-->Hi Tarantoga,
Du schreibst:
"Wenn man die Machtteorie und ihre Vorgänger so interpretiert, dass es der Schuldendruck ist, der den Fortschritt und das Wachstum antreibt, so geht dies meiner Meinung nach fehl oder ist zumindest sehr unpräzise.
(...)
keinen Unternehmer (treibt) der Schuldendruck zu seinem Handeln (jedenfalls im Grunde nicht, im Tagesgeschäft mag das mal vorkommen). Den Unternehmer treibt der Wunsch in und aus Freiheit heraus etwas zu organisieren und zu schaffen.
Da kann ich Dir teilweise zustimmen. Ich denke zwar auch ähnlich wie dottore, daß der Schuldendruck bzw. die Kombination Verlierbarkeit des Eigentums als Existenzgrundlage in Verbindung mit arbeitsteiligem Wirtschaften, das im Kern als Konkurrenz um (oft) knappes Geld organisiert ist, eine ganz wesentliche Triebfeder für Unternehmer darstellt - jedenfalls liegt hier eine oft als"Sachzwang" wahrgenommene Bedingung, die jeder Unternehmer in seinen Plänen auf alle Fälle berücksichtigen muß und die diese Pläne deshalb auch stark beeinflussen werden.
Insofern läßt sich die Bedeutung des Schuldendrucks kaum ignorieren, und natürlich ist es genau der, der vom Unternehmer jene Risikobereitschaft verlangt, die hierzulande (im Vergleich zu den USA etwa) so wenige an den Tag legen.
Daß aber das"alles" oder gar"die Hauptsache" dessen ausmachen soll, was einen Unternehmer tatsächlich motiviert, glaube ich - ganz ähnlich wie Du - auf keinen Fall.
Das"Wegstreben von der Überschuldungsschwelle" ist ja nur ein negativ definiertes Ziel, das inhaltlich gar keine positive Richtung vorgibt; ginge es also Unternehmern wirklich nur darum, könnten sie ja auch auswandern und sich in irgendwelchen kanadischen Wäldern als Selbstversorger betätigen.
Wenn man Unternehmer mal fragt, was sie motiviert, dann ist das doch oft eine Faszination mit einer Erfindung, einer bestimmten Problemlösung oder etwas ähnlichem, eine Besessenheit von einer Idee und ihrer Verwirklichung etc. etc. - also an der Wurzel menschliche Kreativität und menschlicher Schaffensdrang, der Wunsch etwas neues aufzubauen usw. usf.
Ich glaube, daß es so einen Drang in allen Gesellschaften gibt, daß aber im"Kapitalismus" oder der"debitistischen Eigentumswirtschaft" die besten Bedingungen herrschen, um gute Ideen tatsächlich auch praktisch umzusetzen.
Das hat wiederum mit den Schulden zu tun. Ist nämlich"Geld" (später fällige Schulden) gegenüber aktuell fälligen Schulden knapp, dann herrscht - weil Waren so ausgepreist werdern, daß mindestens kostendeckend gewirtschaftet werden kann - ein"Überangebot von Waren" auf dem Markt. Das vorhandene Geld kann nicht alle Waren kaufen. Tendenziell also volle Regale und knappes Geld und nicht, wie im Sozialismus, knappe Güter, die man über langwierige und komplizierte Ringtauschaktionen besorgen muß, weil die Leute Güter als Tauschmittel und Wertspeicher horten.
Dieses Warenüberangebot macht es nun einem kreativen Unternehmer leicht, seine Idee praktisch zu verwirklichen --- denn er kommt leicht an die dafür nötigen Rohstoffe und Materialien heran. Alles, was er dafür braucht, ist Geld - ggf. ein Kredit etc.
Das würde bedeuten: selbst wenn in allen Gesellschaften gleichviel gute innovative Ideen entstünden (und ich halte grundsätzlich alle Menschen für kreativ in der einen oder anderen Form), könnten sie im Kapitalismus am ehesten verwirklicht werden.
Zusätzlich droht dem Unternehmer ja nicht nur der Bankrott, wenn es mit der Umsetzung seiner Idee nicht hinhaut. Sondern bei erfolgreicher Umsetzung winkt ja auch finanzieller Erfolg.
D.h. die negative Motivation des Schuldendrucks reicht nicht aus, sie stellt nur eine Seite der Medaille dar. Ein Unternehmen entsteht erst aus einem Zueinander einer nur negativ definierten"Vermeidungs"-Motivation (weg von Überschuldungsschwelle streben) und einer positiv inhaltlich konkret definierten"Hin-Zu"-Motivation. Beides muß vorhanden sein für eine effektive Motivation --- und letzteres ignoriert dottore weitgehend, aus welchen Gründen auch immer.
Ihm scheint halt der Zwangsgedanke so zu gefallen, daß er dazu tendiert, alles darauf zurückzuführen --- aber die Freiheit ist ja das komplementäre Prinzip, ohne das auch Zwang gar nicht denkbar wäre. Es macht also in meinen Augen wenig Sinn, eine der beiden komplementären Seiten zu leugnen.
Bei dottore fällt auf, daß er - als Spiegelbild der Zwangsoptimisten/Positivdenker und als erklärter"con-man" - fast nur auf Vermeidungsmotivationen ("weg von etwas") und Zwangsmotivationen ("müssen") schaut.
Dieses Weltbild erscheint mir genauso einseitig wie das der zwanghaften Positivdenker und Hurra-Liberalisten, die gern jegliche Zwänge übersehen und leugnen.
Unternehmer als allein vom Schuldendruck getriebene Knechte anzusehen (was in einer Krise naürlich für eine wachsende Zahl von Unternehmen zutrifft), scheint mir jedenfalls eine ziemliche Verkürzug darzustellen.
Du schreibst noch:
"Diese und vergleichbare Motivationen sind stark in unserer Kultur verankert. Hierin liegt meiner Überzeugung nach die Quelle des Fortschritts, des Wachstums und auch die Stärke der abendländischen Kultur."
Hm, mag sein, daß Risikobereitschaft in verschiedenen Kulturen unterschiedlich ausgeprägt ist, aber ich denke, jeder hat das Potential, entsprechende Fähigkeiten zu entwickeln, wenn er mal ins kalte Wasser gesprungen ist. Die Kultur der Selbständigkeit ist ja hierzulande auch nicht unbedingt weit verbreitet... aber sicherlich müßte in Entwicklungsländern auch da viel getan werden, um eine Entrepreneurship-Kultur zu fördern und ermöglichen.
Was Deflationskrisen angeht, bin ich mit dottore dagegen weitgehend einer Meinung.
Du schreibst weiter:
"So ist auch das immer wieder verherrlichte Prinzip vom"Fordern und Fördern" schlichter Quatsch der nie funktionieren kann. So funktionieren einfach weder Menschen, noch Gesellschaften."
Hm, auch das sehe ich nicht ganz so wie Du. Ich denke, Herausforderungen und Zwänge wirken schon motivierend, wenn sie eine gewisse kritische Schwelle (die zur Überforderung, die dann eher lähmend wirkt) nicht überschreiten. Menschen besinnen sich oft erst in Not-, Druck- oder Gefahrensituationen auf ihre wirklichen Fähigkeiten und entdecken oft erst angesichts einer solchen Herausforderung, daß sie zu mehr imstande sind als sie eigentlich von sich selbst geglaubt haben. Und"Schuldendruck" kann auch als so eine Herausforderung wirken, ist also meiner Meinung nach nicht nur negativ.
Du schreibst dann noch:
"Ich bin daher der Ansicht, dass der Schuldendruck eine etwas andere Bedeutung hat:
Es ist der Schuldendruck, der die oben beschriebenen menschlichen Motivationen in geordnete Bahnen lenkt. Der Schuldendruck treibt das Handeln nicht an, er blockiert vielleicht sogar. Aber er weißt dem einzelnen Wirtschaftsakteur den Weg dahin, wo er seine Motivation und Tätigkeit am besten anbringen kann."
Da kann ich wiederum weitgehend zustimmen (siehe auch http://f17.parsimony.net/forum30434/messages/152484.htm)
>Daraus folgt, dass der simple Export des Schuldendrucks und des Eigentumsprinzips einem Entwicklungsland sicher nicht hilft. Was dort eher fehlt ist ein vergleichbarer innerer Antrieb der Menschen und der Kultur und vielleicht auch eine vergleichbare Wertung und Zielsetzung einer möglichen Fortentwicklung. (Dies bedeutet bitte keinerlei Wertung! Tolles BIP und technischer Schnickschnack ist nicht alles auf der Welt.)
Ich denke, daß solche"inneren Antriebe" dann schon entstehen, wenn erstmal ein"unternehmerisches", marktförmiges Umfeld da ist. War doch in anderen Ländern, die nachholend modernisiert haben, auch so (incl. D, aber auch Japan, Südkorea, Taiwan etc.).
>Daraus folgt auch eine andere Interpretation von Deflationskrisen. In der Deflationskrise läßt der Ordnungsmechanismus Schuldendruck den Menschen nicht mehr die Freiheit Neues zu schaffen, weil er an zu vielen Stellen den gesellschaftlichen Bedarf verneint. Das System ist an seine immanente Grenze gestossen, die herzustellende Ordnung der Tätigkeiten ist gewissermaßen eingetreten und kann aus sich heraus nichtmehr das Entwicklungsbedürfnis und -Potential erfassen und steuern. Das ist der Punkt, wo der kreativen Unordnung wieder Raum gegeben werden muss, wo auch entgegen vermeintlicher Rationalität und Effektivität den Akteueren Freiraum zu Neuem gegeben werden muss. Man darf dann zuversichtlich sein, dass sich neue Räume der Betätigung und Motivation ergeben werden, die dann gegebenenfalls wieder geordnet werden können.
Yep, das kann ich wieder weitgehend unterschreiben.
Gruß
moneymind
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