--><h1>"Die müssen irre sein"</h1>
Wieder wurden zwei deutsche Touristen entführt - diesmal beim Radfahren in Südiran. Ihr Leichtsinn empört Politiker aller Fraktionen und verstärkt den Ruf nach finanziellen Konsequenzen.
<h3>Gekidnappte deutsche Touristen:"Das ist doch absurd, da hinzufahren" </h3>
Im Südosten Irans, in der für Drogenbanden berüchtigten Provinz Sistan-Belutschistan, sind die beiden deutschen Radtouristen Oliver Brück und David Sturm aus Bremen auf ihrem Weg nach Nepal gekidnappt worden. Es ist schon die sechste Entführung in diesem Jahr; zum dritten Mal trifft es Touristen, die in eine gefährliche Weltgegend gereist sind. Dabei hatte das Auswärtige Amt ausdrücklich auf Gefahren in diesen Regionen hingewiesen. Und schon der gesunde Menschenverstand hätte den Ferntourern sagen müssen, dass man zum Beispiel auf Hauptstraßen des internationalen Drogenhandels nicht herumradelt.
Helfen muss die Bundesregierung trotzdem, dazu verpflichtet sie auch das Konsulargesetz. In Berlin aber wächst die Wut auf Dritte-Welt-Abenteurer, die sich ihren Kick auf hochriskanten Touren holen - falls es schief geht, auf Kosten der Steuerzahler."Die müssen irre sein", erregt sich die grüne Bundestagsabgeordnete Undine Kurth,"das ist doch absurd, da hinzufahren", die SPD-Politikerin Brunhilde Irber.
Wie ihre beiden Kolleginnen aus dem Tourismusausschuss will deshalb jetzt auch die CDU-Frau Maria Michalk ein brisantes Thema erneut auf die politische Tagesordnung setzen: Sie verlangt einen höheren Eigenanteil der Entführten an den Rettungskosten. Die FDP ist dabei:"Ich bin dezidiert dafür, sich von diesen Leuten hinterher wiederzuholen, was zu holen ist", sagt der Tourismusexperte der Bundestagsfraktion, Ernst Burgbacher.
Ob so ein Vorstoß gelingen würde, ohne das Konsulargesetz zu ändern, gilt als umstritten. Dort heißt es zwar, dass ein im Ausland unterstützter Deutscher"zum Ersatz der Auslagen verpflichtet" ist. Doch vieles ist Ermessenssache und Großzügigkeit üblich - wer hatte schon, als das Gesetz gemacht wurde, an Hasardeure gedacht, die den Nervenkitzel suchen oder sich blind in die Gefahr stürzen?
Bezahlen muss ein Entführungsopfer deshalb nur für das, was ihm ganz persönlich zugerechnet werden kann - meistens also nicht viel mehr als das Rückflugticket. Die Mannstunden im Krisenstab, die Reisen des Außenministers, die Hotelrechnungen der GSG 9, das übernimmt dagegen alles der Staat.
Als im August neun Deutsche nach sechs Monaten in der Hand algerischer Islamisten freikamen, hatten sie nur 2301 Euro für die glückliche Heimkehr zu bezahlen; etwas mehr, als ein Linienflug von Bamako in Mali nach Hause gekostet hätte. Sechs Wüstenfahrer, die schon im Mai aus Algier zurückgekehrt waren, kamen mit jeweils 1092 Euro davon. Dabei hatte die Bundesregierung allein rund fünf Millionen Euro Lösegeld berappt; die Gesamtkosten der Rettung schätzen Experten auf 20 Millionen Euro, Aufklärungsflüge der Bundeswehr über der Sahara inklusive.
Immerhin gab es in Algerien vor dem Islamistencoup lange keine Entführungen mehr - und für das Land keine ausdrückliche Reisewarnung, die höchste Warnstufe des Auswärtigen Amts. Gerade mal acht Länder fallen in diese Kategorie, unter anderem Irak und Afghanistan. Dass es nicht mehr sind, hat mitunter auch politische Gründe, sonst stünde auch Israel auf der Liste.
Dafür sind aber die so genannten Sicherheitshinweise, die das Amt für einzelne Länder herausgibt, so zahlreich wie deutlich - für den Süden Algeriens hieß es schon vor der Geiselnahme:"Die Grenzräume in der Sahara sind für Sicherheitsorgane schwer kontrollierbar. Hier bilden Banden-, Schleuser- und Schmuggelkriminalität ein erhöhtes Sicherheitsrisiko."
Auch dass in Kolumbien ein Dschungelspaziergang durch das Stammland der ELN-Guerilleros einer Einladung zur Geiselnahme gleichkommt, hätte die Deutsche Reinhilt Weigel wissen müssen:"Kolumbien ist weltweit das Land mit den meisten Entführungen", meldete das Auswärtige Amt, und: Von Überlandreisen rate das Auswärtige Amt"dringend ab". Schon im Jahr 2001 und 2002 hatten Kidnapper acht Deutsche verschleppt, darunter einen Entwicklungshelfer und einen Mitarbeiter des Schreibwarenherstellers"Pelikan".
Weigel hat das nicht abgeschreckt: Mit sieben Rucksacktouristen wanderte die 31-Jährige aus dem niedersächsischen Ganderkesee durch den Urwald zur Ruinenstadt Ciudad Perdida; bevor sie dort ankam, pflückten ELN-Terroristen die Gruppe am 12. September vom Weg. Erst nach zehn Wochen ließen sie die Deutsche frei; Kolumbiens Vizepräsident Francisco Santos Calderón wunderte sich über den Leichtsinn im Busch:"Man sollte niemals solche Risiken eingehen, wie es die Gekidnappten getan haben."
Dazu gehört wohl auch das Radeln unter Räubern. Bereits vor Monaten brachen die Bremer Oliver Brück und David Sturm zu ihrem Fahrradmarathon nach Nepal auf, ein Lebenstraum, den sich die beiden Fitness-Fans unbedingt erfüllen wollten. Das Auswärtige Amt warnte da allerdings schon lange vor"Sicherheitsrisiken für Individual- oder Trekkingreisen" im Südosten Irans, wo Drogenbanden ganze Provinzen beherrschen."Unverantwortlich" nennt der iranische Außenminister Kamal Charrasi Fahrradtrips in diesem Landeszipfel.
Ein anonymer Anrufer, der sich als Schiruk meldete, fordert nun fünf Millionen Euro für die beiden Deutschen und einen Iren, die zwischen den Städten Bam und Sahedan vom Rad geholt wurden. In dem Gebiet verstecken sich auch Taliban und Qaida-Kämpfer; möglicherweise, so ein Gedankenspiel im Berliner Krisenstab, haben sie die Touristen nach Afghanistan oder Pakistan verschleppt. Vermutlich geht es den Entführern aber gar nicht um Politik, sondern nur um Ersatz für Verluste in ihrem Kerngeschäft: Die iranische Polizei, die im Drogenkrieg in der Grenzregion selbst schon 3000 Mann verloren haben soll, hatte angeblich in acht Monaten 40 Tonnen Rauschgift beschlagnahmt.
Bis zu 1000 Tourenfahrer, schätzt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), gehen jedes Jahr auf extreme Langstrecken - durch Amerika, nach China, nach Südafrika. Und:"Es werden immer mehr", sagt ADFC-Sprecherin Bettina Cibulski. Iran sei allerdings doch eher etwas für Menschen, die in ihrem Leben in Europa den rechten Thrill vermissten."Ich würde da nicht hinfahren."
Weil solche Extremreisen akribisch vorbereitet werden, dürften auch Brück und Sturm die einschlägigen Warnungen im Internet gelesen haben. Toralf Benz, 32, Meteorologe aus Neuruppin, war denselben Straßenabschnitt schon 1999 gefahren. Als er damals einen Berg hinunterraste, auf einen Wachposten zu, riss ein Polizist nervös sein Gewehr hoch und ging in Anschlag, schrieb Benz in seinem Reisebericht. Mehr noch:"Nachts schoss die Armee auf alles, was sich bewegte", erinnert er sich immer noch.
Mancher bringt sich schon in Lebensgefahr, weil es unter den Hardcore-Pedaleuren den eigenartigen Ehrenkodex gibt, keinen einzigen Streckenkilometer mit dem Auto oder Zug zu fahren.
Den Physiotherapeuten Frank Bienewald aus dem sächsischen Heidenau stoppte im Jahr 2000 die Polizei in Bam. In einer Viertelstunde, so die Order, stehe ein Auto als Eskorte für die Strecke bereit."Wir sind dann abgehauen" - aus Angst, die Polizisten könnten unterwegs die Geduld verlieren und Räder samt Fahrer auf die Ladefläche packen. Wie hätte man das zu Hause, in den geplanten Diashows, den anderen Rad-Freaks erklären sollen? "Jeder, der die Strecke damals fuhr, wusste, dass sie gefährlich ist", sagt Bienewald, 44,"wir sind deshalb schnell gefahren, um wegzukommen."
Den Bikern treibt so etwas offenbar das Adrenalin hoch, deutschen Politikern die Galle, denn wenn einer nicht mehr schnell genug wegkommt, muss der Staat die Draufgänger vorm Draufgehen retten."Das ist eine Vollkasko-Mentalität, die sich die Gesellschaft nicht länger leisten sollte", wettert die Grüne Kurth,"eine Zumutung für den Steuerzahler", die SPD-Frau Irber."Wer den Kick will, muss auch bereit sein, fürs Risiko zu zahlen", sagt die CDU-Abgeordnete Michalk.
Sie kann sich eine Bürgschaft vorstellen, abzugeben vor Reiseantritt, auch eine Versicherung; allerdings nicht im deutschen Alleingang, sondern als europäische Lösung. Dahinter steht die Sorge, die sich auch mit den Lösegeldzahlungen in Algerien und vor drei Jahren beim Geiseldrama auf den Philippinen verbindet: dass Deutsche zu besonders beliebten Opfern im Entführungsbusiness werden könnten.
Auch in der Bundesregierung hat der Gedanke, eine Selbsthaftung einzuführen, viele Fans. Selbst wenn es schwierig werde, das Geld einzutreiben, so das Kalkül, würde es einige wenigstens zum Nachdenken bringen. Vielleicht sogar zur Vernunft.
Das Schweizer Außenministerium hat das zumindest in einem Fall vorexerziert. Zwei Schweizer, die 1995 in Sarajewo auf eigene Faust zum Flughafen fuhren und von Serben-Soldaten verschleppt wurden, mussten später je 5670 Schweizer Franken zahlen - das Lösegeld. In einer Broschüre des Ministeriums ("Wenn einer eine Reise tut...") heißt es, man bitte um Verständnis,"dass Hilfeleistungen meist nicht unentgeltlich erfolgen können".
Im deutschen Krisenreaktionszentrum, im Berliner Tresor, hat man dafür ebenfalls viel Verständnis. Und mit jedem Fall mehr.
JÃœRGEN DAHLKAMP, GEORG MASCOLO
DER SPIEGEL
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*kopfschüttelnd*
J
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