-->Keese mag ein Ekel sein,aber er hat recht: zu viele warten nur darauf unser"dumm gewordenes Steuergeld" beim Staat abzuzocken.
GASTKOMMENTAR
Toll Collect und die Cover-your-ass-Strategie
Von Christoph Keese
Verkehrsminister Manfred Stolpe eignet sich gut als Prügelknabe für das Maut-Desaster. Das eigentliche Problem liegt jedoch in dem Unverhältnis zwischen überforderten Beamten und hochbezahlten Konzernjuristen.
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Verkehrsminister Stolpe: Optimaler Sündenbock
Mit Dackelblick, Sorgenfalten und ungeschickten Äußerungen gibt Verkehrsminister Manfred Stolpe den optimalen Sündenbock für das Maut-Debakel ab. Dass ein ostdeutscher Jurist und Kirchenmann mit fragwürdiger Vergangenheit, der schon das Land Brandenburg mehr schlecht als recht verwaltet hatte, ungeeignet ist, ein ehrgeiziges Hochtechnologie-Projekt mit mehreren Weltkonzernen zu verhandeln, leuchtet jedem Beobachter sofort ein.
Die politische Karriere Manfred Stolpes dürfte nach dem Scheitern der Verhandlungen mit dem Toll-Collect-Konsortium beendet sein. Der Kanzler hat ihn wohl nur deshalb noch nicht aus dem Kabinett entfernt, weil es schwer sein wird, einen geeigneten Ostdeutschen für Stolpes Nachfolge zu finden, und schon allein deswegen eine größere Kabinettsumbildung notwendig wird. Zudem ist fraglich, ob ein Nachfolger tatsächlich mehr Erfolg haben kann als Stolpe. Die Probleme beim Maut-System liegen so tief, dass ein Einzelner sie kaum lösen kann. An diesem Fall zeigen sich Strukturkrisen in Staat, Konzernen und Konsortien, die nicht über Nacht beseitigt werden können.
Beim Staat fangen die Schwierigkeiten an. Er besitzt die größte Kasse der Volkswirtschaft und verwaltet den größten Investitionsetat. Wegen des veralteten Haushaltsrechts kann er aber keine Experten einstellen, die man zur Steuerung solcher Budgets braucht. Projektleiter in der Wirtschaft verdienen mehr als der Bundeskanzler, und die zweite Ebene unter dem Vorstand der Großkonzerne bekommt immer noch mehr Geld, als Gerhard Schröder in seiner Doppelfunktion als Regierungschef und Parteivorsitzender bekommen hat.
Staat mit Dauer-Handicap
Wenn der Staat ein Projekt ausschreibt, verdienen die Repräsentanten der Auftragnehmer fünf- oder zehnmal so viel wie jene der Auftraggeber. Bei allem Engagement, das motivierte Beamte im Einzelfall sicher entfalten, entscheiden sich die besten Absolventen der Hochschulen meist für eine Karriere in der Wirtschaft. Top-Profis stehen unterbezahlten Staatsdienern gegenüber. Im Fall Toll Collect hat der Staat zwar Millionen für Berater ausgegeben, um diese Kompetenzlücke zu schließen, doch es zeigte sich, dass Berater ohne operative Verantwortung eben nicht so effizient arbeiten wie angestellte Führungskräfte. Für seinen eigenen Arbeitgeber handelt man sorgfältiger, weil man weiß, dass die Karriere beendet ist, wenn man einen so löchrigen Vertrag wie den des Maut-Projekts verhandelt. Die Berater, die den Staat vertreten haben, müssen dagegen keine persönlichen Einbußen hinnehmen. Sie betreuen längst ein anderes Projekt und verdienen weiter gutes Geld.
In der ökologischen Nische"Staat mit viel Geld und schlechter Verhandlungsführung" richten viele Unternehmen sich prächtig ein. Sie profitieren vom"dummen Geld" der öffentlichen Hand und entwickeln ein Verhaltensmuster, das dieser Nische perfekt angepasst ist. Dabei kommt es nicht auf den Erfolg der Projekte an, sondern auf wasserdichte Verträge. Der Grenznutzen einer Investition in weitere Anwälte ist höher als die Einstellung neuer Ingenieure. Ins Extrem wird die Strategie getrieben, wenn nicht ein einzelnes Unternehmen, sondern ein Konsortium den öffentlichen Auftrag übernimmt. Dann geht es in der Hauptsache darum, Haftungsrisiken zu vermeiden, Verantwortung abzuwälzen und jede Klagemöglichkeiten auszuschließen.
Manager, die solchen Konsortien angehören, berichten vom Ekel, den sie beim Total-Fokussieren auf die Sicherung des eigenen Standpunkts empfinden. Sie bezeichnen das rüde als"Cover-your-ass-Strategie". Genau das ist bei Toll Collect passiert. Es wäre ein Wunder, wenn der Bund größere Ersatz-Ansprüche gegen das Konsortium durchsetzen könnte. Technisch hat die Gruppe zwar versagt, juristisch aber war sie Spitze. Manfred Stolpes traurige Erscheinung lässt zu schnell vergessen, dass auch ganz andere Kaliber an diesem Konsortium gescheitert wären.
Technisch schwach, juristisch stark
Am Anfang sah das Maut-System wie eine leichte Beute aus. Ein fetter Brocken, den der Bund demjenigen gab, der am meisten versprach. So entstand ein absurder Pakt: Der Bund brauchte schnell Geld aus dem Maut-System und war deswegen bewusst leichtgläubig; die Konzerne stimmten dem überehrgeizigen Zeitplan zu und minimierten zugleich ihr Haftungsrisiko, was dem Bund durchging, weil er nicht die bestmöglichen Verhandlungsführer besitzt.
Weiter verschärft wurde der Konflikt durch die anderen Probleme der Konsortialteilnehmer Telekom und DaimlerChrysler. Dort gibt es so viele Baustellen, dass der Vorstand dem Maut-Projekt nur wenig Aufmerksamkeit schenken konnte. Das Bild des Konzerns in der deutschen Ã-ffentlichkeit musste Daimler-Chef Jürgen Schrempp weniger dringend vorkommen als die Krisen bei Chrysler und Mitsubishi. Kai-Uwe Ricke bei der Telekom muss mit Sorge auf den amerikanischen Mobilfunk-Markt schauen, wo zwei wichtige Konkurrenten fusionieren. Das Maut-Problem rückt da automatisch auf der Prioritätenliste nach unten.
Besonders in diesem Punkt dachte Minister Stolpe naiv: Er hoffte, die Sorge ums Image würde das Konsortium zu Sonderanstrengungen bewegen. Bei Weltfirmen erlangt ein Projekt in einem einzelnen Land aber selten eine derart überragende Bedeutung.
Was folgt aus dem Debakel? Die öffentliche Hand braucht erfahrene Manager. Keine Berater, sondern angestellte Profis, die eine halbe oder eine ganze Million Euro im Jahr verdienen können. Für den Steuerzahler kommt das am Ende billiger als Dilettantismus.
Christoph Keese ist Chefredakteur der FTD
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