--> <font=size4>Die Ruhe vor dem Sturm
Gute Ideen, zusätzliche Kräfte, intensive Vorbereitung und Verbote: die Arbeitsagentur Bautzen drei Wochen nach dem Hartz-IV-Gesetz <font/>
Von Jörg Marschner
Mitarbeiter, die leicht schwäbeln oder bayerisch sprechen, haben derzeit schlechte Karten. Denen kann es passieren, von Arbeitslosen plötzlich verbal massiv angegangen zu werden. In ein paar Fällen ist das im Amtsbezirk der Bautzener Agentur für Arbeit schon vorgekommen. Einige wenige Oberlausitzer Jobsuchende glaubten, auf diese Weise ihren Frust abreagieren zu müssen. Der ist in jüngster Zeit stark gewachsen angesichts der Tatsache, dass einige hundert Westbeamte im Osten bei der Einführung des so genannten Arbeitslosengeldes II helfen und dafür 5 000 Euro Antrittsgeld erhalten. Pikant dabei: Der Unmut der Arbeitslosen traf Unbeteiligte, die schon viele Jahre in ostsächsischen Arbeitsämtern tätig sind. Denn die Helfer-Beamten selbst befinden sich noch nicht im Dienst, sie werden erst mal geschult. Im Agenturbezirk Bautzen sind das ohnehin nur sieben Frauen und Männer.
Wer Agentur-Mitarbeiter zum Thema „Westbeamte“ anspricht, blitzt erst mal ab. Um nicht noch Ã-l ins Feuer zu gießen, wurde „von oben“ absolutes Redeverbot verhängt, wie Pressesprecherin Gritt Borrmann-Arndt freimütig zugibt. Man will keine Konfrontation zur Nürnberger Zentrale, die ihre Entscheidung bis heute verteidigt.
50 000 je Tag: Mehr gibt die Kapazität nicht her
Aber natürlich haben die Mitarbeiter eine Meinung, und die sagen sie auch, wenn man ihnen verspricht, ihren Namen nicht zu nennen. „Wissen Sie“, sagt in der zweiten Etage eine Arbeitsberaterin, „ich könnte Ihnen, ohne in die Kartei zu schauen, mindestens fünf geeignete Leute nennen, alle qualifiziert dafür, alle hochmotiviert.“ Eine jüngere Mitarbeiterin verweist auf einen ökonomischen Aspekt: „Die Region braucht jeden Cent. Aber wo zahlen die Beamten Steuern? Nicht hier, sondern dort, wo sie zu Hause sind.“ Und eine Dritte spottet nur lakonisch: „Für 5 000 Euro Startgeld, volles Gehalt, freies Logis plus 500 Euro Verpflegungsgeld und vier Heimfahrten im Monat würde ich sofort in den Westen gehen.“ Interessant wäre natürlich, nun einen dieser sieben Helfer zu sprechen. Doch es gilt Interview-Verbot.
Zwischen Hoyerswerda und Zittau, Radeberg und Görlitz warten derzeit über 45 000 Langzeitarbeitslose auf die Anträge für das Alg II, wie das neue Arbeitslosengeld im Kurzjargon heißt. Eingetütet werden die knapp 20 Seiten in der Nürnberger Bundesagentur. Schätzungsweise 50 000 Postsachen werden dort täglich von Montag bis Freitag auf den Weg gebracht. „Mehr gibt die Kapazität nicht her“, sagt Pressereferentin Ilona Mirtschin. Die Aktion wird sich also bis Mitte September hinziehen. Damit die Papierflut einigermaßen gleichmäßig übers Land schwappt, hat sich Nürnberg einen speziellen Schlüssel ausgedacht, der aus einer Kombination der letzten Ziffer der Arbeitslosennummer mit dem Postleitzahlenbereich besteht.
Im Bautzener Amt selbst herrscht derweil äußerlich noch Ruhe. Alles scheint in seinen gewohnten Bahnen zu laufen. Aber innerlich knistert die Spannung. Die Behörde steht wie alle einstigen Arbeitsämter vor ihrer größten Herausforderung. Fast alle müssen hinzulernen, Schulungen besuchen. Alte Strukturen werden eingerissen, neue geschaffen. Knackpunkt Nummer eins: die Arbeitsvermittlung. Gegenwärtig betreut ein Arbeitsvermittler 600 und mehr Langzeitarbeitslose - falls sich da überhaupt noch von Betreuung reden lässt. Künftig soll das Verhältnis bei maximal 1 zu 150 liegen, für Jugendliche sogar bei nur 1 zu 75. Also werden künftig viel mehr Arbeitsvermittler gebraucht. Und zwar nicht als Neueinstellung, sondern durch Umsetzung aus den eigenen Reihen. Eine Riesenaufgabe.
Fallmanager: Schulung zum Alleskönner
29 Mitarbeiter werden zu den ersten Fallmanagern im Amtsbezirk Bautzen qualifiziert. Die sollen Spezialisten für schwere Fälle vor allem auch bei Jugendlichen sein. Alleskönner, die sich im Arbeitsrecht ebenso auskennen wie in der Sucht- und Schuldnerberatung, die Starthilfe geben und auch mal mitgehen zum Vorstellungsgespräch. Also weg vom Abarbeiten von Nummern hin zu intensiver persönlicher Betreuung.
Andere entscheidende Fragen sind noch ungeklärt. So enthält das Hartz-IV-Gesetz die Möglichkeit, dass künftig anstelle der Arbeitsagenturen bundesweit 69 Kommunen die Komplettbetreuung der Langzeitarbeitslosen wie auch der Sozialhilfeempfänger übernehmen können. In Ostsachsen zeigen für dieses Modellprojekt die Landkreise Kamenz und Bautzen Interesse. Die Entscheidung aber fällt erst Mitte September. Erst dann können die Arbeitsagenturen endgültig über ihre künftige Struktur bestimmen. Der Zeitdruck wird also immer größer.
Knackpunkt Nummer zwei: die Hilfe beim Ausfüllen der Anträge auf Alg II. „Das steht für uns jetzt ganz vorn“, sagt Günter Irmscher, der Chef der Bautzener Regionaldirektion. Gutes Hauptprinzip: Kurze Wege und kurze Wartezeiten. Wer Hilfe braucht beim Ausfüllen, muss nicht unbedingt nach Bautzen.
Für alle Fälle ein Sicherheitskonzept
Am 23. August öffnen in vielen größeren Orten lokale Informationsbüros, neun allein im Landkreis Bautzen. Speziell dafür werden rund hundert ABM-Kräfte eingestellt. „Kommunikationsstark, frustationsresistent“ müssen sie sein und „Erfahrungen im Verwaltungshandeln“ besitzen - hohe Anforderungen. Der Ansturm bei den ABM-Trägern war dennoch enorm. Vielfach kamen auf eine Stelle zehn Bewerber. Übernächste Woche findet das Vorstellungsgespräch bei der Arbeitsagentur und damit die Endauswahl statt. Unmittelbar danach erfolgt die einwöchige Kompaktschulung in Sachen Hartz IV, dann beginnt die Hilfe beim Ausfüllen der Anträge. Wer sich lieber direkt bei den Agenturen beraten lassen will, kann demnächst über lokale Hotlines Termine ausmachen.
Ab Montag nimmt Bautzen Anträge auf Alg II entgegen. Aber eigentlich tut Eile nicht Not. Denn erst im Oktober wird in den Arbeitsagenturen jene Software vorliegen, mit der die Anträge bearbeitet werden. Erst dann wird die wirklich heiße Phase beginnen. „Wenn die Leute ihre Bescheide bekommen, wird es richtig losgehen“, sagt Gritt Borrmann-Arndt, eine gebürtige Bautzenerin. Der DGB rechnet damit, dass in Sachsen etwa jeder Dritte der jetzigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe nächstes Jahr kein Alg II bekommen wird, weil entweder die Lebenspartner zu viel verdienen oder Vermögenswerte angerechnet werden. Die Arbeitsagenturen wiederum sind sich bewusst, dass sie die Exekutive sind für das, was die Politik beschlossen hat. Die Furcht, das wachsender Frust bei ihnen abgeladen wird, ist schon heute da. Noch stehen in Bautzen, Hoyerswerda oder Zittau vor den Arbeitsagenturen keine angemieteten Wachleute, wie das beispielsweise in Halle bereits der Fall ist. Aber an einem Sicherheitskonzept wird gearbeitet.
<ul> ~ Ende Oktober soll es vorliegen. Interview-Verbot auch hier.</ul>
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