© Cash; 2001-09-28; Seite 34; Nummer 39
Interview
«Es gibt nichts, womit Bush die Wirtschaft ankurbeln könnte»
Der Ã-konom Milton Friedman über den Terror, die Rezession, staatliche Interventionen und deren kontraproduktive Wirkung.
Milton Friedman war und ist ein ökonomischer Hardliner, der die Marktwirktschaft von hemmenden Regeln befreit sehen möchte. Inzwischen fast 90 Jahre alt, ist der Nobelpreisträger in der Wortwahl, aber nicht in der Denkweise milder geworden. Die Politik der Bush-Regierung, mit grosszügigen Finanzspritzen auf die Terroraktion zu antworten, hält er für falsch.
Birgit Voigt (Palo Alto)
CASH: Professor Friedman, sackt die US-Wirtschaft nach den schrecklichen Terroranschlägen in New York vollends in die Rezession ab?
Milton Friedman: Meiner Meinung nach stecken wir schon eine ganze Weile in einer Rezession. Ungefähr seit dem dritten Quartal 2000. Es ist ja immer eine Frage der Semantik, ab wann man die Abkühlung eine Rezession nennt. Und es besteht kein Zweifel, dass die Ereignisse die Rezession verschärfen und verlängern werden. Die US-Notenbank FED senkt nun schon seit ein paar Monaten die Zinsen, und nach dem Terrorangriff verspricht die Bush-Regierung grosszügige finanzielle Hilfe für die Opfer, für die Stadt New York und für die Flugindustrie. Dazu werden neue Steuersenkungen debattiert und drastisch mehr Mittel für die Modernisierung des Militärs angekündigt. Nichts davon wird sich sehr positiv auf die wirtschaftliche Erholung in den nächsten Quartalen auswirken.
Wieso nicht?
Der monetäre Druck ist ja schon seit ein paar Monaten erhöht. Mit anderen Worten: Dank der Zinssenkungen ist reichlich Liquidität für die Wirtschaft vorhanden. Doch es braucht einfach Zeit, bis diese Massnahmen greifen. Es gab in den Wochen zuvor erste Anzeichen dafür, dass die Wirtschaft das Tal durchschritten hatte. Mit ihren Ausgabepaketen wirft die Regierung der Flugindustrie einen Rettungsring zu, mehr nicht.
Die Regierungen sollten also den Luftfahrtunternehmen nicht unter die Arme greifen?
Man kann den Airlines mit einer gewissen Berechtigung jene Kosten ersetzen, die durch staatliche Massnahmen verursacht wurden. Die Anordnung der Federal Aviation Administration (FAA), den ganzen Flugverkehr für einige Tage zu stoppen, war offensichtlich nicht von den Fluggesellschaften zu verantworten. Für die Ausfälle während dieser Zeit kann man sie entschädigen. Für weiter Zuschüsse gibt es keine Berechtigung.
Sie sind berühmt geworden als Kritiker staatlicher Ausgabenpakete als typisch keynesianische Massnahme zur Stimulierung der Wirtschaft. Weshalb halten Sie solche staatlichen Finanzspritzen in die Wirtschaft für falsch?
Weil wir meilenweit am Ziel vorbeischiessen werden. Die debattierten Pakete werden fast alle sehr spät anfangen, ihre Wirkung zu entfalten, und dann wahrscheinlich mitten in einem bereits starken Aufschwung noch mehr Nachfrage hervorrufen. Die Chancen sind gut, dass die Erholung im ersten oder zweiten Quartal des nächsten Jahres einsetzt, und mit all der Marktstimulation, die jetzt in Gang gesetzt wird, müssen wir eher einen inflationären Schub befürchten als eine tiefe Rezession.
Theoretisch klingt Ihre Argumentation sehr sinnvoll. Mir scheint jedoch, dass es auch eine psychologische Komponente in der heutigen Situation gibt. Die Leute wollen eine aktive Regierung sehen, die Massnahmen ergreift. Das flösst Vertrauen ein. Und diese Zuversicht braucht es doch vor allem, damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt.
Oh, auf jeden Fall. Aber wenn man sich den Erfolgsausweis der verschiedenen Administrationen anschaut und ihre Prognosen, wie sich die Wirtschaft entwickeln wird, dann ist dieser Leistungsausweis ziemlich mies. Besonders in Zeiten, da die Vorhersagen von der politischen Agenda bestimmt werden.
Wenn Sie der Präsident heute anriefe und fragte, was er angesichts der wirtschaftlichen Entwicklungen machen soll, was würden Sie ihm raten?
You are doing fine. Sit tight. Alles läuft ok. Rühr dich nicht. Es gibt wirklich nicht viel, was Bush machen kann, um die Wirtschaft anzukurbeln. Über die Jagd auf die Terroristen rede ich hier jetzt nicht. Aber wirtschaftlich... sehen Sie, das Problem ist doch ein Marketingproblem. Wenn die Wirtschaft gut läuft, lassen sich die Regierungen das als Pluspunkt anrechnen, wenns nicht läuft, ist es logischerweise auch ihre Verantwortung. Aber Tatsache ist, dass die Regierungen weder für die guten noch für die schlechten Zeiten Verantwortung übernehmen können.
Das müssen Sie schon etwas genauer erklären. Wenn eine Regierung über Steuern oder Sozialprogramme so genannte Fiskalpolitik betreibt, hat dies keinen Einfluss auf die Wirtschaft?
Wenn die Regierung Geld ausgibt, dann muss sie das entweder über höhere Steuern wieder hereinholen oder sich die Mittel vom Markt zum Beispiel über die Ausgabe von Obligationen leihen. Die staatlichen Ausgaben ersetzen also nur die privaten und heben sich dadurch mittelfristig auf. Die Massnahmen der Zentralbank hingegen, Geld in Umlauf zu bringen, indem das FED staatliche Obligationen mit frisch gedrucktem Geld zurückkauft, das hat sehr wohl einen stimulierenden Einfluss auf die Wirtschaft. Auf unsere heutige Situation bezogen: Das FED tut, was es kann, und Bush kann nicht viel machen.
Schaden auch zusätzliche Steuersenkungen mehr, als dass sie nützen?
Sie helfen nicht gegen diese ökonomische Krise. Aber ich bin immer für Steuersenkungen, allerdings aus anderen Gründen als Bush. Trotzdem nehme ich Steuersenkungen, wann immer ich sie bekommen kann.
Keine Ausrede ist zu simpel für eine Steuersenkung?
(Lacht) Mir ist jede Gelegenheit recht.
Weil Sie generell gegen den heutigen Anteil an Regierungsausgaben am Volkseinkommen sind?
Richtig...
Bevor wir Ihr Steckenpferd über die zu hohe Staatsquote davongaloppieren lassen, kehren wir noch mal zur heute sich abzeichnenden Weichenstellung zurück.
Bush hat für die kommenden Jahre drastische Steuersenkungen durchgesetzt. Die Reduktion fiel so radikal aus, dass schon im Budget für das nächste Jahr eigentlich Kürzungen an Programmen vorgenommen werden müssten, damit der Haushalt ausgeglichen bleibt. Doch der Zwang zum Sparen ist wegen der Terrorangriffe quasi obsolet geworden. Grosse Ausgaben fürs Militär und andere Programme sind angekündigt und werden von beiden Parteien neuerdings voll unterstützt. Hier scheint die konservative Bush-Regierung mit Begeisterung ein neues riesiges Budgetdefizit anzuhäufen...
Die Zurückhaltung bei den Regierungsausgaben hat sich in Luft aufgelöst, und das ist schlecht. Aber
Sie müssen das auch in die richtigen Proportionen setzen.
Wir sind ein sehr reiches Land. Die Wirtschaft ist grob geschätzt eine 10-Billionen-Dollar-Ã-konomie, und die höchsten Schätzungen über die Folgekosten der Attacke belaufen sich auf vielleicht 70 bis 100 Milliarden Dollar. Und das ist im Verhältnis dann doch keine übermässige Bürde.
Mit anderen Worten, die geplanten Ausgaben der Regierung fallen nicht wirklich ins Gewicht?
Nun, nicht in meinen Augen. Die Geldmittel, die die Regierung heute zusätzlich ausgibt, nimmt sie den Privathaushalten in der einen oder anderen Form weg. Lassen wir mal die Inflationsproblematik beiseite. Es gibt ja ein Aggregat des realen Volkseinkommens. Wenn die Regierung mehr ausgibt, steht dem Volk weniger zur Verfügung. Kommt hinzu, dass wachsende Ausgaben des Staates der privaten Wirtschaft die Wachstumsanreize nehmen. In den USA gibt der Staat 40 Prozent des Volkseinkommens aus. Natürlich brauchen wir ein gewisses Mass an Staat. Geschichtliche Analysen zeigen aber, dass der richtige Anteil des Staates am Volkseinkommen bei etwa 10 Prozent liegt.
Das ist ziemlich provokativ. Was würden Sie denn alles über Bord werfen bei den Staatsausgaben?
Oh, kein Problem, Programme loszuwerden. Als Erstes würde ich die Social Security (das US-Äquivalent zur AHV) abschaffen.
Sollen die alten Amerikaner alle betteln gehen?
Nein, natürlich nicht. Aber warum masst sich die Regierung an zu entscheiden, wie viel Geld ich für mein Alter sparen soll?
Vielleicht, weil die Leute choronisch unterschätzen, wie viel sie brauchen?
Na gut, aber dann muss der Staat auch sicherstellen, dass ich richtig esse, warme Kleider habe und so weiter. Soll mir der Staat sagen, wie viel ich dafür auszugeben habe? Schauen Sie sich auch einen anderen Aspekt an... nehmen wir das Beispiel eines jungen Mannes mit Aids. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sein Pensionsalter erreicht, ist gering. Trotzdem muss er in die Altersversicherung einzahlen. Das ist grausam und unsinnig.
Das ist sicher ein gutes Beispiel, aber noch einmal, die meisten Leute unterschätzen, wie alt sie werden und wie viel Geld das kosten wird.
Bevor man die staatlichen Rentenversicherungen einführte, haben die meisten Leute auch für ihr Alter vorgesorgt. Entweder indem sie gespart haben oder indem ihre Kinder für sie sorgten. Heute sagt man nicht mehr, du musst deiner eigenen Mutter helfen, sondern du musst irgendeiner fremden Mutter helfen.
Ihre These riecht nach Sozialdarwinismus, und die Vorstellung, dass man im Alter völlig auf sich selbst gestellt ist, gefällt mir nicht.
Ja, aber sagen Sie mir, warum soll der Staat sich nur um die armen Alten kümmern und nicht um alle, die finanziell bedürftig sind?
Oh, ich sage nicht, dass sich der Staat nicht um alle Menschen kümmern soll, die unter dem Existenzminimum leben.
Unzweifelhaft gibt es in jeder Gesellschaft immer Menschen, die am Rand dieser Gesellschaft existieren.
Und in Ihrem Modell würden Privatinitiativen diese Menschen vor dem Verhungern retten?
Die Mildtätigkeit in den USA würde ein ganz anderes Gesicht haben, wenn der Staat nicht versuchen würde, uns allen Vater und Mutter zu sein. Statt für Kunst und Universitäten zu spenden, würden sich die Leute um ihre Mitmenschen kümmern.
Das ist doch reinster Feudalismus.
Ich bitte um Entschuldigung. Ich sage ja nicht, dass der Staat nicht immer die besten aller Absichten hat, aber das heisst eben nicht, dass er unter dem Strich die Dinge verbessert. Im Übrigen habe ich schon vor Jahrzehnten dargelegt, dass meines Erachtens die beste Lösung zur Sicherung der Existenz für alle eine so genannte negative Einkommenssteuer wäre. Das heisst, wenn das Einkommen unter eine bestimmte Schwelle fällt, zahlt das Individuum keine Steuern mehr, sondern erhält Zuschüsse. Ich bin aber sicher, dass der Staat die Zuschüsse zu hoch ansetzen würde, wenn man dieses System einführte.
Ok. Das ist doch schon was. Sprechen wir über die zunehmenden Proteste gegen die Globalisierung und den freien Handel. Sie sind ein ausgesprochener Befürworter des weltweiten Handels, was sagen Sie zu der wachsenden Ablehnung?
Die Demonstranten behaupten, der Handel würde manche Länder ärmer machen. Aber diese Behauptung bestreite ich. Die Fakten sprechen dagegen. Schauen Sie sich die unterentwickelten Länder an, die in den letzten Jahren zu Wohlstand gekommen sind: Sie haben das geschafft durch freien Handel. Es ist nicht völlig freier Handel, es gibt Beschränkungen. Aber trotzdem, viele asiatische Länder, Singapore, Hong Kong, Taiwan, haben sich alle durch den Export ihrer Güter hochgearbeitet. Schauen sie sich Polen und die Tschechische Republik an: Denen geht es dank guter Handelsströme inzwischen wieder ganz ordentlich.
Es gibt viele Länder, die trotz guter Ressourcen und jahrelangem Verkauf ihrer Rohstoffe keinerlei Verbesserung der Lebensbedingungen sehen. Der afrikanische Kontinent hat unglaublich viele solcher Beispiele.
Nun, in den meisten dieser Fälle findet man zumindest ein paar Leute im Land, die profitieren und sich bereichern. Aber Ihre Frage deutet in die richtige Richtung. Damit sich ein freier Markt und freier Handel positiv entfalten und auswirken können, braucht es auch noch andere Komponenten: Ein funktionierendes Rechtssystem ist ein wichtiger Faktor. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Handel an und für sich immer ein positives Ereignis ist. Die Leute verkaufen doch nur dann ihre Vermögenswerte, wenn sie das Gefühl haben, etwas Wertvolleres dafür zu bekommen. Sonst bringt ihnen der Handel nichts, und ergo findet der Deal nicht statt.
schlagfertig radikal
Der Amerikaner Milton Friedman erhielt 1976 für seine Erkenntnisse zur Bedeutung der Geldmenge als Mittel zur Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung den Nobelpreis für Ã-konomie. Politisch im konservativen Lager angesiedelt, diente Friedman den Präsidenten Nixon und Reagan als ökonomischer Berater. Seine Theorie des Monetarismus war in den 80er Jahren heiss umstritten. Friedman sieht den Staat als notwendiges Übel, das so weit wie möglich im Zaum gehalten werden soll. Der radikale Befürworter einer freien Marktwirtschaft und des freien Handels ist nach wie vor ein schlagfertiger Redner. Milton Friedman feiert in einigen Monaten seinen neunzigsten Geburtstag und lebt heute in San Francisco.
«Mit den geplanten Finanzspritzen für die Wirtschaft wird die US-Regierung meilenweit am Ziel vorbeischiessen.»
«Wenn der Staat nicht unser aller Vater und Mutter zu sein versuchte, würden sich die Leute um ihre Mitmenschen kümmern.»
Fotos: chuck nake/woodfin camp/swiss press
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