Von Holger Zschäpitz
Berlin Ausnahmezustand, Plünderungen und Zerstörung: Argentinien steht am Abgrund und kommt dem Absturz immer näher. Zynisch muten da die Kursgewinne an der Börse in Buenos Aires an. Gestern kletterte der Merval-Index zu Handelsbeginn um weitere acht Prozent, seit Anfang Dezember gewann das Kursbarometer sogar 40 Prozent. Das Chaos scheint damit vor den Börsentüren Halt zu machen.
Doch die Ruhe trügt. Analysten machen spekulative Geschäfte für den Kaufrausch verantwortlich. Als Folge einer Teileinfrierung der argentinischen Bankguthaben hätten viele Argentinier in den vergangenen zehn Tagen verstärkt Aktien gekauft, um sie dann an einer ausländischen Börse wieder zu verkaufen. Auf diese Weise werde Geld ins Ausland geschafft. Die Rallye hat nichts mit fundamentalen Daten zu tun, sagt Günter Köhne, Analyst bei Dresdner Kleinwort Wasserstein. Viele Unternehmen stehen vor der Zahlungsunfähigkeit. Das Land droht kurzfristig im Chaos zu versinken.
Der sensible Anleihemarkt spricht eine deutliche Sprache. Zuletzt rutschten die Kurse der Schuldnerpapiere um weitere 20 Prozent ab. Anleger, die die sicheren Staatstitel einstmals kauften, liegen inzwischen 70 Prozent im Minus. Der Wertverlust ist damit noch stärker als bei ukrainischen Papieren nach Ausbruch der Russlandkrise. Der Patient Argentinien liegt auf dem Sterbebett, sagt Zsolt Papp, Stratege bei ABN Amro. Schon zum nächsten Zahlungstermin der Anleihen am 28. Dezember könnte Argentinien gezwungen sein, Bankrott anzumelden.
Das ist nicht alles. Dem argentinischen Peso droht eine massive Abwertung. Es dürfte der Regierung um Präsident de la Rúa immer schwerer fallen, an der strikten Dollar-Bindung festzuhalten. Denn nicht zuletzt war es der starke Peso, der Argentinien gegenüber anderen Ländern im Wettbewerb zurückgeworfen hat und die Wachstumskrise verschärfte. Auch der gestern bekannt gegebene Rücktritt des Finanzministers und Architekten der Dollar-Bindung, Domingo Cavallo, nährte Spekulationen über eine Freigabe des Peso. Experten rechnen für diesen Fall mit einem Absturz der Währung zwischen 40 und 50 Prozent. Da argentinische Firmen und Haushalte nahezu vollständig in Dollar verschuldet sind, würde sich die Schuldenlast auf einen Schlag verdoppeln. Ein Massenbankrott wäre die Folge.
Passiert nicht ein Wunder, ist zumindest der Offenbarungseid des Andenstaates unausweichlich. Mit einer Freigabe des Peso rechnet etwa die Hälfte der Experten. Die Wirtschaftsdaten geben wenig Anlass zur Hoffnung. Seit 42 Monaten befindet sich das Land in der Rezession. Für das kommende Jahr erwartet Morgan Stanley eine weitere Schrumpfung der Wirtschaft um vier Prozent.
Noch ist die Argentinien-Krise nicht auf andere Schwellenländer übergesprungen. Da der Andenstaat ein Viertel aller Schwellenländerbonds emittiert hat, könnte ein Bankrott Argentiniens verbunden mit einer Peso-Abwertung jedoch verheerende Auswirkungen für die gesamten Emerging Markets hervorrufen. Gefährdet sind vor allem die Türkei und Brasilien. Gemessen an den eigenen Reserven sind die Schuldenquoten der beiden Ländern mit 127 Prozent (Türkei) und 147 Prozent (Brasilien) sehr hoch. Beide Währungen dürften sich kaum einem Peso-Abwärtsstrudel entziehen. Aber auch Polen oder Ungarn gelten nicht als immun. Experten raten Anlegern daher vom Einstieg in die Schwellenländer ab. Erst wenn es in Argentinien richtig gekracht hat, ergibt sich eine Kaufgelegenheit, sagt ABN-Mann Papp.
Seiner Ansicht nach würde ein Zusammenbruch Argentiniens aber auch westliche Industriestaaten treffen. Gerade spanische Banken sind äußerst stark in Argentinien engagiert. Allein bei BBVA und BSCH stehen knapp 17 Mrd. Dollar auf dem Spiel. Die spanische Regierung warnte gestern schon mal Anleger vor panischen Reaktionen.
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