«Basel II» - ein Gespenst geht um
Seit 1975 gibt es den Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, der bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) Gastrecht hat. Heute gehören ihm Bankenüberwacher aus zwölf Ländern an. Bis vor kurzem hat der Ausschuss seine Arbeiten weitgehend im Stillen verrichtet. Zwar sind die an Banken und Aufsichtsbehörden gerichteten Papiere immer umfangreicher geworden, doch eine breitere Ã-ffentlichkeit nahm vom Wirken des Gremiums, dessen Empfehlungen in nationale Verordnungen umzusetzen sind, kaum Notiz. Derzeit scheint sich das zu ändern. Die knapp 40 Seiten starke Vereinbarung über die Minimalausstattung der Banken mit Eigenkapital («Basel I») ist in Überarbeitung. Dieses wichtigste Werk des Ausschusses war 1988 auf Veranlassung führender Zentralbankpräsidenten entstanden. Damals herrschte die Auffassung vor, das Eigenkapital der wichtigsten Banken sei infolge des Verdrängungskampfes auf einen gefährlich tiefen Stand gesunken. Das beabsichtigte neue Regelwerk («Basel II») umfasst mehrere hundert Seiten. Vor seiner Erneuerung, die bereits zu über 250 Stellungnahmen geführt hat, zittert vor allem der deutsche Mittelstand. Bundeskanzler Schröder poltert, und für deutsche Beobachter geht mit «Basel II» ein Gespenst um. Woher kommt die Aufregung? Hat die Wirtschaft tatsächlich Anlass, sich zu ängstigen?
Für Firmen sind Bankkredite eine zentrale (und oft die einzige) Quelle der Fremdfinanzierung. Die Banken beschaffen sich, vereinfacht dargestellt, diese Gelder von den Einlegern und transformieren die kurzfristigen Einlagen in Kredite mit unterschiedlich langen Laufzeiten. Um einerseits Einlagen anzuziehen und anderseits auch grössere und überraschende Abzüge überstehen zu können, also zahlungsfähig zu bleiben, sind Banken auf Liquidität und Eigenmittel angewiesen, denn Letztere bieten dem Einleger Sicherheit. Dann funktioniert die 3-6-3-Regel perfekt, wonach der Banquier den Anlegern 3% Zinsen bezahlt, den Kreditnehmern 6% abknöpft und um 3 Uhr nachmittags auf dem Golfplatz anzutreffen ist...
Doch Eigenmittel sind nicht gratis, und es gibt kein Naturgesetz, das deren «richtige» Grösse bestimmt. Soll man also die Bestimmung des optimalen Eigenkapitals dem Markt überlassen, zumal man behaupten könnte, eine Bank sei umso sicherer, je höher ihre Eigenmittel sind? Begründen liesse sich die These mit dem Argument, dass bei hohem Eigenkapital die Eigentümer Verluste direkt zu berappen haben (sie also diese nicht durch Konkurs auf ihre Gläubiger überwälzen können). Sie haben daher allen Anlass, grosse Risiken zu meiden. Doch auch das Umgekehrte lässt sich behaupten: Wer sich ein hohes Eigenkapital leisten muss, möchte dafür auch die Chance auf hohe Renditen haben, und das bedingt das Eingehen entsprechender Risiken. Schliesslich könnte argumentiert werden, haushälterisch werde nur mit Dingen umgegangen, die knapp sind. Dann würden Banken mit hohem Kapital weniger effizient arbeiten.
So berechtigt diese Überlegungen sind, die regulatorische Tätigkeit hat sie längst relativiert. Weil die Institute durch ihre Transmissionstätigkeit eine wichtige volkswirtschaftliche Rolle übernehmen, hat man Hemmungen, sie die Grösse ihres Motors (das Eigenkapital) nach eigenem Gusto bestimmen zu lassen. Hinzu kommt, dass ein Bankkonkurs Kettenreaktionen auslösen und weitere Banken, aber auch viele Unternehmen und Haushalte schädigen kann. Will der Staat dann nicht - zwecks Wiederherstellung der unerlässlichen Stabilität - zur Kasse gebeten werden, hat er ein sehr grosses politökonomisches Interesse, die Institute präventiv zu regulieren und ihnen Vorgaben zum minimalen Eigenkapital zu machen.
Doch Vorschriften weisen zugleich immer eine Vielzahl von Nebeneffekten auf. Wie eine Untersuchung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) belegt, waren die Eigenmittelquoten der Grossbanken in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mit 15% bis 22% sehr hoch. Als dann 1935 erstmals gesamtschweizerisch Vorgaben in Kraft traten, kam es - wen wundert's? - zu einer Nivellierung nach unten, und gegen Ende der achtziger Jahre pendelten sich die Quoten deutlich unter 10% ein. Dieser Prozess ist keine schweizerische Spezialität. Er ist, wie ein Papier des Internationalen Währungsfonds (IMF) zeigt, länderübergreifend nachzuweisen: Bei gegebener Konkurrenz unter den Überwachungsbehörden reduzieren sich die regulatorischen Anforderungen im Vergleich mit einer zentralisierten Lösung.
Beschäftigt man sich mit der Qualität der nationalen Vorschriften über die minimalen Eigenmittel, herrscht der Befund vor, sie seien ausserordentlich grob gezimmert. Eine auch heute noch relativ fortschrittliche Lösung führte die Schweiz 1980 ein. Als 1988 der Basler Ausschuss mit seiner ersten Empfehlung zur minimalen Eigenmittelausstattung international tätiger Banken aufwartete, konnte die Schweiz sich beruhigt zurücklehnen. Man hatte einen wesentlich feineren Ansatz, der sich nicht nur auf die international tätigen Institute, sondern auf alle Banken erstreckte und aus der Sicht der Aufsicht erst noch bessere Resultate zeitigte: Während «Basel I» als grosses Novum ein minimales Eigenkapital von 8% der risikogewichteten Aktiven forderte, wurde hierzulande dieses Minimum zum Teil erheblich überschritten. 1995 wurde der «Swiss Finish» weiter perfektioniert.
Zunehmend zeigte sich in der Folge, dass «Basel I» angesichts der Veränderungen im Bankgeschäft veraltet war. Es wurde erkannt, dass plumpe Vorschriften weder die Risikostruktur der Bank erfassen noch deren Risikomanagement und schon gar nicht deren Befähigung, Risiken sauber abzuschätzen. So hatten bisher Kredite ein Risikogewicht von 100% und mussten mit mindestens 8% an Eigenmitteln unterlegt werden, und zwar unabhängig von der Schuldnerqualität. Der Kredit an Novartis und jener an ein in der Verlustzone operierendes Unternehmen wurden punkto Eigenmitteln gleich behandelt, was dazu führte, dass gute Kreditnehmer die schlechten quersubventionierten. Aus all diesen Gründen wurden 1999 die Arbeiten zur Revision an die Hand genommen.
Vom Ansatz her ruht «Basel II» auf drei Säulen. Die erste Säule regelt differenzierter die minimalen Erfordernisse beim Eigenkapital und sieht Risikogewichte zwischen 20% und 150% vor. Der Novartis-Kredit wäre daher mit 20% der pauschalen 8%igen Eigenmittelquote, also mit 1,6%, zu unterlegen, jener an das Krisenunternehmen allenfalls mit 150% von 8%, also mit 12%. Die zweite Säule umfasst ein Regelwerk zur Überprüfung der Risikopolitik der Bank durch die Aufsicht. Die dritte Säule verlangt die Offenlegung des Risikoprofils und der Qualität der Eigenmittel. Dann kann auch der Markt die Banken besser beurteilen. So sinnvoll dieser Ansatz grundsätzlich erscheint, ohne Tücken ist er nicht. Risikogerechtere Vorschriften können zu höheren Kapitalerfordernissen und damit zu teureren Krediten führen. Der Aufschrei des deutschen Mittelstandes und die Einmischung des Kanzlers in die Kompetenz der Bundesbank haben darin ihre Auslöser.
Nur: «Basel II» ist der falsche Adressat. Es ist nicht Aufgabe der Bankenaufsicht, nationale Strukturerhaltungspolitik zu betreiben. Sie hat für ein sicheres und gesundes Bankensystem zu sorgen. Ausserdem ist «Basel II» ohnehin noch immer eine Baustelle: Die zahlreichen Mängel in der Ausgestaltung haben dazu geführt, dass es 2002 zu einem weiteren Konsultationspapier kommt, das dann auf Ende kommenden Jahres verabschiedet werden soll. Insofern wird zu früh gewettert. Die Zeit bis 2002 gilt es zu nutzen, die zahlreichen Bedenken gegenüber kleinen und grösseren Details und strukturellen Fehlern zu berücksichtigen und zu den Wurzeln zurückzufinden. Im Visier muss das Risiko stehen und die Erkenntnis, dass die zentralen Voraussetzungen einer gesunden Bankentätigkeit eine ausreichende Profitabilität und ein gutes Management sind. Erst sie ermöglichen die Schaffung von Eigenkapital als notwendige, wenn auch keineswegs hinreichende Voraussetzung für eine gesunde Bankenlandschaft.
bb.
Aus der NZZ
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