-->„Ich würde auch jäten“
Überraschend viele künftige Arbeitslosengeld-II-Bezieher lassen Bereitschaft für einen zusätzlichen Ein-Euro-Job erkennen: Gespräche vor der Bautzener Caritas
Von Jörg Marschner
Hartmuth kommt soeben aus dem Bautzener Caritas-Büro auf dem Kirchplatz 2. Hier arbeitet eine der zahlreichen dezentralen Informationsstellen, die die Arbeitsagentur Bautzen zusammen mit sozialen Trägern eingerichtet hat. Rund hundert ABM-Kräfte wurden dafür zusätzlich eingestellt und qualifiziert. Wer nicht klarkommt beim Ausfüllen der 16-seitigen Anträge für das Arbeitslosengeld II, dem wird hier geholfen. Hartmuth beispielsweise wusste nicht, „wie ich das mit den Unterhaltszahlungen ausfüllen muss“. Jetzt ist sein Antrag komplett. Elf Frauen und Männer holen sich hier im Caritas-Büro an diesem ganz normalen Vormittag zwischen 9 und 12 Uhr Hilfe. Manche bleiben nur fünf Minuten, andere eine Stunde im Büro.
Hartmuth ist ein großer kräftiger Mann, ein richtiger Gleisbauer. Aber das ist schon Jahre her. Der 40-Jährige ist schon lange Kunde beim Arbeitsamt, mal eine ABM-Stelle, mal ein Kurzzeitjob, mehr war nie drin. Als er von Hartz IV hörte, wurde ihm richtig Angst. Denn das neue Arbeitslosengeld II, das der Bautzener nun ab Januar bekommt, schmälert sein Einkommen noch mal um über hundert Euro.
Inzwischen hat er mitbekommen, dass es verstärkt so genannte Ein-Euro-Jobs geben soll. Was andere verteufeln als schlimme Ausbeutung oder gar in die Nähe des NS-Arbeitsdienstes rücken, gibt Hartmuth eher ein wenig Hoffnung. „Das würde ich machen. Am liebsten in ’ner Schule als Unterstützung für den Hausmeister. Die schaffen das doch nicht, was da alles anfällt. Ich würde auch jäten und so.“ Hartmuth kann sich das auch deshalb vorstellen, weil er schon mal eine solche Hilfsstelle in der Schule hatte. Und wenn er dann statt 331 Euro vielleicht knapp 500 hätte, sähe das schon ganz anders aus für ihn und seine Lebensgefährtin.
Die Eheleute Frank, 46, und Christine, 44, sehen die Sache mit dem Ein-Euro-Job reserviert. Er ist Maurer, sie gelernte Verkäuferin. Beide hoffen stark auf eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt. Frank hatte bis Mai einen Job als Maurer, bezieht aber wie seine Frau auch nur Arbeitslosenhilfe, weil er die zwölf Monate Arbeit, die Voraussetzung für das höhere Arbeitslosengeld sind, nicht voll bekommen hat. Frank und Christine kommen im Monat zusammen auf 1 000 Euro einschließlich der 165 Euro, die Christine beim abendlichen Regale-Einräumen in einem Bautzener Supermarkt verdient. „Hartz IV trifft uns hart. Wir büßen viel ein, selbst wenn wir berücksichtigen, dass wir dann was fürs Wohnen dazubekommen“, sagt Frank. Seine Frau findet die neuen Zuverdienstregeln skandalös. Von ihren 165 Euro Abendverdienst blieben ihr ab Januar nur noch 24 übrig. Der große Rest würde mit dem Alg II verrechnet. „Das ist doch kein Anreiz, wenn gleich so viel wieder abgezogen wird“, schimpft die Verkäuferin. Da sei ja dann selbst der Ein-Euro-Job attraktiver. Und auch Frank sagt plötzlich: „Würde ich auch machen, aber nur zur Not und als Übergang, wenn ich wirklich nichts finde.“ Vorstellungen, was sie machen könnten oder müssten, haben Christine und Frank nicht.
Detlef, 36, hat sich da schon mehr Gedanken gemacht: „Alte Leute, die sich das allein nicht mehr zutrauen, zum Einkaufen bringen oder den Einkauf ganz übernehmen, würde ich sofort machen. Da hätte ich kein Problem.“ Er könnte sich auch vorstellen, Schwerbehinderte regelmäßig mit dem Rollstuhl raus ins Grüne zu fahren oder in die Stadt. Er kenne welche, die kämen nie raus. Detlef verlor seinen Job in einer Glaserei von Taubenheim vor zwei Jahren, als die kleine Firma Pleite ging. Seine gegenwärtige Arbeitslosenhilfe liegt bei 446 Euro. Mit einem Ein-oder Zwei-Euro-Job würde er sich bei Hartz IV also keinesfalls verschlechtern, vielleicht sogar verbessern. Detlef hat auch schon mit dem Gedanken gespielt, die Heimat zu verlassen. „Aber so lange die Mutter an Stöcken geht, möchte schon einer in der Nähe bleiben“, sagt er.
Ramona, 39, hat sich einen Termin fürs Caritas-Büro geholt. Erst in gut zwei Wochen ist einer frei. „So eine soziale Beschäftigung, das wäre interessant“, sagt sie. Zu DDR-Zeiten hat die gelernte Täschnerin bei Intermod Bautzen gearbeitet. Ihr letzter Job war der Versand von Backwaren und liegt nun auch schon zwei Jahre zurück. „Viereinhalb Stunden in der Woche gehe ich putzen, das bessert die Arbeitslosenhilfe im Monat um 107 Euro auf.“ Müsste sie nicht die Mutter pflegen, hätte Ramona Sachsen längst verlassen. Zum Ein-Euro-Job im sozialen Bereich sagt sie noch: „Das ist besser als gar nichts und du bist wenigstens unter den Leuten, das ist mir auch wichtig.“
Selbst Marcel, 26, - Berufsabschluss im Hochbau, groß, schwarze Lederhose, reich gepierct - kann sich vorstellen, „was Soziales“ zu machen. In den vergangenen drei Jahren hatte er nur zehn Monate einen richtigen Job. Marcel, seit drei Monaten stolzer Vater eines Töchterchens, nimmt Hartz IV nicht so tragisch. „Ich büße mit dem künftigen Arbeitslosengeld II zwar weit über ein Drittel ein, dafür wird ja dann die Wohnung finanziert.“ Ein Ein-Euro-Job könnte der dreiköpfigen Familie als Übergang helfen. „Wenn die Kleine größer ist, wäre ich auch bereit, ’ne Arbeit im Westen oder im Ausland zu nehmen.“ So zeigen die Vormittagsgespräche neben der überraschend stark ausgeprägten Bereitschaft für Ein-Euro-Jobs auch die Tendenz, dass Hartz IV der Abwanderung aus Ostsachsen einen Schub geben wird.
Uwe Benkewitz hat zu den zusätzlichen Beschäftigungen für ein bis maximal zwei Euro die Stunde ein gespaltenes Verhältnis. Einerseits sieht der Geschäftsführer des Caritasverbandes Oberlausitz e. V. durchaus eine Chance, der weit verbreiteten Hartz-Angst die Spitze zu nehmen. „Das hat auch sonst Sinn. Eine solche Beschäftigung kann Langzeitarbeitslosen helfen, sich aufzurappeln, ihrem Tag wieder eine Struktur zu geben.“ Solche guten Erfahrungen habe die Caritas auch schon mit der eigenen Möbelkammer gemacht.
Andererseits sieht Benkewitz die Gefahr, „dass die Ein-Euro-Jobs den ersten Arbeitsmarkt beschädigen“.
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