«Die Nasdaq ist ein klarer Käufermarkt»
Ted Tobiason über die jüngste Entwicklung der US-Börse.
Ted Tobiason von Robertson Stephens hat Aufstieg und Fall der Nasdaq hautnah miterlebt. Täglich lotet er ab vier Uhr morgens im Handelsraum und bei Firmenbesuchen im Silicon Valley die Stimmung aus. Trotz Kurssturz und Nullwachstum der US-Konjunktur bleibt er optimistisch.
Autor: Dave Hertig
CASH: Herr Tobiason, haben Sie beim Katzenjammer des letzten Börsenjahres den Spass am Silicon Valley noch nicht verloren?
Ted Tobiason: Nein. Jetzt ist eine gute Zeit, um durchs Valley zu gehen. Ein Teil der Arroganz, welche in den Unternehmen herrschte, als der Nasdaq bei 5000 Punkten stand, ist weg. Wir kommen einfacher an gute Informationen heran. Die Businesspläne sind verfeinert worden, und sie sind nicht mehr so stark «gehypt».
In erster Linie beraten Sie Kunden, die am Kapitalmarkt Geld aufnehmen wollen. Ihr Arbeitsplatz ist aber mitten im Handelsraum. Warum?
Ich kriege auf diese Art vieles mit, was auch uns im Kapitalmarktbereich betrifft.
In Ergänzung zum eher analytischen Investmentbanker sind Sie vor allem Fachmann in Sachen Marktstimmung.
Ja, und deswegen bin ich ständig draussen bei den Firmen. Zusammen mit dem Einblick in den Handel erhalte ich eine Übersicht, wohin das «smart money» fliesst, jenes Kapital also, das am Markt die Meinung bildet.
Haben die professionellen Investoren im letzten Jahr, abgesehen von der allgemeinen Zurückhaltung, ihr Verhalten geändert?
Die Portfoliomanager und Wagniskapitalisten im Silicon Valley, mit denen ich spreche, wetten nicht mehr auf ganze Sektoren. Sie konzentrieren sich stattdessen auf einzelne, gute Unternehmen, aus welchem Industriesegment sie auch immer kommen mögen.
Gibt es im Technologiebereich derzeit überhaupt etwas zu gewinnen?
Werfen wir einen Blick zurück auf die letzte Rezession 1990/91: Eine Firma wie Cisco, die damals an die Börse kam und sich unter den Neulingen eher durchschnittlich hielt, zeigte eine spektakuläre Gewinnentwicklung.
Derzeit kommen aber kaum neue Unternehmen an die Börse.
Alle sprechen im Moment vom geschlossenen IPO-Fenster. Wenn das Fenster zum Kapitalmarkt aber fast geschlossen ist, schlüpfen nur die besten Unternehmen durch. Auch deshalb glaube ich, dass wir derzeit gute Einstiegsmöglichkeiten sehen. Ich finde zudem, dass der Nasdaq bei einem Stand im Bereich von 2000 Punkten ein klarer Käufermarkt ist.
Wie wählen Sie die am meisten Erfolg versprechenden Investments aus?
Bei Anlagen in Health Care und Technologie schauen wir schwergewichtig auf zwei Dinge - auf eine überzeugende Technologie, die nur schwer kopiert werden kann, und auf Skalierbarkeit. Eine gut zu verteidigende Technologie ist der einzige Schutz für die Margen und damit für die Gewinne. Hinweise auf eine geschützte Technologie sind, wie viele Ingenieursstunden zur Entwicklung nötig waren, was für Patente es gibt oder ob ein Industriestandard errichtet wird.
Welche Unternehmen besitzen eine solche Technologie?
Der Schlüssel zum Erfolg von Cisco (Valor 918546) war das eigene Netzwerk-Betriebssystem. Die Biotechfirma Sequenom (1038695) besitzt geschützte Analysewerkzeuge. Rudolph Technologies (1016957) ist das einzige Unternehmen, das den komplizierten Kupferverbindungs-Test durchführen kann, der zur Herstellung von Kupferchips nötig ist. Firmen wie der Chipgigant Intel werden auf dem Weg zur nächsten Epoche der Chipherstellung dieses Verfahren als neuen Standard einführen.
Im Gegensatz zur Einzigartigkeit der Technologie war die Skalierbarkeit schon immer ein wichtiger Punkt.
Skalierbarkeit bedeutet: Je mehr ich von einem Produkt verkaufe, desto höher ist die Marge, die ich darauf erziele. Ein weiterer Faktor ist, dass ich in kurzer Zeit einen grossen Markt beliefern kann. Viele der kotierten Firmen aus dem Silicon Valley sind an der Knappheit von geeigneten Fachleuten gescheitert. Wie kann man sich an einen grossen Markt wenden, wenn man die dazu notwendigen spezialisierten Verkäufer oder die begabten Ingenieure nirgends finden kann?
Welche der Nasdaq-Firmen entsprechen Ihren gegenwärtigen Ansprüchen in besonderem Mass?
Auf der defensiven Seite empfehlen wir bei den Life Sciences die Firma Cytec (Valor 163180), die dank ihrer geschützten Technologie aggressiv wächst. Die Gentest-Chip-Technologie von Affymetrix (127089) ist ebenfalls ein Knüller. Einer der Chips hatte zwar kürzlich ein Problem, das aber bald gelöst sein sollte. Der Taucher der Aktie ist eine gute Kaufgelegenheit. Im Kommunikationsausrüstungs-Sektor setzen wir auf Extreme Networks (653096).
Was erwarten Sie für die Technologiemärkte als Ganzes?
In einer Phase des Nullwachstums ist die Erweiterung der Geldmenge der wichtigste Punkt. Wenn die Liquidität erhöht wird, konsumieren oder investieren die Leute. Ein grosser Teil dieses zusätzlichen Geldes fliesst zudem in die Aktienmärkte. Alan Greenspan vom Federal Reserve erhöht derzeit die Liquidität mit derselben Geschwindigkeit wie damals während der Asien- oder der Russlandkrise.
Soll das allein den gebeutelten Technologietiteln zu einem nächsten Aufschwung verhelfen?
Über einen längeren Zeitraum hinweg, ja. Derzeit fliesst noch viel neues Kapital in den Geldmarkt. Doch sobald sich die Stimmung aufhellt, steht es zur Verfügung und wird in die Aktien zurückfinden. Denn wenn das Federal Reserve die Zinsen weiter senkt, werden Geldmarktanlagen weniger interessant.
Aber da ist ja auch noch die angeschlagene US-Wirtschaft.
Mit der amerikanischen Wirtschaft läuft unserer Meinung nach aus fundamentaler Sicht nichts falsch. Was wir haben, sind zu grosse Lagerbestände. Aber dank den Technologie-Investitionen der letzten zehn Jahre haben sich Kapazitätsplanung und Lagerbewirtschaftung deutlich verbessert. Auch wurde vielerorts die Produktion ausgelagert und somit flexibilisiert. Deshalb glauben wir, dass sich die Wirtschaft bald erholen wird. Dank der Produktivitätsfortschritte erwarten wir dies insbesondere für den Technologiebereich. Obwohl das US-Bruttosozialprodukt derzeit kaum wächst, sahen wir im vierten Quartal 2000 deutliche Produktivitätssteigerungen.
Hätten Sie nicht schon im letzten Sommer ähnlich argumentiert, obwohl es dann überhaupt nicht besser wurde?
Das stimmt. Ich sehe aber im Vergleich zu heute gewichtige Unterschiede: Das Federal Reserve hat damals mit einer Leitzinserhöhung um 1,75 Prozentpunkte die Wirtschaft deutlich verlangsamt und dem Markt viel Liquidität entzogen. Hinzu kommt, dass der Ã-lpreis extrem hoch war. Er hat inzwischen auf gut 28 Dollar nachgegeben. Zudem fiel der Euro in der Zwischenzeit auf 0.82 Dollar, was die Exporte nach Europa erschwerte.
Die schöne Geschichte vom Aufschwung klingt zu einfach.
Nun, die Amerikaner sind stark im Aktienmarkt engagiert. Deshalb fühlen sie sich nach den Kursstürzen weniger wohlhabend und drosseln - auch wegen der Zunahme der Arbeitslosigkeit - den Konsum. Ich glaube, dass ein Grossteil des Risikos an der Nasdaq psychologischer Natur ist: Wenn die Leute nicht glauben, dass die Wirtschaft wieder aufsteht, wird ihr Pessimismus zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Zudem ist die japanische Wirtschaft ein Unsicherheitsfaktor, der die ganze Welt erfassen könnte. Das gibt auch den Bären unter den Anlegern eine stichhaltige Geschichte. Ich persönlich glaube aber an die optimistische Version.
Bildlegende: Ted Tobiason: «Ich will wissen, wohin das «smart money» fliesst - jenes Kapital also, das am Markt die Meinung bildet.»
--------------------------------------------------------------------------------
«Ich glaube, dass ein Grossteil des Risikos an der Nasdaq psychologischer Natur ist.»
--------------------------------------------------------------------------------
TEchno-Spezialist
Ted Tobiason, 33, ist einer der Principals in der Kapitalmarktorganisation von Robertson Stephens. Zuvor war er für Bear Sterns im selben Bereich tätig. Tobiason studierte an der Princeton University und hält einen MBA der Columbia University. Bei Braxton Associates sammelte er Erfahrungen als Strategieberater, und er arbeitete in Asien als Consultant in der Elektronikindustrie. Tobiason ist verheiratet, er hat keine Kinder, aber einen Hund.
Robertson Stephens ist die führende Investmentbank im Silicon Valley und hat sich ganz auf Technologieunternehmen ausgerichtet. Im Boomjahr 1999 wickelte sie 230 Börsengänge ab. Das Unternehmen mit Sitz in San Francisco ist als Händler die Nummer 6 an der Nasdaq und beschäftigt weltweit mehr als 1400 Personen.
Fotos: dave hertig Fotos: dave hertig
(Quelle: cash)
<center>
<HR>
</center> |