembly of First Nations (AFN), die
Dachorganisation aller indianischen Häuptlinge. Vor 24 Jahren bereits war Ahenakew in
den Order of Canada aufgenommen worden. Man versteht, warum seine hasserfüllten
antisemitischen Worte einen Sturm der Entrüstung auslösten.
Dass es sich keineswegs um eine spontane Entgleisung handelte, erhellt sich aus der
Tatsache, dass Ahenakew zunächst versuchte, seine krankhaften Ansichten in einem
Presseinterview zu verteidigen. Damit kam er vom Regen in die Traufe und verursachte
eine Eskalation der allgemeinen Entrüstung. Erst nach vier Tagen konnten ihn seine
beschämten Kollegen zu einer theatralisch inszenierten Selbstkritik bewegen. Ahenakew
erschien - mit der Rosette des Order of Canada am Rock - vor Medienvertretern und
flehte mit stockender, tränenerstickter Stimme um Vergebung. Er entschuldigte sich bei
der jüdischen Mitbevölkerung und bei seiner eigenen Volksgruppe. Obwohl er dunkle
Anspielungen auf seinen Gesundheitszustand machte und sofort von allen Funktionen
zurücktrat, gab er zu, dass es keine wirkliche Entschuldigung gebe.
Trotz den zerknirschten Reuebekenntnissen Ahenakews wird die sofort eingeleitete
Untersuchung der Bundespolizei (Royal Canadian Mounted Police) hinsichtlich eines
möglichen Kriminalverfahrens wegen Hasspropaganda weitergeführt. Es steht ausser
Zweifel, dass der Indianerführer bei nächster Gelegenheit aus dem Order of Canada
ausgestossen wird. Ein diesbezüglicher Antrag wurde bereits gestellt. Jüdische
Organisationen und Persönlichkeiten nahmen die öffentliche Abbitte Ahenakews zur
Kenntnis, wiesen jedoch darauf hin, dass die Affäre damit noch nicht aus der Welt
geschafft sei. Wie jetzt aus Kreisen der indianischen Führungsschicht bekannt wird, war
der prominente Häuptling nicht nur als scharfzüngiger Kritiker der «Weissen» im
Allgemeinen und insbesondere der Juden bekannt, sondern erging sich oft auch in
Tiraden gegen Einwanderer aller Arten und Farben.
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