Hier einige Hintergrundsinfos. über Analysten. Es ist zwar schweizbezogen, kann aber sicherlich auch auf Deutschland übertragen werden:
<font size='5'>Gold im Mund</font>
Die Analysten sind die Stars der Finanzwelt. Ihr Urteil hat milliardenschwere Folgen.
Mirko Sangiorgio, Chefanalyst der Genfer Privatbank Pictet, triumphiert. Kaum hatte er vergangene Woche die Aktien der Credit Suisse Group mit der Empfehlung «reduce» - verkaufen - etikettiert, machten die Kurse der Grossbank einen Taucher. Auch die Analysten von Martin Ebners BZ Bank sind wieder im Gespräch. Ihre Empfehlung, UBS-Aktien zu kaufen, zeigte die erhoffte Wirkung: Die renditehungrigen Aktionäre kauften UBS-Aktien wie wild, der Kurs stieg prompt.
Kein Tag vergeht, an dem nicht die eine oder andere Analystenempfehlung für Gesprächsstoff sorgt - und für Umsätze. Finanzanalysten halten das Börsenkarussell am Laufen. Kaum ein Anleger erteilt heute Orders, ohne sich zuvor bei den professionellen Firmenbewertern Tipps zu holen.
Deren Empfehlungen - kaufen, verkaufen oder halten - wiegen entsprechend schwer. Besonders für institutionelle Anleger amten die Analysten als Richter über Anlageentscheide. Sie stehen im Geschäft um die Milliarden, die rund um den Globus Gewinn bringend angelegt sein wollen, im Mittelpunkt, fungieren als Brückenkopf zwischen Banken und Investoren, aber auch zwischen Investoren und Unternehmen. Finanzanalysten gehören zu den gefragtesten Leuten in der Geldindustrie.
Die Banken rüsten ihre Research-Abteilungen laufend auf. Die Bank Vontobel beschäftigt heute 30 Analysten, vor zwei Jahren waren es 9. Die UBS hat 700 Experten an allen wichtigen Börsenplätzen der Welt; sie bewerten insgesamt rund 4600 Firmen. Das Herz des UBS-Research Europa schlägt längst nicht mehr in Zürich, sondern in London. Gleich wie die Credit Suisse hat die UBS die Analyse der so genannten Bluechips wie Novartis, Nestlé und ABB in die Finanzmetropole Europas verlegt. Von Zürich aus werden nur noch die kleineren und mittleren börsenkotierten Unternehmen bearbeitet.
Analystenurteile sind gefragt, aber auch umstritten. Denn Fälle wie Sangiorgios Verkaufsempfehlung für CS-Aktien sind die Ausnahme. Eine Reutersstudie kommt zum Schluss, dass nicht einmal ein Prozent der abgegebenen Empfehlungen auf verkaufen lauten. Zwei Drittel sind Kaufempfehlungen. Bei 30 Prozent heisst der Rat halten. Diese Empfehlung ist bei der Privatbank Pictet abgeschafft worden. «Unsere Analysten können sich so nicht mehr verstecken», sagt Mirko Sangiorgio. Im Gegensatz zu Konkurrenten wie CS oder der UBS muss Sangiorgio nicht befürchten, eine Verkaufsempfehlung könnte bankintern zu Friktionen führen: Bei Universalbanken verfolgen und bewerten die Analysten Firmen, die oftmals auch Kunden der Bank sind: Ressentiments eines Managements über Negativstudien könnten den Geschäften anderer Abteilungen schaden. Oder dem Ruf der Bank als Ganzes: Etwa wenn sie ein Unternehmen an die Börse gebracht hat, das die Erwartungen schliesslich nicht erfüllen kann.
Statt die Aktien von Think Tools, einer Schweizer Softwarefirma, auf verkaufen herunterzustufen, rät die Vontobel-Analystin halten - obschon sie mit einem «Absinken der Margen» rechnet (O-Ton des Vontobel Company Update vom 31. Mai). Das Wohlwollen kommt nicht von ungefähr: Die Bank Vontobel hat Think Tools als Leadbank an die Börse gebracht.
Verkaufsempfehlungen sind noch aus einem anderen Grund keine valable Option für Analysten, die einen substanziellen Teil ihres Lohns mit Boni erreichen: Verkaufsempfehlungen bringen wenig Umsatz und wenig Geld. Denn schiesslich kann ein Kunde, der die Aktie nicht im Portefeuille hat, mit einer Verkaufsstudie nichts anfangen. Die Pensionskassen- und Fondsmanager bezahlen aber indirekt die Löhne der Analysten. Denn es ist in der Branche üblich, dass institutionelle Investoren sich für gute Recherchen erkenntlich zeigen und ihre Orders vom Haus des Analysten ausführen lassen. Dafür kassieren die Experten Provisionen von 0,3 bis 0,5 Prozent des Umsatzes. Die Verkäuferseelen unter den Analysten können damit ihren Spitzenlohn von 140 000 bis 180 000 Franken im Jahr um 50 bis 100 Prozent aufbessern.
Von den angelsächsischen Dimensionen ist die Schweizer Analystenzunft indes weit entfernt. An der Wallstreet und in der Londoner City verdient laut einer Studie der Londoner Tempest Consultants jeder fünfte Analyst mehr als 200 000 Dollar im Jahr. Die Gefragtesten kassieren siebenstellige Traumgagen und geniessen Starstatus.
Einer von ihnen ist James Hyde, Bankenspezialist der US-Bank Merrill Lynch. Als Hyde hörte, dass es nach der Fusion von Deutscher und Dresdner Bank zwei Chefs geben sollte, winkte er ab und löste eine Verkaufslawine aus - die Kurse der beiden Banken rutschten in den Keller.
Hoch bezahlte Stars halten sich auch UBS und CS: Laut den Beratern von Tempest schafften es Robert Mocatta, CSFB-Spezialist für Telekommunikation, und Gavin White und Alan McDonald, Analysten für Ã-l und Gas von UBS Warburg unter die Top Ten der besten Analysten Europas.
Das Jobkarussell im hoch bezahlten Berufsstand dreht schnell. Headhunter sind mit Suchaufträgen unterwegs. Auch die Banken selbst haben ihre Fühler ständig ausgestreckt. «Die meisten Leute finden wir selbst», sagt UBS-Warburg-Manager Andreas Vogler. Am begehrtesten sind gut eingeführte Analysten, die gleich mit ihrem ganzen Team angelockt werden. «Die sind vom ersten Tag an einsatzfähig», sagt Marco Curti, Chef der Research-Abteilung bei der ZKB. Die Abwerberei geht nicht nur ins Geld, sondern zuweilen auch an die Substanz. «Da kommt man an die Grenze», sagt Curti, der nicht gern an den Moment zurückdenkt, als ihm der Banco del Gottardo ein ganzes Analystenteam entrissen hatte. Als Folge davon organisierte er sein 32-köpfiges Team neu: Jeder Branchenexperte hat nun einen Stellvertreter, im Idealfall gibts auch einen Stellvertreter des Stellvertreters. «Wir können es uns nicht leisten, eine Branche zu vernachlässigen, nur weil der zuständige Analyst gekündigt hat», erklärt Curti die Massnahme.
Der klassische Finanzanalyst, also der lic. oec. mit einigen Jahren Berufserfahrung, ist nicht nur eine teure, sondern auch rare Spezies. «Mehr der Not gehorchend» (Curti) rekrutieren Schweizer Banken daher Hochschulabgänger und bilden sie intern aus. Frisch gebackene Betriebs- und Volkswirte starten mit einem Jahressalär von 80 000 bis 90 000 Franken in den Analystenberuf. Ab dem Jahr 2001 können sie ihre Assistenzzeit mit einer international anerkannten Prüfung abschliessen und den Titel CIIS TM (Certified International Investment Analyst) holen. Die Bank Vontobel machte den Wettlauf um die Primusse der Branche nie mit. Analysten werden intern grossgezogen. Thomas Pfyl, Research-Chef bei der Bank Vontobel, holt sich künftige Analysten immer öfter direkt aus der Industrie und verpasst ihnen einen Intensivkurs in Sachen Finance. «Einem Ingenieur zu erklären, was Cashflow bedeutet, dauert keine fünf Minuten», sagt Pfyl.
Mit der Spezialisierung in der Firmenwelt sind auch die Anforderungen ans Fachwissen der Analysten gestiegen. «Wer ernst genommen werden will», sagt Robin Seydoux, CSFB-Analyst mit Verantwortung für Schweizer Konzerne wie Swatch, Valora, Kuoni und Bon Appetit, «muss in seiner Branche extrem gut drauskommen.» Ist einer sattelfest, gewinnt er früher oder später nicht nur das Vertrauen - sprich die Grossaufträge - der institutionellen Anleger, sondern auch Einfluss auf die Unternehmenswelt. «Irgendwann versteht man so viel vom Geschäft, dass man fast automatisch auch zum Berater wird», sagt Vogler. Er, der unter anderem den Hörgerätehersteller Phonak analysiert, probiert einzelne Produkte dieser Firma selber aus.
Mit ihrem Pensum von durchschnittlich 15 Unternehmen stehen die Firmenbewerter unter Dauerstress. Auf jede Neuigkeit reagieren sie blitzschnell. «Eine erste Meinung muss innerhalb von zehn Minuten an die Ã-ffentlichkeit», sagt Curti. Worauf es in der Szene ankommt, sind nicht nur gute Gewinnschätzungen, sondern die Story, mit der sich die Analysten voneinander zu unterscheiden suchen: «Rein deskriptive Studien reichen nicht», sagt Curti,«es braucht eine gewisse Originalität.» Auf der Jagd nach ein bisschen Originalität jagen Analysten mitunter «jedem Hafenkäse» hinterher (O-Ton eines Finanzchefs).
Analysten produzieren Berge von Papier: News sind ihr Storymaterial für kurzfristige Kommentare und langfristige Betrachtungen, Makro- und Mikroexpertisen, Newsletters und Empfehlungen, die sie verfassen und via Post, Fax und E-Mail hundertfach unters Anlegervolk bringen.
«50 Prozent des Jobs sind reine Marketingaufgaben», sagt UBS-Warburg-Mann Vogler. Aus den Analysten, einst introvertierte Zahlenfreaks in den Hinterzimmern der Banken, sind eloquente Auskunftspersonen geworden, die öffentliche Auftritte zelebrieren. «Heute müssen Analysten auch noch telegen sein», sagt ZKB-Manager Curti. Seine Bank unterhält eine Standleitung mit dem Schweizer Fernsehen; auch die VJs von Tele 24 gehen am Hauptsitz an der Zürcher Bahnhofstrasse ein und aus.
Parallel zum ständigen Update der betreuten Firmen verfassen Analysten Berichte mit mehr Tiefgang. Das Material für die dicken Wälzer sammeln sie an so genannten Analysten-Meetings und Roadshows. An diesen Treffen muss sich das Management eines Unternehmens von den Analysten «grillen» lassen. Der Szenenjargon steht für Strategien erläutern, Bilanzen ausdeutschen und die Zukunft ausmalen.
Vergangene Erfolge zählen dabei wenig, vergangene Flops hingegen viel. So kann das Management des Pommes-frites-Automatenherstellers Tege den Analysten hundertmal beteuern, nun «mit einer kommerziell interessanten und technologisch ausgereiften Weiterentwicklung» endlich den Markt aufzurollen - die Analysten glaubens nicht. Die frohe Botschaft aus dem Waadtland prallt an den enttäuschten Erwartungen aus der Vergangenheit ab, die Kurse dümpeln weiter vor sich hin.
Jeder Analyst, der etwas auf sich hält, recherchiert in den von ihm bewerteten Unternehmen zusätzlich auf eigene Faust. Die Kontakte zum Management sind oftmals entsprechend eng. «Das Vertrauen des Managements ist ein zentrales Asset eines Analysten», sagt Seydoux. Als Vertrauen bildende Massnahme wird Seydoux schon mal als Informationsquelle aktiv und spielt dem Management der von ihm bewerteten Firmen Sektoranalysen und Brancheninformationen seiner Kollegen in London zu.
Die Nähe zu den Unternehmen ist das Handicap für die Unabhängigkeit der Analysten. «Jeder hat die Unternehmen gern, die er verfolgt», sagt Hans Kaufmann, ehemals Chefanalyst der Bank Julius Bär, «keiner gibt gern zu, dass er Firmen betreut, deren Aktien keine Zukunft haben.»
Das Vertrauen und die engen Bande zwischen Management und Analyst hängen aber an einem dünnen Faden. Für Fehlleistungen eines Firmenbewerters gibts keine Entschuldigung. Sein Ruf ist dahin, sein Marktwert auch. «Drum fasst der grosse Haufen das zusammen, was die Besten der Branche von sich geben», kritisiert Kaufmann. Der Herdentrieb um den Hype der Internet-Aktien spricht für sich selbst. Kaufmann nimmt seine ehemaligen Kollegen aber auch in Schutz: «Kein Analyst würde etwas schreiben, das er nicht glaubt, sagt er, «aber nicht alles schreiben, was er glaubt.»
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