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Der schnöde Mammon ist ein großer Erzähler
Nach einem Jahr Euro ist es an der Zeit, Ästhetik und Rhetorik des Geldes zu würdigen
von Mariam Lau
Geld gilt als der große Verderber
Foto: dpa
Seit es Geld gibt, wird es verachtet. Von den dreißig Silberlingen des Neuen Testaments bis zum Hundertmarkschein in Andreas Dresens Film „Nachtgestalten“ oder den Dollars in den Botschaften Osama bin Ladens zieht es Verdacht auf sich: Es korrumpiere die menschliche Würde, zerstöre Beziehungen und entfache Kriege. Wer es etwas unterkühlter formuliert, wie es die Kulturkritik von Marx bis Simmel getan hat, wirft ihm zumindest vor, alle Unterschiede zu nivellieren, alle sinnliche Qualität in kalte Quantität zu zerschmelzen. Geld gilt als der große Verderber.
Man hat es hier mit einer Form des magischen Denkens zu tun, das dem Geld eine Macht zuschreibt, die es nicht hat. Die Allmachtsfantasien vom großen Mammon rechnen nicht mit der Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften, bei denen im Handel ein Maß gilt, das in der Politik, der Justiz oder der Liebe gar nichts, oder jedenfalls nichts Quantifizierbares bewirkt.
Die Beschäftigung mit dem Schicksal und der Ikonographie einzelner Münzen kann einen ganz leicht aus dem Bann dieses magischen Denkens befreien. In seiner Studie „Ästhetik und Rhetorik des Geldes“ geht der Jenaer Philosoph Gottfried Gabriel, der eine solche Befreiung offenbar hinter sich hat, der eigenen Melancholie angesichts des Verschwindens der Mark nach - mit dem Erfolg, in der Einführung des Euro frohen Mutes einen echten ästhetischen und politischen Fortschritt ausgemacht zu haben. Zwar möchte Gabriel den Untergang der DDR nicht ausschließlich ihren Aluminiummünzen zuschreiben. Aber dass die Sehnsucht nach der Mark eine entscheidende Triebkraft der Wiedervereinigung war, kann wohl nur bestreiten, wer noch nie ohne auskommen musste.
Dass diese Sehnsucht aber neben den verachteten materiellen auch hochakzeptable immaterielle Gründe geltend machen kann, weist Gabriel in einer kleinen Ikonographie-Geschichte des deutschen Geldes nach, speziell am Schicksal des Eichenlaubs, das sich auch auf dem Euro-Cent noch wiederfindet. Man ist spontan geneigt, Eichenlaub und Eiche für reaktionär zu halten, aber Gabriel kann zeigen, dass sie zum Inventar bürgerlicher Ehrungen gehörte.
Man kann sich leicht denken, wie sie in diesem Zusammenhang Eingang in die politische Ikonographie Deutschlands fand: Im Kampf gegen Napoleon wurde sie zum „Nationalbaum“ der Deutschen, zum Symbol von Freiheit und liberal verfasster Einigkeit. Der preußische König bediente sich der Eiche gern, so lange es noch gegen Napoleon ging; nach dem Sieg umkränzen Eichenblätter das Ruhmeszeichen auf der Quadriga am Brandenburger Tor, und die Siegesgöttin erhielt ein Eisernes Kreuz, das von einem Eichenkranz eingerahmt wird, der aber seinerseits von den Fängen des preußischen Adlers beherrscht ist - so weit wie in Frankreich wollte man eben einstweilen doch noch nicht gehen. Die Enttäuschung über diese Entwicklung bei den „Jungdeutschen“ sieht man auf den Bildern von Caspar David Friedrich mit ihren umgestürzten, verdorrenden Eichen und den jungen Männern, die durch ihre Äste auf den Mond starren. Schritt für Schritt wurde dann aus der Eiche als republikanischem Symbol das nationale und schließlich, unter den Nazis, das Völkische. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand die Bundesrepublik dann wieder den Weg zurück zur liberalen Tradition.
Gabriel sieht etliche Parallelen zwischen der Entwicklung der Mark in der von Preußen angeführten deutschen Währungsunion und der Einführung des Euro in Europa. Heute wie damals werden Vorder- und Rückseite der Münzen zur Betonung des Gemeinsamen einerseits und der lokalen Besonderheiten der Prägeländer anderseits vorbehalten. Während im Kaiserreich die Vorderseiten das Bildnis des jeweiligen Landesherrn trugen, oder eben die Stadtwappen Bremens, Hamburgs und Lübecks, so zeigten die Rückseiten das Reichswappen, den Adler. Beim Euro ist es umgekehrt: Die Vorderseite zeigt die Karte der Europäischen Union, darunter quer verlaufende Linien, an denen die Sterne der europäischen Flagge hängen. Auf den 1-Cent-Münzen sieht man die Stellung Europas in der Welt (auf der kleinsten Münze, bezeichnender Weise), auf den 20- und 50-Cent-Münzen die Union als Bund von Nationen und auf den 1- und 2-Euro-Münzen schließlich das große Desiderat: Europa ohne Grenzen. Auf den Rückseiten finden sich in Deutschland der Bundesadler, das Brandenburger Tor in seiner „Westdeutung“ als Symbol der Einheit und Freiheit Deutschlands, der Adler, allerdings von zwölf Sternen eingehegt, und schließlich dem vertrauten Eichenzweig: Einigkeit eben, aber in Recht und Freiheit. Die Vorstellung, Geld verwische alle Unterschiede, sei ein über der Geschichte thronendes „allgemeines Äquivalent“ verschwindet nach der Lektüre von Gabriels Buch wie ein Spuk aus voraufgeklärter Zeit.
Artikel erschienen am 31. Dez 2002
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