Verehrte Feinde, liebe Freunde!
Da ich vermutlich der einzige im Board bin, der AG persönlich kennt, darf ich mir ein paar Bemerkungen erlauben:
1. Er (Jahrgang 1926) war zunächst ein Libertarian und Lieblingsschüler von Ayn Rand. Libertarians sind die Leute, die den ultimativen Vollkapitalismus predigen, aber Kapitalismus mit absolut freier Marktwirtschaft verwechseln. Der Kapitalismus ist ein System, das ununterbrochener Schuldendruck vorwärts peitscht (siehe meine Veröffentlichungen dazu), der Markt jener Ort, wo die Kapitalisten sich ihre Schuldendeckungsmittel besorgen müssen, sub summa: die erforderliche Nettoneuverschuldung suchen, um nicht selbst unterzugehen). Je freier der Markt, desto weniger"Nachschuldnerfindungskosten" entstehen, aber das ist wirklich nur ein Nebenkriegsschauplatz. Die eigentliche Schlacht in der freien Wirtschaft, dem Kapitalismus also, tobt immer um die SCHULDEN. Das hat AG bis heute nicht kapiert.
2. Er hat in seiner Ayn-Rand-Zeit einen schönen Artikel in der Libertarian-Zeitschrift"The Objecivist" publiziert, in dem er sich ohne Wenn und Aber für den Goldstandard ausgesprochen hat (mit durchaus brauchbaren Argumenten). Wie so ein Mann Chef einer Notenbank, deren Aktivseite aus Uneinbringlichkeiten (= Staatstiteln) besteht, werden kann, ist mir nicht ganz klar.
3. Er war dann - wie hunderte anderer Wall-Street-Derivateure auch - einer der"Berater" der Finanzindustrie und hat in Fa."Townsend-Greenspan & Co." dabei ordentliche Analysen abgeliefert, die allerdings von anderen"Analysten" (das Wort hatte damals noch eine andere, mehr gesamtwirtschaftliche Bedeutung), ich denke nur an Ed Hymans, weit in den Schatten gestellt wurden.
4. Dann war er Chef-Wirtschaftsberater Richard Nixons, des Mannes also, der in den USA neben anderem ökonomischen Unfug auch einen Preisstopp angerichtet hatte und der keinen Satz rausbrachte, in dem nicht mindestens viermal das Wort"f....ing" vorkam (siehe die Watergate-Tonbänder). Bei seiner Vereidigung war Ayn Rand dabei. AG beriet dann auch noch Präsident Ford. Schrieb später auch Reden für Reagans Wahlkampf.
5. Unter Carter zurück ins"Analysten"-Dasein und 1987 Berufung zum Notenbankchef. Dies nachdem Paul Volcker die Übung des Brechens der ersten Welle der Kreditorgie abgebrochen hatte, weil ihm dazu die Nerven fehlten. Gleich nach Amtsantritt der 87er Crash. AG flog während der Börsensitzung, die ja kein Auge trocken ließ, nach Washington und als er aus dem Flugzeug stieg, fragte er einen Adlatus, was denn der Dow mache. Der sagte"Five o' three down, Sir!" Greenspan verstand"Five point three down" und wollte gerade beruhigt seine Limousine besteigen, als ihn der Adlatus mit dem Hinweis, dass die Fed jetzt wohl was tun müsse, festhielt und über den wirklichen Sachverhalt aufklärte.
6. Danach beruhigte sich alles natürlich inmitten eines Meeres von"fresh money", in dem er die Finanzindustrie baden ließ. Dann ging es immer hin und her, bis wir ab Mitte der 90er den sensationellen Blow-off bestaunen durften, zu dem ihm eines Tages dann nichts mehr einfiel, als zu nuscheln"irrational exuberance". Der Mann hat überhaupt nicht kapiert, dass in jeder (!!!) disinflationären Phase der Weltgeschichte mit Zentralbankgeldschwemme (wobei die noch nicht mal so wichtig ist) automatisch der Blow-off kommt. So und nun krieg' mal diese"Mania" (O-Ton AG) in Griff!
7. Das ist so wie bei dem braven Feuerwehrmann, der selbst die Brände legt, um sich anschließend bei den Löscharbeiten auszuzeichnen. Selbstverständlich hätte die Fed den Blow-off verhindern können, aber sich dann, wenn er läuft hinzustellen, und zu sagen, das sei"irrational", ist doch wohl sagenhaft! Nicht nur dass jeder disinflationäre Blow-off absolut rational zu erklären ist (sinkende Zinsen und der Aktienmarkt, das kennt ja wohl inzwischen jeder; ich hatte das übrigens schon als Nebenbei-Jobber beim Freimakler Beiler in Düsseldorf zu Beginn der 60er Jahre gelernt), sich dann auch noch hinzustellen, und den Hilflosen zu markieren ("ja, was soll die Fed denn jetzt bloß machen ohne volkwirtschaftlichen Flurschaden anzurichten?") - unglaublich!
8. Hinzukommt, dass AG als Rand-Schüler immer die Segnungen des"rationalen Egoismus" gepredigt hatte, und jetzt kommt ihm der Egoismus der Leute, die an der Börse mal so richtig Geld verdienen wollen,"irrational" vor? Da fehlt's doch irgendwo. Mache ich einen Fehler, wenn ich sage: Vermutlich im Kopf?
9. AG gilt als"fester Streiter gegen die Inflation". Das ist richtig fein. Warum er aber gegen die Inflation ist, hat er nie klar gesagt: Geht es ihm nur um die bekannte Leier, von wegen, Guthaben werden entwertet, die armen Sparer, die armen Rentner und die Leute, die in der Infla an den Warenbörsen mühelos reich werden (er selbst hat übrigens Commidity-Makler gelernt)? Oder weiß er schon, daß jede Inflation unausweichlich in eine Deflation mündet - egal wie lange es dauert? Oder ist er gegen eine Infla, weil seine alten Buddies in NY dann beruhigter zocken können (was ich persönlich für ganz absurd hielte)?
Kurzum: AG ist ein begnadeter Number Cruncher (Zahlen-Mampfer), alle Statistiken studiert er bekanntlich lange in der Badewanne. Aber er hat keine Ahnung von dem, wie"Kapitalismus" wirklich abläuft und absolut keine Ahnung von der Börse. Er war ja offenbar (Quelle: WSJ) sogar zu dämlich, sein eigenes Portefeuille wenigstens so in Sicherheit zu bringen, dass er nicht in den Kollaps der Festverzinslichen drüben mit hineingezogen wurde.
Alan Greenspan ist zwar der mit Abstand mächtigste Mann des Welt-Finanzsystems, aber zugleich leider auch der am meisten überschätzte.
Dixi! (Ich habe gesprochen).
d.
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