Hallo Boardgemeinde,
ich habe gerade an framas Forum einen Artikel als Antwort auf ein Statement von Ralf abgesetzt, der ganz gut zu dem Finanz-Kollaps-Artikel paßt. Ich poste deswegen meinen Beitrag nachstehend ungekürzt:
Köln, 08. Mai 2000 ( Heute vor 55 Jahren....)
Guten Morgen Ralf,
Gott sei Dank besteht die ganz überwiegende Zahl der Börsenteilnehmer aus Menschen Deiner Gemütsverfassung, Menschen, die ihrem Wesen nach Optimisten sind. Man kann das daran erkennen, daß (so habe ich mal gelesen) auf der Wall Street kein Haus von einem Pessimisten gebaut ist, sondern nur von Optimisten. Man kann das natürlich auch daran erkennen, daß die Börse schätzungsweise 4/5 einer Zeitspanne nach oben, nur 1/5 nach unten läuft.
Es ist jedoch nicht zu vermeiden, daß man an der Börse - wie im sonstigen Leben auch - Menschen mit unterschiedlicher Grundverfassung trifft. Es gibt nun mal Optimisten und Pessimisten. Ich würde mich als Pessimisten bezeichnen, mit der von dieser Spezies allerdings abweichenden Einstellung, ein äußerst aktiver Pessimist zu sein, während man sonst meistens hier auch die Lethargischen, Depressiven findet, wozu ich mich in keinem Falle rechne.
Und so verargst Du mir bei dieser Grundpositionierung sicher nicht, daß ich erhebliche Zweifel an Deiner Meinung habe, die Globalisierung sei nicht mehr aufzuhalten. Ich teile zwar Deine Meinung, daß die Menschheit nur dann eine Chance als Spezies haben wird, wenn sie sich global versteht und einordnet. Das ist aber etwas anderes als die Beurteilung der Frage, ob die Globalisierung ein realistisches Modell für die Menschheit ist oder ob sie nur eine vorübergehende Erscheinung ist, was ich glaube.
Daß die Globalisierung nur eine vorübergehende Erscheinung ist, ist mir spätestens bewußt geworden als ich (oberflächlich) von den Arbeiten des Tübinger Theologen Küng gelesen habe, der die Entwicklung eines Weltethos für unabdingbar hält, will die Menschheit überleben. Ich bin Küngs Meinung!
Dieses Weltethos werden wir in überschaubaren Jahrhunderten nicht bekommen, weil uns als Spezies dafür die Reife fehlt. Ich glaube, daß da noch ein paar Schritte der Evolution nötig sind, bis wir soweit sind (sofern es uns dann überhaupt noch auf dem Globus gibt). In diesem Punkt bin ich ganz Schüler von George Soros und Karl Popper. Soros hat in seinen letzten Büchern für mich schlüssig dargelegt, daß wir mit dem gegenwärtigen Laissez faire scheitern werden, daß wir globale Einrichtungen brauchen, die steuernd eingreifen, daß man Zweifel daran haben kann, ob so etwas funktioniert, daß man sich darüber aber keine Gedanken zu machen brauche, weil solche globalen Einrichtungen politisch gar nicht gewünscht sind. An der Rolle des IWF kann man ganz gut diese Diskussion festmachen. Zur Erinnerung füge ich noch einmal meinen Extrakt aus einem ZEIT-Aufsatz von Soros bei. Ich habe ihn, glaube ich, schon einmal hier gepostet.
Wenn man aber der Globalisierung im Ergebnis keine Chance gibt, dann werden wir noch eine ganze Reihe (zumindest) regionaler Katastrophen erleben, die den Globus als Ganzes erschüttern werden. Ich will das nicht vertiefen, dagegen steht mein aktiver Pessimismus, der sich lieber dagegen stemmt.
Noch ein Nachsatz, ohne die Parallelen zu 1929 wieder aufrollen zu wollen, weil sie geringer sind als wir glauben (und ich nicht glaube, daß wir weder mit Blick auf die Finanzmärkte noch mit Blick auf sonstwas vor einem 1929 stehen). Trotzdem war die Globalisierung Ende der 20er Jahre bereits ganz erheblich vorangekommen - die Weltwirtschaftskrise kann man verstehen als das Ergebnis massiver 'Antiglobalisierung', die mit dem Abstieg einsetzte: Rette sich wer kann, war die Devise! Protektionismus first. Völkerbund ade! Es muß schrecklich gewesen sein. Solche Schrecklichkeiten befürchte ich, wenn unsere aberwitzig steuerungslos golbalisierten Finanzmärkte ins Rutschen kommen. Ich halte es für naiv glauben zu wollen, daß da irgendwer bestimmen könne, ob und wann so etwas passiert oder nicht passiert. Ich halte das wegen der Größenordnungen schlicht nicht für machbar - und an Verschwörertheorien glaube ich ebenso wenig wie ich nicht bereit bin, die Segnungen der Aufklärung durch einen neue wie auch immer geartete mittelalterliche Mystik zu ersetzen.
Ich war gestern in der Bonner Museumsmeile in der Ausstellung Karl V, in der ich (Gott sei Dank) von einem Historiker (und nicht von einem Kunsthistoriker) geführt worden bin. Dieses 16.Jahrhundert Karl V. ist sehr ähnlich unserem Jahrhundert - es ist damals wirklich alles auf den Kopf gestellt worden. Ich zitiere ja stets den Übergang ins kopernikanische Zeitalter - und sehe in diesem Jahrhundert eine gleiche Wende unseres Weltbildes. Ich will mich näher mit diesem 16. Jahrhundert befassen. Vielleicht lernt man dann doch noch was, wie wir unsere Welt zusammenhalten, daß sie nicht ganz aus den Fugen gerät.
Ich wünsche Dir eine erfolgreiche Woche
JFO
Und nun der Soros:
Nachfolgende Zusammenfassung habe ich im Januar 1997 geschrieben auf der Grundlage eines Beitrages von George Soros in DIE ZEIT vom 17.01.1997 „Die kapitalistische Bedrohung":
Soros: Die uneingeschränkte Intensivierung des Laissez - faire - Kapitalismus und die Verbreitung der Werte des Marktes über alle Bereiche des Lebens hinweg gefährdet die Zukunft der offenen und demokratischen Gesellschaft.
Kommentar: Diese Aussage stellt Soros in den Kontext eines Zitates aus Hegels ‘Philosophie der Geschichte’: Der Zerfall und Sturz von Zivilisationen aufgrund einer morbiden Übersteigerung ihrer eigenen Hauptprinzipien ist ein beunruhigendes historisches Muster.
Soros: Niemand besitzt ein Monopol auf die Wahrheit, weil dem Menschen die absolute Wahrheit nicht zugänglich ist. Fehlbarkeit ist die zwangsläufige Folge.
Kommentar: Verschiedene Menschen haben verschiedene Wahrheiten. Jeder hat seine Wahrheit. Zu ihrem Ausgleich braucht man Institutionen, die es den Menschen gestatten, in Frieden zusammenzuleben. Diese Institutionen schützen die Rechte der Bürger und gewährleisten die Freiheit der Wahl und die Freiheit der Rede. Diese Form sozialer Organisation bezeichnet der große Philosoph Karl Popper als Offene Gesellschaft. Soros: Eine offene Gesellschaft ist nicht Abwesenheit von Regierungsintervention und -unterdrückung. Sie stellt eine komplizierte, hochentwickelte Struktur dar, und es bedarf bewußter Anstrengungen, um sie einzuführen oder zu bewahren.
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Soros: Da sich das westliche Bündnis nicht mehr in den Begriffen einer kommunistischen Bedrohung zu definieren vermag, scheint ihm jedes Zielbewußtsein verloren gegangen zu sein. Wenn das Konzept der offenen Gesellschaft uns als Ideal in die Zukunft tragen soll, dann muß es einen positiven Inhalt bekommen.
Soros: Seit Kommunismus und Sozialismus diskreditiert sind, ist die Doktrin vom Laissez - faire - Kapitalismus für die offene Gesellschaft gefährlicher als totalitäre Ideologien.
Kommentar: Wenn es heute eine vorherrschende Überzeugung gibt, dann ist es der Glaube an die Zauberkraft des Marktes. Die Doktrin des Laissez - faire - Kapitalismus verkündet, dem Gemeinwohl werde am besten durch die unbeschränkte Verfolgung der Eigeninteressen gedient. Wenn dies nicht durch die Anerkennung eines übergeordneten Interesses modifiziert wird, ist unsere offene Gesellschaft in Gefahr wegen des dem Laissez - faire eigenen übertriebenen Individualismus, der überzogenen Konkurrenz und der zu geringen Kooperation. Ich füge hinzu: Das übergeordnete Interesse ist das Soziale und das Ã-kologische!
Soros: Die Ideologie des Laissez - faire ist ebenso eine Perversion angeblich wissenschaftlicher Wahrheiten wie der Marxismus.
Kommentar: Die Ideologen des Laissez - faire argumentieren, Zusammenbrüche seien Folgen mangelhafter Regulierungen, nicht der Instabilität der Märkte. Das Argument ist nicht völlig falsch, denn wenn unser Verständnis fundamental mangelhaft ist, muß auch eine Regulierung mangelhaft sein. Das Argument klingt jedoch hohl, weil es nicht zu erklären vermag, warum regulierende Eingriffe überhaupt erforderlich wurden. Es umgeht diese Frage, indem es auf ein anderes Argument zurückgreift: Weil Regulierungen mangelhaft sind, sind unregulierte Märkte perfekt. Dieses Argument basiert jedoch auf der Voraussetzung vollständigen Wissens (der absoluten Wahrheit).
Soros: Die bei der Umverteilung auftretenden Probleme können durch die Ausschaltung der Umverteilung ebensowenig gelöst werden wie die Ersetzung der Konkurrenz durch eine zentral geplante Wirtschaft.
Kommentar: Der Laissez - faire - Kapitalismus verzichtet auf Umverteilung von Wohlstand und Einkommen wegen möglicher negativer Wirkungen auf den Markt. Die dadurch möglichen Ungerechtigkeiten sind jedoch unerträglicher und auch nicht durch das Recht des Stärkeren (Sozialdarwinismus) zu legitimieren. Der Sozialdarwinismus des Laissez - faire verzerrt zudem die systemnotwendige Konkurrenz und Kooperation.
Soros: An die Stelle des Glaubens an Prinzipien ist der Kult des Geldes und des Erfolges getreten. Die Gesellschaft hat ihren Anker verloren.
Kommentar: Was teuer ist, gilt als besser. Was früher ein Beruf war, ist zum Geschäft geworden. Wenn Politiker Prinzipien vertreten, die ihre Wahl verhindern, gelten sie als unfähige Amateure. Was früher ein Medium des Austausches war (Geld!), hat den Platz der grundlegenden Werte eingenommen
Soros: Gegenwärtig bedarf es keiner großen Phantasie, um zu erkennen, daß sich die offene Gesellschaft im Weltmaßstab (Globalisierung), wie sie derzeit vorherrscht, wahrscheinlich als eine vorübergehende Erscheinung erweisen wird.
Begründung: Es fehlen die zur Bewahrung der offenen (Welt-)Gesellschaft erforderlichen Institutionen und Mechanismen, und es fehlt auch der politische Wille, sie entstehen zu lassen. Die weltweiten Bemühungen, Regierungsintervention zu verhindern, neue, dem globalen Agieren der Finanzmärkte entsprechende Strukturen unmöglich zu machen, stimmt pessimistisch und erklärt Soros’ Annahme, daß ein Zusammenbruch des globalen Finanzsystems nicht auszuschließen ist - trotz aller Robustheit, die auch ich den Märkten attestiere
Soros: Die Zeit ist reif, um einen begrifflichen Rahmen zu entwickeln, der auf unserer Fehlbarkeit aufbaut. Wo die Vernunft gescheitert ist, könnte die Fehlbarkeit noch Erfolg haben.
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